Veröffentlicht: 07.02.11
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«Chemie ist nicht, wenn es stinkt – Chemie ist, wenn es funktioniert»

Chemische Industrie in Europa – quo vadis? Wenn einer die Antwort auf diese Frage kennt, dann Jürgen Hambrecht, Vorstandsvorsitzender des weltgrössten Chemiekonzerns BASF. Vor 350 Gästen hielt er ein Plädoyer für die Chemie – und kritisierte die «europäische Regulierungswut».

Lukas Langhart
Jürgen Hambrecht, Vorstandsvorsitzender des weltgrössten Chemiekonzerns BASF. (Bild: L. Langhard)
Jürgen Hambrecht, Vorstandsvorsitzender des weltgrössten Chemiekonzerns BASF. (Bild: L. Langhard) (Grossbild)

Der Hörsaal ist voll. Alle Sitzplätze sind besetzt, viele Gäste stehen. Chemie brauche Werbung, wird es im Laufe des Vortrags heissen. Die Werbung für diese Veranstaltung hatte offenbar funktioniert - mehrere hundert Chemie-Interessierte waren auf den Hönggerberg gekommen. Das Unternehmen BASF wurde 1865 als Badische Anilin- und Soda-Fabrik gegründet und ist heute der grösste Chemiekonzern der Welt. Das macht ihren Vorstandsvorsitzenden Jürgen Hambrecht zu einem gefragten Redner – erst recht, wenn es um die Zukunft der chemischen Industrie geht. Während einer Stunde referiert der 64-Jährige leidenschaftlich und zuversichtlich über die Strategie seines Unternehmens und sagt: «Chemie ist nicht, wenn es stinkt und raucht – Chemie ist, wenn es funktioniert.»

Zu wenig wirtschaftlich denkende Fachkräfte

Wie steht es denn, abgesehen vom teilweise angekratzten Image, um die chemische Industrie? Sie wächst rasant, sagt Hambrecht. Weltweit, auch in Europa, doch vor allem in Asien. Auch in Zukunft gilt laut dem BASF-Chef: «Ohne Chemie geht gar nichts.» Denn die Chemie sei als klassische Querschnittsindustrie fest verknüpft mit allen industriellen Wertschöpfungsketten. Die grösste Herausforderung sieht Hambrecht im wachsenden Mangel an Fachkräften. An Hochschulen, wie die ETH appelliert er, im Studium mehr wirtschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen. Kombinierte Studiengänge wie Wirtschaftschemie oder Wirtschaftsingenieurwesen gingen in die richtige Richtung.

Sorgen bereitet Hambrecht die zunehmende Verschuldung der nordamerikanischen und europäischen Staaten. Ebenso die Konflikte, die derzeit in Nordafrika herrschen; in einer Region, die Europas Chemie mit Rohstoffen versorgt. Den grössten Groll aber hegt er gegen «die europäische Regulierungswut, die Ihresgleichen sucht». Es gehe doch zum Beispiel nicht an, dass hier im Namen des Kyoto-Protokolls die Industrie gefährdet wird, während die amerikanische und asiatische Konkurrenz ohne Rücksicht auf den Klimaschutz davonziehen kann. Noch stärkere Worte findet Hambrecht beim Thema Gentechnologie – einem der grossen Wachstumsfelder der BASF: «Der Verzicht auf Gentechnologie ist arrogant.» Denn Gentechnologie könne viele Probleme lösen, und es gäbe noch keinen Nachweis, dass genmanipulierte Pflanzen schädlich sind.

Strategie verfolgen und Portfolio anpassen

Die BASF verfolgt seit Jahrzehnten dieselbe Strategie. Gewisse Grundsätze müssen laut Hambrecht Bestand haben: «Eine Strategie ist nicht für heute oder morgen, sondern für über-über-übermorgen.» Flexibel müsse ein Unternehmen hingegen beim Portfolio sein. Im Wissen, nicht überall die Nummer Eins sein zu können, habe BASF in den vergangenen zehn Jahren mehrere Geschäftssparten, darunter die gesamte Pharmaabteilung, verkauft. Dafür seien neue Gebiete wie Pflanzenschutz oder Elektro- und Bauchemikalien dazugekommen – und natürlich auch die Basler Ciba AG. Die Antwort auf die globalen Herausforderungen, wie etwa Bevölkerungswachstum oder Verstädterung, heisst laut Hambrecht schlicht: «Innovation».