Veröffentlicht: 19.04.12
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Guardian Angels helfen Menschen

«Wir brauchen Lösungen für energiesparende Technologien», sagt ETH-Präsident Ralph Eichler und lobt die Flaggschiff-Initiative «Guardian Angels» der ETH Zürich und der EPFL für ihren ingenieurwissenschaftlichen Ansatz. Das grosse Plus dieser Technologie-Initiative ist die gute Vernetzung mit bestehenden Forschungsinitiativen und mit der Industrie.

Florian Meyer
Koordinator Christofer Hierold (ETH Zürich) präsentiert die Flaggschiff-Initiative «Guardian Angels» einem Fachpublikum und Medien an der ETH Zürich.  (Bild: Florian Meyer / ETH Zürich)
Koordinator Christofer Hierold (ETH Zürich) präsentiert die Flaggschiff-Initiative «Guardian Angels» einem Fachpublikum und Medien an der ETH Zürich. (Bild: Florian Meyer / ETH Zürich) (Grossbild)

Die «Guardian Angels» sind klein, fein vernetzt und schlau. Sie sind die technischen Helferlein, die den Menschen in Zukunft durchs Leben begleiten und ihm beistehen, wenn sein Körper an Grenzen stösst. Solche «Schutzengel» könnten zum Beispiel aus Sensorsystemen bestehen, die in Kleidern eingewoben sind, und eine sehbehinderte Person durch den Strassenverkehr einer Grossstadt lotsen, indem sie mit intelligenten Navigations- und Ortungssystemen in Fahrzeugen, an Ampeln, an Strassenkreuzungen oder in den Smartphones interagieren. Andere könnten die Atmung und das Befinden eines schlafenden Kleinkindes beobachten oder eine betagte Person vor Stürzen in der Wohnung bewahren.

Die Entwicklung solcher «Guardian Angels» ist das Ziel der gleichnamigen Flaggschiff-Initiative. «Guardian Angels sind energiefreundliche und intelligente Geräte, die den Menschen und seine Fähigkeiten im Alltag unterstützen», erklärten der EPFL-Professor Adrian Ionescu und der ETH-Professor Christofer Hierold, die beiden Koordinatoren der gleichnamigen europäischen Flaggschiff-Initiative am 17. April 2012 an einer Informationsveranstaltung der Wissenschaftsakademien SATW.

Drei Engelsfamilien

27 Universitäten, 14 Industrieunternehmen und 19 Forschungsorganisationen aus 16 europäischen Ländern umfasst das Konsortium. Zugleich ist die «Guardian Angels»-Initiative sehr gut in die schweizerische Hochschullandschaft und die Forschungsförderung eingebunden. Vor allem zu der ingenieurwissenschaftlichen, nationalen Initiative «Nano-Tera.ch» und zu den beiden beantragten nationalen Forschungsschwerpunkten für «Zero Power Smart Nano-Systems» und «Carbon Electronics» bestehen laut Christofer Hierold enge Verbindungen.

Drei Familien von «Guardian Angels» schweben den Forschern vor: Unter «Physischen Schutzengeln» verstehen sie Sensoren, die mit mobilen Geräten verbunden sind, um Körperdaten zu registrieren und zu verarbeiten. Solche Systeme könnten bereits in den ersten drei Jahren des Forschungsvorhabens konzeptionell umgesetzt werden. Die «umweltbezogenen Schutzengel» würden natürliche Gelände und städtische Umgebungen mit einbeziehen und die Menschen vor Gefahren warnen. Der Forschungsschwerpunkt für diese Familie liegt in der zweiten Phase des Projekts. Mindestens zehn Jahre würde es dauern, bis «emotionale Schutzengel» zum Beispiel Menschen in Ermüdungs- und Stresssituationen zu einem gesunden Verhalten anleiten oder vor Unfällen bewahren könnten.

Energieeffizienz und Altersmedizin

Einen Schwerpunkt legt die «Guardian Angels»-Initiative auf die Entwicklung energieeffizienter oder energetisch selbstversorgender Systeme. Integrativ ist ihr Ansatz, weil die Wissenschaftler neue Materialien, neue Konzepte für Bauelemente, und innovative Integrationsmethoden und Software einbeziehen. In den Anfängen stünde die Herstellung von Plattformen auf Silizium-Basis im Vordergrund. Schrittweise könnten dann Graphen, Kohlenstoffnanoröhren oder andere Nanomaterialien genutzt werden. «Deshalb können wir nur im Rahmen eines europäischen Flaggschiff-Projekts die vielfältigen Herausforderungen dieses System-Ansatzes verwirklichen », sagten Ionescu und Hierold an der Veranstaltung.

Die Anwendungen kämen hauptsächlich der pharmazeutischen Industrie, der Medizintechnologie, der Hochtechnologie, der Maschinen- und Metallindustrie sowie der Informatik- und Kommunikationstechnologie zu Gute.

Zwischen Innovation und Intimität

Wie Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Professorin der Charité-Universitätsmedizin Berlin darlegte, ist die personalisierte Medizintechnik in der Altersmedizin nicht nur eine Zukunftsvision, sondern bereits ein realer und zunehmender Bedarf. Wer intelligente und menschengerechte Lösungen für Autofahren und Ernährung im Alter, die Vorbeugung von Stürzen, bei Demenz oder Schlaganfällen entwickeln wolle, sei auf multidisziplinäre Forschung angewiesen. Steinhagen betonte, dass die personalisierte Medizin notwendigerweise die individuellen Bedürfnisse jedes Patienten und jeder Patientin erfüllen müsse. Sie zeigte sich skeptisch gegenüber zu stark technologiegetriebenen Innovationen - wie zum Beispiel die Vision einer Diagnostik-Pille, die ein Patient schlucken würde, und die medizinisch relevante genetische Daten aus dem Körper aufs Smartphone senden könnte.

Dass sich die technische Lösung bei medizinischen Anwendungen aus den biologischen Bedingungen herleite und nicht umgekehrt, sagte Edwin Carlen vom Institut für Nanotechnologie an der Universität Twente (NL): «Wer einen Bio-Sensor entwickelt, muss sich entscheiden, ob er damit Blut, Schweiss oder Tränen messen will, denn Körperflüssigkeiten liefern sehr unterschiedliche Daten». Für den Soziologieprofessor Olivier Glassey von der Uni Lausanne setzt sich mit «Guardian Angels» die heute beobachtbare Vernetzung von Informatik und Intimität fort: «Die grosse gesellschaftliche Herausforderung wird darin bestehen, Innovation zu stärken und Privatheit zu schützen.»

Damit stiess er in einem Teil des Publikums auf offene Ohren. Die Initianten ihrerseits setzen in dieser Hinsicht auf einen nutzerorientierten Ansatz und auf personalisierte Anwendungen, die dem Einzelnen Entscheidungsfreiheiten bei der Wahl der für ihn passenden Technik belassen. Das Governance-Modell der Initiative umfasst neben dem wissenschaftlichen Steuerungs-Komitees eine Ethik-Kommission, Mechanismen der Spin-off-Förderung sowie Spezialisten des geistigen Eigentums.

Zustimmung aus dem Publikum

Verschiedene Teilnehmende aus Forschung und Industrie würdigten die beeindruckende Vorstellung zukünftiger Technologien und die Berücksichtigung von Fragen der Energiespeicherung.

Auf die Frage, was der Vorteil der «Guardian Angels»-Initiative gegenüber den Mitbewerbern sei, antwortete Ionescu: «Zum einen ist es der systemorientierte Ansatz der Energieeffizienz, zum anderen setzt unsere Initiative am stärksten auf den Einbezug der Industrie.».

ETH-Präsident Ralph Eichler lobte den ingenieurwissenschaftlichen Ansatz der Initiative: «Wir brauchen Lösungen für energiesparende Technologien.»