Veröffentlicht: 05.11.10
Science

«Einzelne Habitate schützen genügt nicht»

Am 29. Oktober ging die 10. Artenschutzkonferenz in Nagoya zu Ende. Das Abschlussprotokoll gilt als einer der grössten Erfolge für den Schutz der globalen Biodiversität. Peter Edwards, Leiter des Departements Umweltwissenschaften, zeigt sich im Interview skeptisch, ob die beschlossenen Vergrösserungen von Schutzhabitaten ausreichend sind.

Samuel Schläfli
Das an der Artenschutzkonferenz in Nagoya unterzeichnete Protokoll sei «alles in allem schwächer als es auf den ersten Blick den Anschein macht», glaubt Peter Edwards, Professor für Pflanzenökologie an der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich)
Das an der Artenschutzkonferenz in Nagoya unterzeichnete Protokoll sei «alles in allem schwächer als es auf den ersten Blick den Anschein macht», glaubt Peter Edwards, Professor für Pflanzenökologie an der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Edwards, der Generalsekretär der 10. UN-Artenschutzkonferenz in Nagoya sprach am Sonntag von einer neuen Ära des Zusammenlebens von Mensch und Natur, und der Generaldirektor von WWF bezeichnete das Schlussprotokoll als historisch. Sind Sie ähnlich begeistert?
Mit dem jetzt unterzeichneten Protokoll hat Nagoya sicher die grösste Tragweite von allen bisher abgehaltenen Artenschutzkonferenzen seit dem Bestehen der UNO-Konvention zum Schutz der Biodiversität von 1993. Das Ziel, den Verlust von natürlichen Habitaten bis 2020 mindestens zu halbieren, wie es die Konvention vorsieht, halte ich für überaus ambitioniert. Selbst wenn man heute mit der Umsetzung des Protokolls beginnen würde. Trotzdem brauchen wir wohl ein solches Ziel, um das Artensterben signifikant zu senken. Es wird sich aber erst noch zeigen, ob der politische Wille der internationalen Staatengemeinschaft tatsächlich vorhanden ist, um das in Nagoya zugesprochene Geld aufzutreiben, das für den Schutz von artenreichen Habitaten, insbesondere in Entwicklungsländern, nötig ist.

Die 193 Mitglieder der Konventionen haben beschlossen, die weltweit geschützten Landflächen von 12,5 auf 17 Prozent zu erhöhen; bei den Weltmeeren soll die Schutzgebietsfläche von einem Prozent auf zehn Prozent erhöht werden. Ist das nicht ein Erfolg?
Da muss man vorsichtig sein. Viele Naturschutzorganisationen haben vor der Konferenz grössere Schutzgebietsflächen gefordert. Je nach beigezogenen Zahlen sind heute bereits zehn Prozent der Meere in irgendeiner Weise geschützt, zum Beispiel durch ein Fischereiverbot. Ich bezweifle, dass die stark von der Fischerei abhängigen Staaten sonst einem solchen Ziel zugestimmt hätten. Beim Landschutz besteht die Gefahr, dass nicht in erster Linie Gebiete mit hoher Biodiversität profitieren werden, sondern solche ohne Ressourcen, die wirtschaftlich uninteressant sind. Alles in allem glaube ich, dass das Protokoll von Nagoya schwächer ist, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.

Trotzdem sind die Beschlüsse ein Schritt in die richtige Richtung. Wieso dieser Pessimismus?
Global gesehen nimmt der Druck auf die Artenvielfalt weiter zu. Ich sehe momentan keinen Grund optimistisch zu sein: Die menschliche Population wächst weiter und ihr ökologischer Fussabdruck wird grösser. Die landwirtschaftliche Bodennutzung wird intensiver und der Düngemitteleinsatz steigt vielerorts weiter an. Da reicht es nicht einzelne Habitate zu schützen, denn die Arten entfalten sich überall und nicht nur in dafür vorgesehenen Schutzgebieten. Solange der Ressourcenverbrauch und die exzessive Landbewirtschaftung weiter ansteigen, wird das Artensterben weitergehen. Der Schutz von Habitaten kann nur ein Aspekt einer Biodiversitätsstrategie sein. Es geht aber letztendlich um die Frage, wie wir mit unserer Umwelt als Ganzes umgehen.

Was wäre also zu tun?
Zuerst müssen wir den weiteren Verlust von Habitaten stoppen. Mittelfristig sollten wir aber auch die ökonomischen Treiber des Artenverlustes angehen, denn unsere Konsumgewohnheiten bewirken indirekt grosse Artenverluste; oft ohne dass wir es wissen. Der Schutz der Biodiversität ist also nicht nur eine naturwissenschaftliche, sondern vor allem auch eine soziale und ökonomische Herausforderung.

Als zweiter grosser Erfolg in Nagoya wurde die Unterzeichnung des ABS-Protokolls gefeiert. Durch «Access and Benefit Sharing» sollen Entwicklungsländer für den Erhalt des Artenreichtums und insbesondere für den Nutzen entgolten werden, den Pharmaunternehmen aus den Gendatenbanken des Urwalds für die Wirkstoffsuche ziehen. Inwiefern wird die Natur von diesem Abkommen profitieren?
«Access and Benefit Sharing» ist seit Jahren ein extrem heikler Punkt bei den internationalen Verhandlungen. Es scheint, dass nun in Nagoya ein Weg gefunden wurde, wie die Entwicklungsländer auch ökonomisch von ihrer Artenvielfalt profitieren können. Damit werden finanzielle Anreize für den Erhalt der Biodiversität geschaffen. Dieser Punkt war in erster Linie ein ethisches und damit auch politisches Problem, dass die Verhandlungen blockierte. Ich bezweifle aber, dass das ABS-Protokoll die Biodiversität in Entwicklungsländern retten wird. Meist findet die dortige Zerstörung ohne Abwägung von ökonomischen und ökologischen Vor- und Nachteilen statt.

Beim Klimawandel hat der IPCC-Bericht erstmals einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt, dass wissenschaftliche Studien praktisch ausnahmslos das von menschlichen Aktivitäten verursachte CO2 für die Erderwärmung verantwortlich machen. Inwiefern sind sich die Umweltwissenschaftler auch über Ursachen und Ausmass des globalen Artensterbens einig?
Zum Jahr der Biodiversität wurden 2010 erstmals unterschiedliche Studien zu denselben Fragen in grossen Projekten vereint. Die Ergebnisse gehen fast alle in die gleiche Richtung: Rund 90 Prozent zeigen, dass die Anzahl der beobachteten Spezies heute rückläufig ist. Der weitaus grösste Rückgang an Arten geschah in den letzten 40 Jahren; es ist offensichtlich das dieser Schwund auf das Bevölkerungswachstum und den wachsenden Ressourcenverbrauch des Menschen zurückgeht.

Nun hat aber das Biodiversitätsmonitoring des Bundes gezeigt, dass das Artensterben in der Schweiz gesamthaft in den vergangenen Jahren weder gross zu- noch abgenommen hat.
Die Schweiz ist in dieser Hinsicht speziell und ein wunderbares Beispiel dafür, dass Schutzmassnahmen fruchten können. In den 70er- und 80er-Jahren war die Umwelt der Schweiz durch intensive und düngerreiche Landwirtschaft stark in Gefahr. Ökologische Ausgleichszahlungen und weitere kostspielige Umweltmassnahmen haben schliesslich die Wende gebracht. Die Schweiz konnte sich solche Massnahmen glücklicherweise leisten. Hinzu kommt ein topografischer Vorteil: Viele Reservate sind durch die Gebirge automatisch vor Eingriffen geschützt.

Das heisst, Wissen wäre heute genügend vorhanden, um das Artensterben zu stoppen?
Ja, wir kennen heute die Techniken, um Landschaften so zu bewirtschaften, dass genügend Lebensmittel für die Menschheit produziert werden und gleichzeitig die Artenvielfalt unterstützt wird; zum Beispiel durch Vernetzung und sinnvolle Landschaftsplanung. Massnahmen gegen das Artensterben sind - ähnlich wie der Klimawandel - keine Frage der Forschung mehr. Die Wissenschaftler können noch lange fundierte Publikationen über den Zustand der Erde veröffentlichen. Wenn es uns nicht gelingt, die Öffentlichkeit für das Thema Biodiversität zu sensibilisieren, wird das Artensterben trotz wachsendem Wissen darüber weitergehen.

Symposium «Biodiversität - Eine Herausforderung des 21. Jahrhunderts»

Am Mittwoch 10. November 2010 findet von 13.30 bis 19.00 Uhr im Auditorium Maximum der ETH Zürich ein öffentliches Symposium zum Thema Biodiversität statt. Das Podium richtet sich an die interessierte Öffentlichkeit und will die Relevanz der Biodiversität für unsere Gesellschaft verdeutlichen. Nach einer Einführung zur Biodiversitätskrise von Christian Körner (Universität Basel) wird Stefanie Engel (ETH Zürich) die wirtschaftlichen Aspekte der Biodiversität erläutern. Bernd Herrmann (Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie, Göttingen) befasst sich mit der Geschichte der Biodiversität. Über ökologische und landschaftsarchitektonische Fragen werden Harald Bugmann (ETH Zürich) und Armin Werner (Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, Müncheberg) sprechen.