Veröffentlicht: 03.11.11
Campus

Medizin der Zukunft

Die Schweizer Wirtschaft ist in Medizintechnik weltweit führend. Mit einer immer stärker wachsenden und älter werdenden Gesellschaft steigt auch die Nachfrage nach innovativen Ideen. Beim 11. ETH-Industrie-Dialog trafen sich Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Hochschule zum regen Austausch.

Thomas Langholz
In der Medizintechnik sind innovative Ideen gefragt. (Bild: Thomas Brugger/Fotolia.com)
In der Medizintechnik sind innovative Ideen gefragt. (Bild: Thomas Brugger/Fotolia.com) (Grossbild)

Die Erdbevölkerung wächst rasant. Erst vor wenigen Tagen wurde der siebenmilliardste Erdenbürger registriert. Damit wachsen auch die Herausforderungen: Immer mehr Menschen wollen mit Nahrung versorgt, und eine immer älter werdende Gesellschaft gesundheitlich betreut werden.

So wird nach wissenschaftlichen Untersuchungen über 20 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 2020 über 65 Jahre alt sein – allein für China sind das voraussichtlich über 200 Millionen Menschen. Auch die Zahl der chronischen Zivilisationskrankheiten wird in die Höhe schnellen. Rund sieben Prozent der Bevölkerung werden im Jahr 2020 an Diabetes leiden und allein 120 Millionen Menschen in den USA werden dann Übergewicht haben. Damit verbunden sind Gesundheitskosten zwischen fünf und zehn Billionen Dollar. Um diese Krankheiten und damit auch die immensen Kosten einzudämmen sind daher innovative Ideen im Gesundheitssektor gefragt: von der Früherkennung, über die Diagnose bis zur Behandlung – gerade auch von Wissenschaftlern.

Wichtiger Wirtschaftsfaktor

Gleichzeitig wächst der Markt für die Wirtschaft in diesen Bereichen. Die Schweiz gehört zu den führenden Ländern im Medizinbereich. Über 50'000 Beschäftigte in 3'720 Unternehmen erwirtschaften 15 Milliarden Franken pro Jahr. 90 Prozent der Produkte werden exportiert.

Grund genug, den 11. ETH-Industrie-Dialog unter dieses Thema zu stellen. Unter dem Titel «Engineering Profile for the Health Valley» trafen sich Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am vergangenen Freitag an der EPF in Lausanne, um sich über dieses Thema auszutauschen. Neben verschiedenen Vorträgen von Vertretern aus Industrie und Hochschule erarbeiten die Teilnehmer in mehreren Workshops Empfehlungen zuhanden der beiden ETH-Präsidenten.

Neues ETH-Departement

ETH-Präsident Ralph Eichler betonte in seiner Eröffnungsrede, dass die ETH Zürich bereits heute mit dem strategischen Forschungsschwerpunkt «Medizintechnik und Gesundheit» Rechnung trägt (siehe Dossier). Dabei wird insbesondere die Medizintechnik als Brücke zwischen den klassischen Ingenieurwissenschaften- und der Biologie verstanden. Als sichtbares Zeichen startet am 1. Januar 2012 das neues Departement «Gesundheitswissenschaften und Technologie» (D-HEST). Die neuen Studiengänge haben bereits im Herbst 2011 erfolgreich begonnen. Ein Schwerpunkt der ETH-Forschung liegt dabei auf dem Thema «Ernährung», das interdisziplinär erforscht wird. «Nur durch die Zusammenarbeit von Ingenieuren, Biochemikern, Nanowissenschaftlern und Neurologen können wir Antworten auf die komplexen Herausforderungen finden», betonte Ralph Eichler.

Auch Adrienne Corboud Fumagalli, Vizepräsidentin für Innovation und Valorisation der EPFL, zeigte, dass allein in Lausanne in rund 45 Laboratorien an der Schnittstelle zwischen Ingenieurwissenschaften und den Life Sciences geforscht wird. Ein Schwerpunkt der Forschung liegt dabei auf Neuroprothesen.

Um Forschung und Industrie schon früh zu verzahnen, arbeitet die Hochschule vor Ort mit verschiedenen Firmen zusammen. So arbeitet das neu entstandene Nestlé Institut für Gesundheitswissenschaften an neuen Nahrungsprodukten. «Wir forschen auf der molekularen Ebene, um herauszufinden, wodurch Krankheiten entstehen und wie sie auf den Menschen wirken. So können wir Krankheiten besser diagnostizieren», sagt Direktor Emmanuel Baetge.

Personalisierte Medizin

Alain Coudray, verantwortlich für die klinische Forschung bei Medtronic, ist sich sicher, dass das Gesundheitswesen in Zukunft durch die personalisierte Medizin dominiert wird. Nicht mehr das Lindern einer Krankheit steht dann im Mittelpunkt der Behandlung, sondern das Wiederherstellen der ursprünglichen Funktion. Hierzu werden immer mehr implantierte, funkgesteuerte medizinische Geräte eingesetzt. Gerade in diesem Bereich werden dann laut Coudray Ingenieure gefragt sein, die viel von Datentechnologien und biologisch-medizinischen Vorgängen verstehen.

Neue Diagnosetechnik

Welche Anforderungen an die Diagnose von Krankheiten in Zukunft gestellt werden, zeigte Rudi Pauwels, Gründer und CEO der Firma Biocartis. Wurde Mitte der 90er Jahre bei einem Patienten HIV diagnostiziert, so bedeutete dies in der Regel seinen sicheren Tod. Heute kann die Krankheit durch einen ausgefeilten Medikamentencocktail eingedämmt und das Leben des Patienten verlängert werden. «Diese Entwicklung ist uns nur durch ein tiefes Verständnis der Krankheit gelungen, das wir mit Hilfe von ausgefeilten Diagnosetechniken erhalten haben» sagte Pauwels.

Erst durch die Erkenntnis, welche Medikamente bei welchem Patienten individuell ansprechen, konnten solche Erfolge erzielt werden. Durch die gezielte Medikamentierung sei es nicht nur möglich, die Behandlungsqualität zu steigern, sondern zugleich die Kosten zu senken. Während ein Spital heute eine Vielzahl teurer und kompliziert zu bedienender Geräte für unterschiedliche Diagnosen benötige, sieht er in Zukunft Geräte, die viele Tests gleichzeitig und zu einem günstigen Preis pro Patient durchführen können.

Hohe qualitative Ausbildung

Um den Medizinalbereich weiterzuentwickeln, da waren sich die Teilnehmer einig, sei es notwendig, entsprechend qualifizierte Mitarbeitende auszubilden. Gefragt seien vor allem Generalisten mit einer interdisziplinären Ausbildung. Da die grösste Zahl der Firmen im Medizinbereich KMU seien, sollten die Hochschulen mit diesen enger zusammenarbeiten.

Auch sollte sich jede Hochschule auf ihre Stärken konzentrieren, um die Bereiche Grundlagenforschung, angewandte Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Und damit die Schweizer Wirtschaft von der Entwicklung im Medizinbereich profitieren könne, sei es schliesslich auch wichtig, dass alle Beteiligen aus Politik, Forschung und Wissenschaft Hand in Hand arbeiten.

IngCH

Veranstaltet wird der ETH-Industry Dialogue von Engineers Shape our Future IngCH wurde 1987 durch 10 Unternehmen verschiedener Branchen gegründet und umfasst heute 29 Mitglieder. Die Mitglieder betrachten Ingenieurinnen und Ingenieure als wichtiges Glied in der Entwicklung und Anwendung technologischer Spitzenleistungen sowie von Innovation.
Der Verein sensibilisiert die Öffentlichkeit für die zentrale Bedeutung der Technik in Wirtschaft, Kultur und Politik und fördert das Technikverständnis der Gesellschaft, insbesondere der Jugend.

 
Leserkommentare: