Vom Hirngespinst zur Materie
Hansjörg Grützmacher, Professor für anorganische Chemie der ETH Zürich, wollte einst Künstler werden. Als Chemiker sieht er nun eine gewisse Geistesverwandtschaft, mit der Ideen umgesetzt werden können.
Was halten Sie für
die grösste Errungenschaft oder wichtigste Entdeckung der Chemie?
Jede Entdeckung hat zu ihrer Zeit ihren Wert – er wird
allerdings nicht notwendigerweise erkannt. Die grösste Errungenschaft
derjenigen, die sich mit Chemie beschäftigen, also von Chemikern, ist es, dass
ihnen die Wandlung von einer Geheimwissenschaft zu einer Naturwissenschaft von
zentraler Bedeutung gelungen ist.
Womit befassen Sie
sich in Ihrer Forschung und was wird davon im Alltag spürbar oder nutzbar?
Wir beschäftigen uns mit der Erforschung von effizienten
Synthesemethoden von Spezialchemikalien. Ein Meilenstein ist hier sicherlich
die an der ETH stark verbesserte Synthese eines Photoinitiators, der nun bei
der BASF Schweiz (vormals CIBA) nach diesem Verfahren produziert wird. Dieser
Initiator wird in vielen Beschichtungsverfahren, wie bei Autolacken, CDs oder
DVDs und auch im medizinischen Bereich, etwa bei der Härtung von
Zahnkunststofffüllungen, angewandt.
Was hat Sie an
Chemie fasziniert? Warum wollten Sie Chemiker werden?
Das Umsetzen von Ideen, also «Hirngespinsten» in Materie,
die «Produkte». In vergleichbarer Form gelingt das sonst nur Künstlern – und
das war mein ursprünglicher Studienwunsch.
Welche
Forschungsgebiete der Chemie werden in Zukunft besonders wichtig und weshalb?
Die grösste Herausforderung wird es sein, verlässliche
und effiziente energieliefernde, -speichernde und -verbrauchende Systeme zu
finden. Der Mensch hat immer um Ressourcen Kriege geführt. Wenn also hier kein
Durchbruch erzielt wird, sind völkerübergreifende Konflikte vorprogrammiert.
Das ist zwar auch eine Art, sparsamer mit unseren Rohstoffen umzugehen, kann aber nicht die
gewünschte sein. Und das weltweite Bildungsniveau ist zu niedrig, um mit dieser
Bedrohung friedlich umzugehen.
Welchen Begriff
aus der Chemie sollten am Ende des Internationalen Jahrs der Chemie alle kennen
und warum?
Atom, Molekül, Materie. Das Verständnis des einen bedingt
das Verständnis des anderen. Und es wäre gut, wenn verstanden und eingesehen
würde, dass es zu jedem dieser Begriffe noch ungeahntes Neues zu entdecken
gibt. Wissenschaft ist dynamisch und braucht breite öffentliche Akzeptanz und
Unterstützung.
Zur Person
Der 52jährige Hansjörg Grützmacher ist seit 2001 ordentlicher Professor und zur Zeit Leiter des Laboratoriums für anorganische Chemie der ETH Zürich. Sein Forschungsinteresse gilt unter anderem der organometallischen Chemie sowie der Hauptgruppenelemente-Chemie mit Fokus auf neuartige Bindungssysteme.
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