Veröffentlicht: 15.12.09
Klimakonferenz

«Wie ein riesiges multidimensionales Pokerspiel»

Andreas Fischlin ist offizieller Vertreter der Wissenschaft in der Schweizerischen Verhandlungsdelegation an der Klimakonferenz in Kopenhagen. ETH Life wollte von ihm wissen, um welche Punkte zurzeit gestritten wird und welche Fortschritte bereits erzielt wurden.

Samuel Schläfli
Im Vergleich zur Klimakonferenz in Kopenhagen, waren die Verhandlungen zum Kyotoprotokoll nur ein Tropfen auf den heissen Stein, ist Andreas Fischlin, Professor für Terrestrische Systemökologie, überzeugt. (Bild: ETH Zürich)
Im Vergleich zur Klimakonferenz in Kopenhagen, waren die Verhandlungen zum Kyotoprotokoll nur ein Tropfen auf den heissen Stein, ist Andreas Fischlin, Professor für Terrestrische Systemökologie, überzeugt. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Fischlin, Dänemarks Ministerpräsident und Gastgeber Lars Løkke Rasmussen erklärte am Sonntag, es sei noch ein «weiter Weg» bis zu der angestrebten Einigung. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Ja, in der Tat. Im Moment ist hier in Kopenhagen alles blockiert, niemand weiss genau, wie und in welcher Form es weitergehen wird. Die Industrienationen streben einen neuen, alles umfassenden Klimarahmenvertrag an. Die 77 in Kopenhagen vertretenen Entwicklungsländer wollen aber nicht die Taube auf dem Dach, sondern lieber den Spatz in der Hand, also ein Weiterführen des Kyotoprotokolls. Das Kyotoprotokoll verpflichtet alle Industrieländer ausser den USA zu CO2-Reduktionen, nicht aber die Entwicklungsländer.

Was genau werfen die Entwicklungsländer den Industrienationen vor?
Die Entwicklungsländer beanstanden, dass die Industriestaaten ihre historische Verantwortung nicht wahrnehmen und sich nach wie vor nicht zu einschneidenden CO2-Reduktionen verpflichten. Zudem argumentieren sie, dass die Industriestaaten viel höhere finanzielle Unterstützung bereitstellen müssten, damit Entwicklungsländer ihre eigenen CO2-Emissionen reduzieren können.

Im Vorfeld der Klimakonferenz war oft zu hören, dass China, Indien und Brasilien eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen einnehmen werden. Welche Positionen vertreten sie?
Länder wie China, Indien und Brasilien verstecken sich momentan noch hinter dem Begriff «Entwicklungsland» und sind deshalb nicht bereit, ihre Verantwortung als grosse CO2-Produzenten wahrzunehmen. Auf der anderen Seite fordern die USA, dass genau diese Länder sich zu drastischen CO2-Reduktionen verpflichten, sonst sind sie ihrerseits zu keinen Konzessionen bereit.

Um die Auswirkungen des Klimawandels zu beschränken haben Wissenschaftler und Politiker gemeinsam das Ziel formuliert, einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von 2°C gegenüber der vorindustriellen Zeit nicht zu überschreiten. Dazu müssen jedoch die globalen CO2-Emissionen bis ins Jahr 2050 halbiert werden. Ist das 2°C-Ziel in Kopenhagen nach wie vor im Gespräch?
Ja, daran rüttelt zurzeit niemand. Die Mehrheit der Staaten steht offiziell hinter diesem Ziel. Heute würde sich deshalb keine Regierung mehr getrauen von einem 3°C- oder 4°C-Ziel zu sprechen – das wäre politisch unkorrekt.

Spürt man in Kopenhagen noch etwas von einer Aufbruchsstimmung oder macht sich bereits Ernüchterung breit?
Weder noch. Hier steht für jedes Land enorm viel auf dem Spiel, dementsprechend gross ist auch das Kräftemessen zwischen den Staaten. Es geht zu und her wie an einem riesigen multidimensionalen Pokerspiel und es ist normal, dass die Delegierten nicht mit offenen Karten spielen, sondern sich langsam an ihr Ziel vortasten. Sicherlich sind aber heute noch nicht alle Karten gespielt.

Alleine in Kopenhagen gingen am Samstag fast 100'000 Menschen aus aller Welt auf die Strasse, um den Politikern ihre Forderung nach einem ehrgeizigen Abkommen zu präsentieren. Wie gross ist das internationale Interesse an den Verhandlungen?
Von den Demonstrationen habe ich selber nicht viel mitgekriegt, da ich am Samstag bis um Mitternacht im Konferenzzentrum war. Das Interesse ist aber riesig, hunderte NGO's und Interessensvertreter machen hier ihre Interessen geltend. Man hatte mit 15'000 Teilnehmern gerechnet; registriert haben sich schliesslich 33'000. Mittlerweile lassen die Veranstalter viele Menschen aus Sicherheitsgründen nicht mehr auf das Konferenzgelände.

Wie sieht ein klassischer Verhandlungstag bei Ihnen aus?
Ich stehe um 6.15 Uhr auf. Nach dem Frühstück treffen sich alle Vertreter der Schweizer Delegation. Gegen zehn Uhr beginnen dann die ersten Verhandlungen – meist Blöcke von eineinhalb Stunden. Zwischen eins und drei Uhr folgen Pressekonferenzen oder Mediengespräche. Danach gehen die Verhandlungen weiter, oft bis Mitternacht. Die erste Woche war sehr anstrengend und wahrscheinlich wird es auf die Endphase hin noch hektischer werden.

Würden Sie die Klimakonferenz in Kopenhagen schon heute als historisch bezeichnen?
Was hier in Kopenhagen passiert, ist ein gewaltiger Schritt für die Menschheit, dagegen war das Kyotoprotokoll ein Tropfen auf den heissen Stein. Zum ersten Mal überhaupt spricht man über konkrete Emissionsgrenzen, um die Erderwärmung zu stoppen. Das ist am Ende auch mit ein Verdienst der Wissenschaft. All die Klimamodelle und die ökonomischen Berechnungen zum Klimawandel bis hin zum letzten UN-Klimabericht haben den Weg für die heutige globale Anstrengung geebnet.

Andreas Fischlin ist Professor für Terrestrische Systemökologie und einer der Hauptautoren des UN-Klimaberichts. Fischlin und Lucas Bretschger, Professor für Ökonomie/Ressourcenökonomie an der ETH Zürich, sind die beiden offiziellen Vertreter der Wissenschaft in der Schweizerischen Verhandlungsdelegation in Kopenhagen.