Veröffentlicht: 06.05.11
Science

Per Innovations-Boost zum Nobelpreis

Neue Erkenntnisse oder Innovationen in der Wissenschaft durchzusetzen, ist für «No-Names» im Vergleich zu renommierten Forschern nicht leicht. Eine neue Studie zeigt, wie und warum sie es schaffen, mit neuen Erkenntnissen etablierte Theorien dennoch zu überwinden. Aus der Studie lesen die Forscher zudem ab, wann aus Wissenschaftlern Nobelpreisträger werden.

Simone Ulmer
Nobelpreisträger unter der Lupe. (Bild: Nobelprize.org)
Nobelpreisträger unter der Lupe. (Bild: Nobelprize.org) (Grossbild)

Wer hat, dem wird gegeben – ein Sachverhalt, der in der Soziologie oft als «Matthäusgesetz» umschrieben wird. Das Phänomen, dass Reiche immer reicher werden, ist auch auf Wissenschaftler übertragbar. Jene, die es geschafft haben, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, werden entsprechend häufig erwähnt. Was bei Bankern die Boni sind und bei Künstlern der Applaus, das sind bei Wissenschaftlern die Zitationen. Sie honorieren die Leistung eines Forschers – denn nur wer einen wichtigen Forschungsbeitrag leistet, wird in anderen wissenschaftlichen Publikationen erwähnt.

Innovation in der Wissenschaft

Ein Forscherteam um ETH-Professor Dirk Helbing vom Lehrstuhl für Soziologie ging nun in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Instituts für Scientific Interchange (ISI) in Italien der Frage nach, wie Innovation in der Wissenschaft funktioniert und wie ein «erstarrtes» Theoriengebäude überwunden werden kann. Wie setzen sich neue Erkenntnisse durch und führen gar zu einem Paradigmenwechsel? Dahinter steht letztlich die Frage, wie ein Wissenschaftler Karriere macht und zur Koryphäe wird.

Um diese Frage zu beantworten, bestimmten die Wissenschaftler den «Boost-Effekt» von bahnbrechenden Publikationen. Hierfür nutzten sie die Daten von über hundert Nobelpreisträgern, die zwischen 1990 und 2009 mit dem Nobelpreis in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ausgezeichnet wurden und die insgesamt die enorme Zahl von rund zwei Millionen Zitationen erzielten. Für all diese Wissenschaftler fanden Helbing und sein Team Spitzen, sogenannte «Boosts», die eine schlagartige Änderung in der Zitationshäufigkeit der betroffenen Wissenschaftler anzeigten. Diese Boosts können klar wegweisenden Veröffentlichungen zugeordnet werden und gehen mit dem wissenschaftlichen Durchbruch der Forscher einher. Obwohl epochale Veröffentlichungen äusserst selten sind, wiesen manche der Nobelpreisträger sogar mehrere «Boosts» auf.

Sandhaufen und Zitationslawinen

Spannenderweise zeigt die Studie aber auch, dass Innovation in der Wissenschaft den Gesetzen eines «selbstorganisierten, kritischen Systems» folgt. Helbing erklärt dies am Beispiel eines Sandhaufens, auf dessen Spitze man immer mehr Sand streut. Der Sand fliesst dabei nicht kontinuierlich an den Seiten herunter. Vielmehr gibt es «Lawinen» jeder beliebigen Grösse. Sie entsprechen den Zitationskaskaden, die von wissenschaftlichen Veröffentlichungen ausgelöst werden können. Die kleinen sind häufig und typisch für den kontinuierlichen wissenschaftlichen Fortschritt – quasi Mosaiksteine der Erkenntnis. Die seltenen, grossen Lawinen stellen jedoch wissenschaftliche Sensationen oder gar Revolutionen dar. «Derartige Grossereignisse können das Matthäusgesetz durchbrechen. Nur durch diesen Umstand kann sich eine revolutionäre Erkenntnis überhaupt ab und zu durchsetzen», sagt Helbing.

Talente früh erkennen

Eine genauere Analyse der Daten zeigte, dass der Erfolg grossartiger Entdeckungen auf ältere Publikationen ausstrahlt. Helbing und sein Team schliessen daraus, dass der «Boost-Effekt» die Fachwelt auf das Gesamtwerk des Forschers aufmerksam macht, und dieser dadurch zusätzliche Reputation erlangt. Aus dieser Beobachtung hat das Team einen «Boost-Faktor» definiert, der den «Boost-Effekt» des einzelnen Wissenschaftlers misst. Mit dem «Boost-Faktor» könne man talentierte Wissenschaftler bereits frühzeitig identifizieren. Bisher brauchte es oft viele Jahre, bis ein Nachwuchstalent durch seine Zitationsstatistik auffiel. «Der wesentlich empfindlichere „Boost-Faktor“ kann dagegen schon kurz nach einem herausragenden Forschungsresultat den möglichen zukünftigen Erfolg eines Wissenschaftlers voraussagen», sagt Helbing. Auch könnte der «Boost-Faktor» beim Aufspüren potenzieller Nobelpreisträger helfen, stellen die Wissenschaftler in ihrer Publikation in PLoS One in Aussicht. Auf zukünftige Nobelpreisträger legen sie sich jedoch nicht fest, denn die Vergabe des Nobelpreises ist neben der Zitationshäufigkeit bekannterweise von vielen weiteren Faktoren abhängig, nicht zuletzt auch von der Jury-Zusammensetzung.

Wichtiges Element des «Innovations-Beschleunigers»

Die Entdeckung des Boost-Faktors wird ein wichtiges Element des sogenannten Innovations-Beschleunigers sein, der im Rahmen des FuturICT Projekts entwickelt werden soll. Der Innovations-Beschleuniger soll Geschäftsleuten, Politikern und Wissenschaftlern helfen die besten Experten für ihre Projekte zu finden, die Kommunikation zu unterstützen, eine flexible Koordination in Grossprojekten ermöglichen, sowie die Koordination und die Qualitätssicherung zu verbessern. Neue Trends können durch den Innovations-Beschleuniger früher erkannt werden und ermöglichen Investitionen in neue Technologien.
FuturICT soll ein gewaltiges sogenanntes EU-Flagship Projekt werden (siehe ETH Life Artikel vom 4. Mai 2011).

Literaturhinweis: Mazloumian A, Eom Y-H, Helbing D, Lozano S, Fortunato S (2011) How Citation Boosts Promote Scientific Paradigm Shifts and Nobel Prizes. PLoS ONE 6(5): e18975. doi:10.1371/journal.pone.0018975

 
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