Veröffentlicht: 07.09.09
Bob-Projekt

Eisbahn frei für Citius

Nach kaum drei Jahren Entwicklungs- und Produktionszeit wurde vergangenen Freitag Citius-Bob an der ETH Zürich den Athleten überreicht – genau 160 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele. Besteht er die Tests der Athleten kommt er in Vancouver wohl zum Einsatz.

Simone Ulmer und Peter Rüegg
Sportler (ganz rechts: Weltmeister Ivo Rüegg) und Wissenschaftler freuen sich über die Frucht ihrer ungewöhnlichen Zusammenarbeit (Bild: O. Bartenschlager)
Sportler (ganz rechts: Weltmeister Ivo Rüegg) und Wissenschaftler freuen sich über die Frucht ihrer ungewöhnlichen Zusammenarbeit (Bild: O. Bartenschlager) (Grossbild)

Ein grosser Moment für die Schweizer Bobfahrer und den Bobverband: Zum ersten Mal verfügen die Schweizer Athleten über einen verbandseigenen Bob. Das Material wurde den Sportlern rechtzeitig, nämlich 160 Tage vor den kommenden Olympischen Spielen in Vancouver, überreicht. Die symbolische Übergabe fand am Freitag im Lichthof des CHN-Gebäudes der ETH Zürich statt. Am Festakt beteiligt waren neben Verbandsfunktionären auch zahlreiche Vertreter der ETH, der beteiligten Industrieunternehmen, Athletinnen und Athleten, namentlich Weltmeister Ivo Rüegg, sowie Bobbauer Christian Reich.

Mit dem Ziel, den schnellsten Bobschlitten zu bauen, wurde vor rund drei Jahren die Partnerschaft unter dem Namen «Citius» zwischen Industrie, Wissenschaft und Sport aufgebaut. Daran beteiligt waren über 20 ETH-Angehörige aus den Departementen für Maschinenbau- und Verfahrenstechnik, für Materialwissenschaften und der Zentralwerkstatt.

Wissenschaft herausgefordert

«Für die Forschung war dieses Projekt eine grandiose technisch-wissenschaftliche Herausforderung», sagt Ueli Suter, Projektleiter an der ETH, an der Pressekonferenz. Zwar lässt sich am Reissbrett der theoretisch schnellste Bob planen. Um den Bob in den Eiskanal zu bringen, stand den Forschern aber der ehemalige Bobpilot Christian Reich, Silbermedaillengewinner im 2er-Bob an den Olympischen Spielen in Salt Lake City, tatkräftig zur Seite, der über eine immense praktische Erfahrung verfügt. Der Bob ist deshalb kein «akademischer Schlitten», wie Suter anmerkte.

Beim Bau des Bobs galt es innerhalb der strengen Richtlinien den Luftwiderstand und die Kufengleitfähigkeit unter enormem Zeitdruck zu optimieren. Die Forscher beschritten mit «Citius» Neuland, das sie viel Einsatz und Energie kostete, aber den «harten Kern» nie die Leidenschaft zum Projekt verlieren liess: Fast alle haben sie eine Taxifahrt in einem Bob gemacht, und zwei Wissenschaftler haben sogar die Bobpilotenprüfung abgelegt, um selbst zu erfahren, was einen guten Bob ausmacht. (siehe Dossier ETH Life)

Ebenbürtiges Material

Die Forschungsarbeit fand in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizer Bobverband, den Industriepartnern und vor allem Christian Reich, der bisher rund 20 Bobs gebaut hat, statt. Für ihn ist klar, dass die Schweizer Athleten nun Citius fahren sollten. «Schon das heutige Material ist sehr gut, aber dieses hier ist besser», sagte er an der Übergabe. Auch für die Bobpilotin Sabina Hafner ist der Fall klar: «Endlich haben wir Material, mit dem wir mit den Deutschen mithalten können. Das motiviert extrem.»

Andererseits weiss Reich auch, dass die die Bobfahrer Zeit brauchen, um sich an den neuen Schlitten zu gewöhnen. Ob die knapp sechs Monate bis zu den Olympischen Spielen für die Umstellung reichen, ist allerdings offen. Der Bobexperte findet, dass die Fahrer nun Citius kontinuierlich einsetzen und erst in einigen Monaten entscheiden sollten, welchen Bob sie nach Kanada mitnehmen. Der Bobverband hat die Fahrer nicht verpflichtet, Citius in Vancouver zu steuern. «Der Pilot entscheidet selbst, und diese Entscheidung geht übers Herz», sagt Reich.

In Serie hergestellt

Von Citius existieren sechs 2er-Bobs und drei 4er-Bobs. Die 2007 unter dem Namen «Citius» gegründete Allianz entwickelte und produzierte erst zwei Prototypen, ehe sie die Bobs ab April dieses Jahres in Serie herstellte.

Ganz neu ist der Bob für die Athleten nicht: Sie haben ihn in der vergangenen Saison bereits gefahren. Ihre Anregungen und Änderungsvorschläge wurden bis kurz vor der Serienproduktion berücksichtigt. In den nächsten Wochen werden die Bobs nun individuell an die Piloten und ihr Team angepasst, sagt Pascal Arnold, Doktorand am Institut für mechanische Systeme, bei dem zusammen mit Martin Elsener von der Werkstatt des Departements Materialwissenschaft die Gesamtkonstruktion lag. Sollte es noch grundlegende Änderungen geben, meint Arnold: «Dann wird jetzt alles mal Neun multipliziert» - bisher hatte das Team nur an den Prototypen zu arbeiten, doch nun ist es eine kleine «Flotte», die es auf den besten Stand zu bringen gilt.

Zum Sieg schreien

Ab der zweiten Oktober-Hälfte sind weitere Testfahren in Cesana bei Turin geplant. Besteht Citius-Bob den Härtetest durch die Athleten, wird er nach Übersee verschifft. Dort können die Schweizer Pilotinnen und Piloten im November zum ersten und einzigen Mal auf der Olympia-Bob-Bahn in Whistler nördlich von Vancouver trainieren. Kurz darauf startet die Weltcup-Saison mit dem Bobrennen in Park City/Utah. Zwischen dem 20. und 27. Februar 2010 gilt es dann, für Citus-Bob und die Mannschaften den Daumen zu drücken. Oder wie es Ueli Suter ausdrückte, mit Halspastillen ausgerüstet an der Bobbahn zu stehen und die Schweizer Fahrer zum Sieg zu schreien.

Zusammenarbeit Sport-Wissenschaft-Wirtschaft

Für die Entwicklung des 4er- und 2er-Bobs für die Olympischen Spiele in Vancouver hat sich der Schweizer Bobverband mit der ETH Zürich und mehreren Industrieunternehmen zusammengetan. Beteiligt sind die Firmen sia Abrasives, Sika AG, Indrohag, Georg Kaufmann Formenbau AG, Quadrant, Bucher Industries, Audi, RUAG Aerospace AG, V-ZUG AG und Franz Marty (marty-engineering). Alle zusammen erbringen durch ihre Arbeit und Bereitstellung der Materialien etwa die Selbe Summe, mit der die ETH Zürich Foundation das Projekt unterstützt: Insgesamt rund 1,75 Millionen Franken.

 
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