Veröffentlicht: 13.03.09
150 Jahre mykologische Sammlung

Eine Million Pilze

Vom Champignon bis zu pilzerkrankten Insekten ist in der 150-jährigen mykologischen Sammlung der ETH Zürich alles vertreten, was das Forscherherz begehrt. Das Archiv ist schweizweit führend und auch für die internationale Forschung bedeutend.

Angela Brunner
Dieser Rüsselkäfer aus Ecuador ist vom Pilz Cordyceps curculionid befallen. (Foto: Reinhard Berndt)
Dieser Rüsselkäfer aus Ecuador ist vom Pilz Cordyceps curculionid befallen. (Foto: Reinhard Berndt) (Grossbild)

Das Herbarium der ETH feiert dieses Jahr seinen 150. Geburtstag. Im Archiv befinden sich noch Pilze aus der Zeit des ersten Kurators, Christian Brügger, der 1859 seinen Dienst antrat. Heute kümmert sich Reinhard Berndt um das Forschungsarchiv, das inzwischen rund eine Million Pilze umfasst. Er hat sich auf die Wissenschaft der Pilze (Mykologie) spezialisiert und ist seit 2005 Kurator der Mykologischen ETH-Sammlung.

In den vergangenen 150 Jahren ist der Pilzbestand der Forschungssammlung stark gewachsen. 2003 vermachte die Universität Bern der ETH Zürich ihre Pilzsammlung. Bei der Katalogisierung der ca. 60‘000 geschenkten Pilze würde Reinhard Berndt die Mithilfe von Volontären begrüssen. Früher vergiftete man das Pilzmaterial mit Quecksilber. Heute werden alle Exemplare gedörrt oder gepresst und mindestens drei Tage lang bei minus 30 Grad im Tiefkühler aufbewahrt, um Insekten abzutöten, bevor die Funde in die Sammlung kommen. So bleiben sie Jahrhunderte lang haltbar.

Bedeutende Rostpilzsammlung

Die Forschungssammlung ist international von Bedeutung und enthält laut Reinhard Berndt eine der besten Rostpilzsammlungen. Unter 7000 Rostpilzarten sind Kaffee- und Sojabohnenrost oder der Schwarzrost von Getreide als prominente Pilze zu nennen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf befallenen Pflanzen braun-orange Verfärbungen hervorrufen.

Doch getrocknete Pilze lassen sich häufig nicht mehr anhand eines Farbfotos eindeutig bestimmen. Hier schafft die mykologische Forschungssammlung der ETH Zürich Abhilfe: Physisch greifbare Belege von Pilzen dienen Forschern als Referenz, um Übereinstimmungen von Mikromerkmalen zu finden und Sporen unter dem Mikroskop zu vergleichen. Jährlich melden sich bis zu vierzig Forscher aus der ganzen Welt bei Reinhard Berndt, um Pilze aus der mykologischen Sammlung zu studieren. Pilze, die in keiner Sammlung archiviert sind, sind wissenschaftlich gesehen nicht existent. Von jeder Erstentdeckung wird daher ein Exemplar aufbewahrt, das den Typ des Pilzes repräsentiert und anhand dessen spätere Klassifizierungen vorgenommen werden. Diese Typusexemplare zählen denn auch zu den wichtigsten Pilznachweisen der Sammlung. Das Archiv bietet so eine Lösung, um die Artenvielfalt und Verbreitung der Pilze dauerhaft zu dokumentieren.

Über 70 Pilzarten entdeckt

«Schätzungen zufolge kennen wir nur rund fünf Prozent aller Pilzarten», sagt Reinhard Berndt. Mehr als 70 neue Pilzarten hat er bisher entdeckt. Seine nächste Forschungsreise führt ihn nach Französisch Guayana, wo in tropischen Gebieten unerforschte Pilze warten. Dass Pilzen gewöhnlich wenig Aufmerksamkeit zuteil wird, hält er für unberechtigt. Ökologisch sind sie von grosser Bedeutung. Beinahe jeder Baum lebt in Symbiose mit Pilzen, die ihn mit Wasser und Nährstoffen versorgen. Ohne Pilze würde sich zudem das Laub im Wald Meter hoch türmen. Denn Streu zersetzt sich nur langsam, wenn Pilze nicht massiv mithelfen.

«Bereits in der Evolution spielten Pilze eine bedeutende Rolle», erklärt Reinhard Berndt. Der Biologe weiss, wie wichtig sie bei der Eroberung von Land waren. Vor über 400 Millionen Jahren entwickelten sich nicht nur die ersten Landpflanzen, sondern auch symbiontische Pilze. Ihre Entstehung kann nicht genau datiert werden, weil Pilze keine Knochenfossilien hinterlassen. Doch wie aus frühen Funden der Pflanze Rhynia hervorgeht, haben Mykorrhiza-Pilze den ersten Landpflanzen die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen erleichtert.

Pilze sind keine Pflanzen

Heute werden unter dem Begriff Pilz unterschiedliche pilzartige Organismen zusammengefasst. So unterscheidet man drei Pilzgruppen. Steinpilz, Eierschwamm und Morcheln gehören zu den Echten Pilzen. «Biologisch betrachtet stehen Echte Pilze dem Tierreich näher als dem Pflanzenreich und sind deshalb keine Pflanzen, wie lange Zeit angenommen wurde», sagt Berndt. Die zweite Gruppe, die Schleimpilze, weisen keine enge Verwandtschaft zu den Echten Pilzen auf. Vielmehr sind sie näher mit den Amöben verwandt. Die Falschen Mehltaupilze schliesslich sind Heterokonte Organismen, also ausgezeichnet durch charakteristische Geisseln, und sind am nächsten mit bestimmten Gruppen der Algen verwandt.

Jährliche Führung durch die Sammlung

Am 17. März um 18.15 Uhr findet in der Mykologischen Sammlung, Universitätsstr. 16, CHN B 67, Zürich, eine öffentliche Führung statt. Während des einstündigen Rundgangs wird Reinhard Berndt auf die Tücken der wissenschaftlichen Lagerung von Pilzen hinweisen und in das Forschungsfeld der Mykologie einführen. Zudem erhalten Besucher die Gelegenheit, besondere Pilze und von Pilzen befallene Käfer zu betrachten.

 
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