Veröffentlicht: 16.08.11
Science

Leuchtende Bäuche verraten Enzymaktivität

Professor Jean-Christophe Leroux und seine Mitarbeiter haben eine Methode entwickelt, mit der sie im lebenden Organismus Enzyme beobachten können, die Gluten spalten. Das ist ein wichtiger Schritt zur Entwicklung von wirksamen Verdauungsproteinen, die gegen Zöliakie eingesetzt werden können.

Peter Rüegg
Wer an Zöliakie leidet, muss Brot aus Weizenmehl von seinem Speiseplan streichen. (Bild: istockphoto)
Wer an Zöliakie leidet, muss Brot aus Weizenmehl von seinem Speiseplan streichen. (Bild: istockphoto) (Grossbild)

Wer an Zöliakie leidet, zeigt eine chronische Überempfindlichkeitsreaktion gegen Gluten und seine Abbauprodukte, die nach der Aufnahme aus dem Magendarmtrakt starke Immunreaktionen auslösen. Dieses Protein ist in mehreren Getreidesorten wie Weizen, Gerste und Roggen enthalten. Ohne Gluten-Proteine wären die Eigenschaften des Teigs wenig geeignet für die Produktion von Brot und Backwaren. Alle Arten von Nahrungsmitteln, die manchmal nur schon Spuren von Weizen oder anderen Getreiden enthalten, sind für Betroffene tabu. In westlichen Ländern ist bis zu ein Prozent der Bevölkerung von Zöliakie betroffen.

Ursache der Krankheit ist ein defektes Gen. Auch Umwelteinflüsse oder bestimmte Infektionen während der Kindheit spielen vermutlich eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit.

Tödlich ist Zöliakie nicht, aber es erschwert das Leben und ist auf die Dauer schädlich: Gluten löst eine Autoimmun-Reaktion aus, die insbesondere den Darm in Mitleidenschaft zieht und zu Verdauungsstörungen, schwerem Durchfall oder Gewichtsverlust führen kann. Zöliakie-Patienten haben ein höheres Risiko, an Osteoporose oder einem Krebsleiden zu erkranken. Dazu kommen zahlreiche weitere Folgekrankheiten, die auf die Gluten-Unverträglichkeit zurückzuführen sind.

Nur noch weizenlose Kost

Zurzeit gibt es nur eines, um die Folgen zu mildern: die Ernährung umstellen und auf glutenhaltige Produkte vollständig verzichten. Eine medizinische Behandlungsmethode gibt es bisher nicht. Einen Ansatz hat Jean-Christophe Leroux, Professor für Pharmazeutische Wissenschaften an der ETH Zürich, mehr oder weniger per Zufall gefunden: ein Polymer, das Gluten bindet und dadurch dessen Toxizität unterdrückt. Der Polymer-Gluten-Komplex passiert den Darm unverdaut und wird ausgeschieden. Versuche mit Mäusen sind diesbezüglich vielversprechend verlaufen.

Eine andere Behandlungsidee ist, Zöliakie-Patienten Verdauungs-Enzyme, die Gluten spalten und damit entgiften, oral zu verabreichen. Diese Methode wurde von Professor Chaitan Khosla von der Stanford University in den USA entwickelt. Eine solche Gabe von Verdauungs-Enzymen wird bei anderen Krankheiten wie Bauchspeicheldrüsen-Unterfunktion oder Laktose-Unverträglichkeit bereits erfolgreich angewandt. Weil aber Enzyme Proteine sind, werden sie im Magendarmtrakt zersetzt oder inaktiviert. Leroux wollte daher zuerst wissen, wie viel und in welcher Form Enzyme verabreicht werden müssten, um Gluten vollständig zu eliminieren.

Aktives Enzym bringt Bauch zum Leuchten

Der ETH-Professor und sein Doktorand Gregor Fuhrmann haben dazu erstmals eine Methode entwickelt, mit der sie verfolgen können, wie effizient und effektiv Enzyme, so genannte Prolin-spezifische Endopeptidasen (PEP), im Magendarmtrakt eines lebenden Organismus sind. Dazu haben sie ein kurzes Modellprotein geschaffen, das den krankmachenden Abschnitt von Gluten enthält. Daran koppelten sie ein «Stummschalter»-Molekül und einen fluoreszierenden Farbstoff. Dieses Molekül verfütterten die Forscher an Ratten und verabreichten den Tieren danach zwei PEPs, eines aus dem Bakterium Myxococcus xanthus und eines aus dem Flavobacterium meningosepticum. Sobald ein Enzym das veränderte Glutenprotein aufgebrochen hatte, wurde der Farbstoff aktiviert. Im Magendarmtrakt begann der Komplex, je nach PEP-Aktivität, unterschiedlich stark zu leuchten. Mit einem geeigneten bild  gebenden Verfahren konnten die Forscher in Echtzeit die Enzym-Aktivität feststellen. Je stärker das Leuchten und je länger dieses anhielt, desto effektiver war das Enzym.

Im Magen war nur das Flavobacterium-Enzym aktiv, im Dünndarm, wo ein basisches Milieu herrscht, beide. Die Forscher konnten die Aktivität des Myxococcus-Enzyms im sauren Magen jedoch steigern, indem sie zusätzlich einen Säureblocker verabreichten, der die Magensäure neutralisierte.

Erstes Monitoring-Werkzeug

Diese Methode haben die beiden ETH-Forscher in der Fachzeitschrift PNAS vorgestellt. «Dies ist das erste Werkzeug, um im Verdauungstrakt eines lebenden Organismus diese enzymatischen Vorgänge zu beobachten», erklärt Leroux. Zwar gebe es schon viele Methoden, um die Enzymaktivität im Reagenzglas zu testen, doch sei es nicht möglich, den Magen-Darm-Trakt im Glas realistisch nachzubilden. Deshalb sind die damit erhaltenen Resultate auch nur von geringerer Aussagekraft. Die neue Methode erlaubt Aussagen darüber, wie aktiv Enzyme im Magendarmtrakt sind. Dies könne helfen, deren therapeutische Effizienz zu verbessern.

In weiteren Schritten im Kampf gegen Zöliakie wollen die Wissenschaftler die eingesetzten Verdauungsenzyme mit Polymeren bestücken. Dies soll sie vor dem frühzeitigen Abbau im Magen schützen. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Enzyme in Transportbehältnisse einzupacken, die erst im basischen Milieu des Darms freikommen.

Literaturhinweis:

Fuhrmann G & Leroux J-C: In vivo fluorescence imaging of exogenous enzyme activity in the gastrointestinal tract. 2011. PNAS 108:9032-9037. DOI:10.1073/pnas.1100285108