Veröffentlicht: 25.04.13
Science

Wie Stents den Blutfluss stören

Ein ETH-Forscher konstruiert im Labor ein realistisches Arterienmodell mit einem implantierten sogenannten Stent und simuliert am Computer, wie das Blut durch ihn hindurchfliesst. Damit deckt er Schwachstellen dieser verbreiteten Therapieform bei Arteriosklerose auf und ebnet den Weg für die Entwicklung optimierter Stents.

Peter Rüegg
Anhand eines solchen Modells eines echten Schweineherzens simulierte Farhad Rikhtegar, wie Blut durch eine Arterie fliesst, die einen gefässerweiternden Stent enthält. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)
Anhand eines solchen Modells eines echten Schweineherzens simulierte Farhad Rikhtegar, wie Blut durch eine Arterie fliesst, die einen gefässerweiternden Stent enthält. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

In Herzarterien kann es zu krankhaften Ablagerungen, im Volksmund «Verkalkungen» genannt, kommen. Dadurch werden die Blutgefässe eng. Wenn sich in einem anderen Blutgefäss ein Gerinnsel löst, das nicht durch den Engpass fliesst und die Blutversorgung des Herzens unterbindet, kann das gefährlich werden, mitunter sogar tödlich: Die krankhafte Verengungen von Herzkranzgefässen und damit verbundene Herzattacken zählen in Industrienationen zu den häufigsten Todesursachen.

Mit sogenannten Stents öffnen Kardiologen die verschlossenen Gefässe. Stents sind winzige Gitternetz-Röhrchen, die über die Leistenarterie in den Blutkreislauf eingeführt und im Engpass platziert werden. Mit einem Ballon spannen die Mediziner das Röhrchen auf. Dieses weitet das Blutgefäss auf, das Blut kann wieder ungehindert hindurchfliessen. Diese Methode hat vielen Herzpatienten das Leben gerettet, sie hat aber auch einen Nachteil: Dort, wo der Stent im Blutgefäss anliegt, kommt es bei zwei von fünf Patienten durch Ablagerungen und Wucherungen erneut zu Verengungen der Arterie, sogenannten Restenosen.

Arterie auf dem Bildschirm

Um die Vorgänge und die Auswirkungen von Stents in Arterien besser zu verstehen, hat ETH-Doktorand Farhad Rikhtegar aus der Gruppe von Professor Dimos Poulikakos in einer Schweineherzarterie im Labor einen Stent implantiert, die reale innere Oberfläche der Arterie inklusive des Stents visualisiert, mathematisch dargestellt und genau reproduziert. Weiter hat er die Strömungsdynamik des Blutflusses im Bereich des Stents am Computer modelliert. Das Paper zu dieser Arbeit wurde vor kurzem in der Fachzeitschrift «PloS One» publiziert.

Rikhtegars Computermodelle sind realitätsnah und erzielen einen bisher unerreichten Detailreichtum. Ältere Modelle bildeten Blutgefässe nur vereinfacht ab und berücksichtigten nur sehr einfache klinische Szenarien. Die Simulationen des ETH-Forschers sind indes viel komplexer und basieren auf lebensechten Vorlagen: hochauflösend gescannten Schweineherz-Arterien, denen Stents eingepflanzt wurden.

Stents eliminieren Scherkräfte

Die Simulationen verdeutlichen, dass die winzigen gitterartigen Verbindungsstege eines Stents, die auf der Blutgefässwand aufliegen, den Blutfluss entlang dieser Stege entscheidend verlangsamen. Weiter zeigen sie, dass das Blut in den Buchten, die die Stege bilden, in Wirbeln «gefangen» sein kann, was die Geschwindigkeit des Blutstroms im Bereich des Stents ebenfalls senkt.

Aufgrund des langsameren Blutflusses sinkt die Scherkraft, die der Blutstrom auf die Blutgefässwand ausübt. Endothelzellen, welche die Blutgefässe auskleiden, erfüllen ihre Funktion nur dann vollständig, wenn der Blutstrom und damit die auf sie wirkenden Scherkraft einen bestimmten Durchschnittswert erreicht. Ist diese Kraft zu schwach, lassen sie vermehrt schlechtes Cholesterin in die Gefässwand. Dies wiederum führt zu Entzündungsreaktionen, die erneut Arteriosklerosen verursachen. Die Arterie im Bereich des Stents kann sich erneut verengen.

Tote Winkel begünstigen Restenosen

Die Simulationen zeigen auch, was geschehen kann, wenn ein Stent schlecht platziert ist und nicht satt an der Gefässwand aufliegt. In diesem Fall entstehen zwischen Stent und Blutgefässwand «tote Winkel», in denen die Geschwindigkeit des Blutstroms ebenfalls stark herabgesetzt ist, was das Risiko für Restenosen erhöht.

Rikhtegar hat weitere Modelle erstellt, bei denen in Schweinearterien zwei Stents, die sich teilweise überlagern, eingesetzt wurden. Die Gefahr von Restenosen ist bei überlappenden Stents noch grösser als bei einem einzelnen. Die Auswertung dieser Daten ist aber noch nicht abgeschlossen, der Doktorand möchte die Resultate in einem weiteren Paper veröffentlichen.

Aufwändige Methodenarbeit

Farhad Rikhtegar musste sich einiges einfallen lassen, um die Simulationen zu erstellen. Lebensechte Vorlagen für die spätere Digitalisierung schuf er mit Schweineherzen aus dem Schlachthof. In Zusammenarbeit mit Kardiologen des Universitätsspitals Zürich pflanzte er die Stents in die grösste Herzarterie ein. Danach präparierte der ETH-Doktorand die Blutgefässe, indem er Harz in sie hineinspritze. Nachdem dieses ausgehärtet war, löste er das Gewebe auf und erhielt so eine dreidimensionale Skulptur der Blutgefässe des Schweineherzens.

Die Präparationstechnik ist nicht neu. Rikhtegar optimierte jedoch das Vorgehen, indem er eine Pumpe entwickelte, die das Harz mit physiologischem Druck in die Adern hineindrückte. Bei den ersten Versuchen habe er das Harz noch von Hand eingespritzt, sagt er. Dabei habe er aber zu viel Druck ausgeübt, sodass die feinen Kapillaren zerstört wurden. Durch das automatisierte Einspritzen des Harzes in die Herzgefässe hingegen blieb das reich verzweigte Geflecht feinster Kapillaren erhalten.

Diesen Harzabdruck scannte Rikhtegar mit einem Mikro-Computertomographen (CT) der Gruppe von Professor Ralph Müller hochaufgelöst. Dadurch erhielt er eine präzise digitale Darstellung der Arterie im Bereich des Stents, durch welche er in Computersimulationen das Blut hindurchfliessen lassen konnte. Normale Computertomographen, wie sie in Kliniken und Spitälern verwendet werden, haben eine zu geringe Auflösung, um die 100 Mikrometer breiten Stege des Stents abzubilden. Der Mikro-CT kann jedoch Strukturen von wenigen Mikrometern auflösen. So gelang es Rikhtegar auch, die Verformung der Blutgefässwand in Längs- und Querrichtung sowie die Position von ungünstig platzierten Stents abzubilden. Mit der aus den Mikro-CT-Bildern errechneten Geometrie des Aderbereichs, welcher den Stent enthält, konnte der ETH-Doktorand beinahe jede denkbare Simulation durchführen.

Von der Luftfahrt zur medizinischen Anwendung

Die Arbeit sei anspruchsvoll gewesen, sagt er. Für alle Teilschritte gebe es eine bestimmte Methode. In Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachleuten sei es darum gegangen, jeden dieser Teilschritte zu optimieren. «Das hat viel Zeit gekostet», sagt Rikhtegar, der ursprünglich Luftfahrtingenieur ist. Für seine Dissertation musste er sich medizinisches Spezialwissen und die entsprechenden Methoden aneignen. «Mittlerweile kann ich sogar Stents in Herzarterien einsetzen, das ist gar nicht mal so schwierig», schmunzelt er. Um seine Arbeit durchzuführen, «verbrauchte» er rund 80 Schweineherzen, die er im Schlachthof beziehen konnte. An ihnen testete und optimierte er die verschiedenen Arbeitsschritte. Für die Scans und die Simulationen standen ihm schliesslich 15 Herzen zur Verfügung.

Die von ihm entwickelte Methode ist ein einmaliges Werkzeug, mit dem der Zusammenhang von hämodynamischen Faktoren und Gefässbiologie erforscht werden kann. Die Simulation kann aber auch dazu genutzt werden, die Anwendung von Stents zu optimieren oder neue Stent-Formen zu entwickeln und diese am Computer zu überprüfen.

Literaturhinweis

Rikhtegar F, Pacheco F, Wyss C, Stok KS, Ge H, et al. (2013) Compound Ex Vivo and In Silico Method for Hemodynamic Analysis of Stented Arteries. PLoS ONE 8(3): e58147. doi:10.1371/journal.pone.0058147

 
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