Veröffentlicht: 31.08.09
Jubiläum

200. Geburtstag des Schweizer Darwins

Oswald Heer gilt als Mitbegründer der Archäobotanik, Paläontologie und Pflanzengeografie, war ein Brieffreund von Charles Darwin – und hat der ETH Zürich einen Schatz hinterlassen: Fossilien von 2700 Pflanzen- und Insektenarten, die er erstmals beschrieben hat.

Christine Heidemann
Die versteinerte Blüte von Porana macrantha ist ein Exemplar der im Öhninger Steinbruch am Bodensee gefundenen Fossilien. Sie gehört zu den 1850 Pflanzenarten, die der «Schweizer Darwin» erstmals in seinen Werken beschrieben hat. (Bild: ETH Zürich)
Die versteinerte Blüte von Porana macrantha ist ein Exemplar der im Öhninger Steinbruch am Bodensee gefundenen Fossilien. Sie gehört zu den 1850 Pflanzenarten, die der «Schweizer Darwin» erstmals in seinen Werken beschrieben hat. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Stufe um Stufe geht es in die Tiefen des Erdwissenschaftlichen Departements der ETH Zürich. Neun Meter unter der Erde lagert, gut gesichert, ein Teil einer der bedeutendsten Fossiliensammlungen der Schweiz: Hunderte von in Stein verewigten Insekten. Ein Stockwerk höher ist das Reich der versteinerten Pflanzen. Vor über 150 Jahren hat der Schweizer Naturforscher Oswald Heer den Grossteil der hier verwahrten Relikte, die allesamt aus dem Steinbruch von Öhningen am Bodensee stammen, zunächst beschrieben und klassifiziert und sie dann auf Stein zeichnen und drucken lassen. So machte er seine Funde Wissenschaftlern in der ganzen Welt, zumindest als Abbild, zugänglich. Heute wäre Oswald Heer 200 Jahre alt geworden.

Reger Austausch mit Darwin

Der im Schweizer Glarnerland aufgewachsene Biologe und Geologe war einer der ersten naturwissenschaftlichen Professoren sowohl an der ETH Zürich als auch an der Universität Zürich. Dort war er auch Gründungsdirektor des Botanischen Gartens. Er wird gerne als Schweizer Darwin bezeichnet, da sein Leben viele Parallelen mit dem des berühmten Naturforschers aufweist. So wurden beide im selben Jahr geboren, studierten zunächst Theologie, veröffentlichten neben wissenschaftlichen Abhandlungen auch Bücher für ein breites Publikum und beeinflussten sich gegenseitig über Briefkontakte. Allerdings verwarf Heer Darwins Theorie, wonach die Arten durch natürliche Auslese entstehen, und glaubte stattdessen an eine nicht näher beschriebene Umprägung der Arten durch einen Schöpfer.

Über die Fachwelt hinaus bekannt wurde Oswald Heer vor allem durch sein 1865 erschienenes Werk «Die Urwelt der Schweiz». Noch heute dienten seine Bücher mit den sehr ausführlichen Beschreibungen und hochwertigen Abbildungen Wissenschaftlern als Forschungsgrundlage, sagt Milena Pika-Biolzi, Geologin am ETH-Departement Erdwissenschaften und Kuratorin der Heer-Sammlung. Gemeinsam mit dem Entomologen und Botaniker Stefan Ungricht arbeitet sie zurzeit an der Digitalisierung der Oswald Heer-Fossilien.

Vor allem die so genannten Typen, das sind jene Exemplare, anhand derer Heer die Arten erstmals beschrieben hat, seien bei Forschern in aller Welt begehrte Studienobjekte. Erst kürzlich habe sie eine Anfrage aus Russland erhalten. «Da suchte ein Wissenschaftler drei bestimmte Insektenarten aus unserer Sammlung.» Also hat die engagierte Kuratorin sie unter den hunderten Exemplaren herausgesucht, fotografiert und nach Russland geschickt. Ein Aufwand, der in etwa einem Jahr nicht mehr nötig sein wird.

Zugriff auf drei Datenbanken

Spätestens dann sollen die digitalisierten Funde Heers für Interessierte in aller Welt online zugänglich sein – in drei Datenbanken: Derjenigen der Erdwissenschaftlichen Sammlung selbst; in der Datenbank der Global Biodiversity Information Facility und auf dem Internetportal GeoCASE.

Vor allem das Entziffern der Artennamen sei sehr mühsam, so Milena Pika-Biolzi: «Oswald Heer hat viele seiner Funde nur ganz dünn mit Bleistift beschriftet.» Und so sitzt ihr Mitarbeiter Stefan Ungricht mitunter bis zu zwei Stunden bei grellem Neonlicht im unterirdischen Archiv, bis er den Namen einer Spezies entziffert und überprüft hat, ob sie in einem von Heers oder anderen Standardwerken bereits beschrieben wurde. Eine Sisiphusarbeit.

«Zu den Insekten gibt es ausser den Artennamen meist keine zusätzlichen Informationen», sagt Ungricht. Das angestrebte Projektziel, alle zehn Minuten ein Fossil ad acta legen zu können, sei daher kaum einzuhalten. Immerhin: Bei den Pflanzen sieht es deutlich besser aus - dank des früheren ETH-Professors für Paläobotanik, René Hantke, der bereits in den 1950er Jahren damit begonnen hatte, einen Teil der Heerschen Sammlung zu bearbeiten und zu beschriften.

Reise in die Urwelt Mitteleuropas

Doch die mühevolle Arbeit lohnt sich, davon sind Milena Pika-Biolzi und Stefan Ungricht überzeugt. Schliesslich finden durch das Projekt nicht nur die Originale der rund 850 Insekten und 1850 Pflanzen, die Oswald Heer erstmals beschrieben hat, ihren Weg aus den ETH-Archiven an die Öffentlichkeit. Zusammen mit den restlichen Funden, den Lithographien und schriftlichen Aufzeichnungen, können die Datenbank-Nutzer quasi per Computer eine Reise in die mitteleuropäische Landschaft des heutigen Öhningen vor über zehn Millionen Jahren antreten – deren Tier- und Pflanzenwelt nicht zuletzt durch Oswald Heer Gestalt annahm.

Geburtstagsfeier im Botanischen Garten

Zu Ehren von Oswald Heers 200. Geburtstag veranstalten die «Freunde des Botanischen Gartens Zürich» am 1. September 2009 eine kleine Geburtstagsfeier im «Alten Botanischen Garten zur Katz». Die Feier beginnt um 12:30 Uhr vor dem Oswald-Heer-Denkmal beim Haupteingang zum Völkerkundemuseum der Universität Zürich.