Veröffentlicht: 07.06.11
Science

Positive Emotionen mildern Schmerzen

Positive Emotionen verdrängen den Schmerz – wirksamer als sich die Forscher dies vorgestellt haben. Das unter anderem dank eines körpereigenen Absicherungsmodus‘, den eine Forschungsgruppe von ETH und Universität Zürich am Collegium Helveticum entdeckte.

Peter Rüegg
Dass Schmerz und Wohlgefühl nahe beieinander liegen, ist bereits Leonardo da Vinci aufgefallen, der dies treffend zu illustrieren wusste. (Bild: zVg E. Kut / Collegium Helveticum)
Dass Schmerz und Wohlgefühl nahe beieinander liegen, ist bereits Leonardo da Vinci aufgefallen, der dies treffend zu illustrieren wusste. (Bild: zVg E. Kut / Collegium Helveticum) (Grossbild)

Schmerz und Wohlgefühl klingen wie zwei gegenteilige Empfindungen. Dabei findet die Forschung immer mehr Hinweise darauf, dass der Körper die beiden Extreme nicht trennt, sondern mit gleichen biochemischen Systemen regelt. Beispielsweise kann Schmerz das Wohlgefühl verstärken, wie etwa beim Essen scharfer aber wohlschmeckender Speisen. Zudem kann eine positive Gemütshaltung die Schmerzempfindung dämpfen. Ist man «gut drauf», nimmt der Schmerz ab.

Körpereigene Schmerzkiller

Eine wesentliche Rolle dabei spielen Opioide, körpereigene Botenstoffe, die am Empfinden von Wohlgefühl, das durch emotionale Anregung oder Sinneserfahrungen hervorgerufen werden kann, beteiligt sind. Die Opioide spielen in der Verarbeitung sowohl positiver als auch negativer Reize eine prominente Rolle.

Diese Botenstoffe werden in Nervenzellen in verschiedenen Arealen des Gehirns und des Rückenmarks gebildet und in den so genannten synaptischen Spalt zwischen Nervenzellen ausgeschüttet. Endorphine, eine Klasse der Opioide, binden dort bevorzugt an entsprechende Empfänger, die so genannten mü-Opioid-Rezeptoren, die an den Nervenendungen sitzen. Die Rezeptoren sitzen entweder auf der gleichen Nervenzelle, die den Botenstoff ausschüttet, oder auf derjenigen Nervenzelle, die auf der anderen Seite der Synapse liegt. Danach werden die Opioide rasch gespalten und verlieren ihre Wirkung.

Nervenzellen, die Opioide produzieren und über mü-Opioidrezeptoren verfügen, findet man gehäuft in Regionen des Zentralnervensystems, wie dem Rückenmark oder dem Mandelkern des Gehirns, die in die Verarbeitung von Schmerz oder Belohnung involviert sind. Wenn Naloxon, ein Gegenspieler der Opioide, ins Blut gespritzt wird, gelangt es schnell ins Gehirn und besetzt die mü-Opioidrezeptoren. Dadurch kann freigesetztes Endorphin vorübergehend nicht an den Rezeptor binden und wird abgebaut.

Unterdrückt Gegenspieler Schmerzhemmung?

Forscher des Collegium Helveticum der ETH und Universität Zürich haben sich dieses System genauer angeschaut. Ihre These: Erzeugt man bei Menschen positive Emotionen, schütten ihre Körper Opioide aus und erhöhen dadurch die Schmerztoleranz. Werden die Rezeptoren durch den Gegenspieler des Opioids, das Naloxon, besetzt, müsste die Schmerztoleranz wieder sinken.

Dazu testeten die Forschenden 22 gesunde Männer. Um positive Emotionen zu erzeugen, setzten sie positiv besetzte Bilder ein, die Sporttriumphe oder Pärchen in romantischen oder erotischen Szenen zeigten. Dadurch gelang es den Forschenden bei den Probanden positive Gefühle zu erzeugen, die die Opioid-Aktivität im Gehirn steigen liessen: Nach dem Betrachten der Bilder erhöhte sich die Schmerztoleranz der Probanden tatsächlich.

Was die Forschenden aber überraschte, war die Reaktion auf die Blockierung des Opioid-Systems. Dazu erhielt die Hälfte der Probanden Naloxon gespritzt, während der anderen Hälfte wirkungsfreie Kochsalzlösung verabreicht wurde. Statt den Schmerz stärker zu spüren, reagierten die Männer, im Rausch ihrer positiven Gefühle, kaum: Sie spürten den Schmerz auf ihrer Haut, trotz Naloxon-Verabreichung, weiterhin schwächer als vermutet. «Wir haben erwartet, dass die Probanden den Schmerz stärker empfinden würden», sagt Elvan Kut, Erstautorin einer Publikation, die vor kurzem in der Fachzeitschrift «Journal of Neuroscience» erschien.

Redundanz im System hält Wohlgefühl aufrecht

Womit die Forscherin nicht gerechnet hatte: «Die Wechselwirkung der Opioide mit anderen Stoffen kann offenbar andere <Schaltkreise> aktivieren. Das hält die Schmerzmilderung aufrecht, auch wenn das Opioid-System blockiert wird», erklärt sie das beobachtete Phänomen. Kandidat für diese Absicherung ist wahrscheinlich das Glückshormon Dopamin, das offenbar mitaktiviert wird. Bei positiven Affekten spielt Dopamin generell eine grosse Rolle. «Alle autonomen, kognitiven oder emotionalen Abläufe im Körper werden durch eine Vielzahl von biochemischen Systemen gesteuert. Diese sind sehr kompliziert miteinander verknüpft und können sich gegenseitig modulieren», sagt Kut.

Diese Studie sei Teil einer Forschungsstrategie, die nicht mehr vom erkrankten Körper auf den gesunden schliesst, sondern umgekehrt. Es gehe darum, herauszufinden, wie ein gesundes Hirn und die körpereigenen Mechanismen zum Gesundbleiben funktionierten.

Die Studie zeigt, dass es sehr wohl eine Rolle spielt, wie man sich selbst und die Umwelt wahrnimmt. «Ein Mensch mit negativer Grundhaltung dürfte zum Beispiel Schmerz stärker empfinden als jemand mit positiver Einstellung.» Für eine Schmerzbehandlung sei das gut zu wissen und wenn möglich in die Therapie miteinzubeziehen.

Keine Opioidzufuhr von aussen

Auch aus Sicht der Pharmakologie kann diese Studie helfen: Je mehr man über die körpereigenen Schmerzhemmungsmechanismen weiss, desto gezielter kann man entsprechende pharmakologische Angriffspunkte finden. Körpereigene Opioide kommen dafür allerdings nicht in Frage. Würde man dem Körper solche Stoffe verabreichen, würde er sich rasch anpassen und die Stoffe würden ihre Wirkung verlieren. «Das kann nicht die Lösung sein», sagt Kut. Die Erkenntnis der Studie, dass nicht, wie oft angenommen, nur die Opioide eine Hauptrolle in der körpereigenen zentralen Schmerzhemmung spielen, sondern ein Zusammenspiel vieler anderer Stoffe, öffne und bestärke die Forschung in diesem Bereich.

Literaturhinweis

Kut E, Candia V, van Overbeck J, Pok J, Fink D, Folkers G. Pleasure-related Analgesia Activates Opioid-Insensitive Circuits. The Journal of Neuroscience. March 16, 2011. 31(11): 4148-4153. DOI: 10.1523/JNEUROSCI.3736-10.2011

 
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