Veröffentlicht: 05.07.13
Campus

Erfolgsfaktor gesundes Personal

Die Abteilung Gesundheitsforschung und Betriebliches Gesundheitsmanagement (Public and Organisational Health, POH)von ETH und UZH erforscht den Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit. Ihr Weiterbildungsprogramm besteht seit 20 Jahren. POH-Leiter Georg Bauer zieht Bilanz und blickt in die Zukunft.

Interview: Norbert Staub und Isabelle Herold
Am Arbeitsplatz können die psychische Beanspruchung und das soziale Umfeld genauso «krank» machen wie physische oder chemische Belastungen – aber im positiven Fall auch zu hoher Leistung und Engagement führen, sagt der Gesundheits- und Arbeitswissenschaftler Georg Bauer. (Bild: ETH Zürich)
Am Arbeitsplatz können die psychische Beanspruchung und das soziale Umfeld genauso «krank» machen wie physische oder chemische Belastungen – aber im positiven Fall auch zu hoher Leistung und Engagement führen, sagt der Gesundheits- und Arbeitswissenschaftler Georg Bauer. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Die Abteilung POH und ihre Vorgängereinrichtung wirken seit 20 Jahren in die Gesellschaft hinein. Wie hat sich der Einfluss der Arbeitsbedingungen auf Gesundheit und Wohlbefinden in dieser Zeitspanne verändert?
Georg Bauer: Die Veränderungen sind enorm. Wir haben uns von einer Produktions- zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft gewandelt und erleben, wie die Globalisierung den Konkurrenz- und Veränderungsdruck steigert. Arbeit muss immer schneller und dichter erledigt werden, sonst wandert sie womöglich ab in günstigere Märkte. Die Informationstechnologie verstärkt den Trend, dass sich die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben auflösen.
Das psychische und soziale Gleichgewicht kommt bei alldem unter grossen Druck. Es überrascht deshalb nicht, dass wir eine Zunahme der mit Arbeit verbundenen psychischen Erkrankungen beobachten. In der Konsequenz hat sich die Forschungsperspektive von der einzelnen Person auf die Gesamtorganisation verschoben, in der arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme entstehen.

Burnouts scheinen an der Tagesordnung zu sein, «Stressmanagement» ist geradezu ein Modebegriff geworden. Was machen die Arbeitgeber falsch?
Sie reagieren viel zu wenig entschlossen auf die Stressursachen in ihren Unternehmen. Mitarbeitendengesundheit heisst weit mehr als das Vermeiden physischer Erkrankungen. Psychosoziale Faktoren, also die psychische Beanspruchung und das soziale Umfeld, können genauso «krank» machen wie physische oder chemische Belastungen – aber im positiven Fall auch zu hoher Leistung und Engagement führen. Es ist an der Zeit, sowohl negative wie positive Arbeitsbedingungen systematisch zu analysieren und zu optimieren – die Instrumente dafür sind vorhanden. Für Betriebe, die das tun, zahlt es sich aus.

Wie konkret?
Man schätzt, dass in der Schweiz arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme mehrere Milliarden Franken Absenz- und Behandlungskosten verursachen. Viel entscheidender ist aber die Leistungsfähigkeit der anwesenden Mitarbeitenden. So konnten wir mit Schweizer Daten zeigen, dass Mitarbeitende, bei denen hohe Arbeitsbelastungen wie Zeitdruck und unklare Rollen durch zentrale Ressourcen wie Anerkennung, soziale Unterstützung und Autonomie bei der Arbeit aufgewogen werden, rund zehn Prozent mehr leisten. Eine grosse Studie in Deutschland mit Daten aus 300 Betrieben sagt aus, dass das Ausmass an Mitarbeiterorientierung, also offene Kommunikation, Gerechtigkeit und Wertschätzung sogar rund 30 Prozent der Performanceunterschiede der Betriebe erklären konnten.

Sie erwähnen die sozialen Faktoren. Sind Gesundheit und Krankheit also nicht naturgegeben, sondern abhängig von der Gesellschaft, in der wir uns bewegen?
Ja, was und wer als gesund oder krank gilt, ist gesellschaftlich beeinflusst. Genügte Betrieben früher oft der Erhalt der physischen Arbeitsfähigkeit, brauchen sie heute mental belastbare, hoch motivierte, flexible und sozial kompetente Mitarbeitende. Das vielbeachtete Phänomen des Burnouts spiegelt den Trend, dass heute von vielen Menschen erwartet wird, als «Ich-AG» im Betrieb maximale Eigenverantwortung zu übernehmen und dabei eigene Leistungsgrenzen zu überschreiten. Der resultierende Stress steigert die Gefahr für Depressionen, Herzkreislauferkrankungen, Störungen im Bewegungsapparat etc. Um das zu verhindern, braucht das Arbeitsleben ein Gleichgewicht von Leistungsorientierung und Förderung nachhaltiger Leistungsfähigkeit und Gesundheit.

Wie haben Sie in Ihrem Bereich Gesundheitsforschung und Betriebliches Gesundheitsmanagement auf diese Entwicklung reagiert?
Mit Forschung, Beratung von Betrieben und gezielten Weiterbildungsangeboten, welche diese neuen Entwicklungen aufnehmen. Uns geht es darum, dass Betriebe das Verbesserungspotential erkennen und handeln können. So entwickeln wir einen Gesundheitsindex, der auf Basis von niederschwelligen Mitarbeitendenbefragungen die wichtigsten Arbeitsbelastungen und -ressourcen aufzeigt. Zudem haben wir ein Workshopformat entwickelt, in dem Führungskräfte mit ihren Teams auf Basis dieser Ergebnisse realisierbare Lösungen erarbeiten können.

Im Sommer 2014 wird die Abteilung POH ganz in das Institut für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Zürich (ISPMZ) integriert. Ändert sich dadurch etwas an der Ausrichtung?
Nicht grundsätzlich. Die beiden Hochschulen sind überzeugt, dass Forschung und Lehre im Bereich Arbeit und Gesundheit idealerweise an einer medizinischen Fakultät betrieben und entwickelt werden. Dies ist mit der Übernahme des ETH-seitigen Teils der POH durch die UZH gewährleistet. Die Abteilung ist im ISPMZ fachlich gut eingebettet, und es besteht Synergiepotential mit anderen Public Health Bereichen. Die Forschung und Weiterbildungsprogramme werden sich wie bisher an den Bedürfnissen der Erwerbsbevölkerung und der Unternehmenswelt orientieren.

Weiterhin Lehrangebote für ETH-Studierende

Der Gesundheits- und Arbeitswissenschaftler Georg Bauer leitet als Privatdozent seit 2006 die Kooperationsabteilung Gesundheitsforschung und Betriebliches Gesundheitsmanagement (Public and Organisational Health, POH) von ETH und Universität Zürich. Ab 1. Juli 2014 wird der ETH-seitige Teil der Abteilung POH, der bisher von der arbeits- und organisationspsychologischen Professur von Prof. Theo Wehner (Departement Management, Technologie und Ökonomie) getragen war, an das Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPMZ) der Universität Zürich transferiert. Das Gebiet der Ergonomie wird im ETH-Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie weitergeführt.
Die ETH Zürich unterstützt die POH auf längere Sicht finanziell, und ETH-Studierende werden durch massgeschneiderte Lehrveranstaltungen weiterhin von der POH-Forschung profitieren.
Das gemeinsam mit dem Institut Santé au Travail Lausanne angebotene Doktoratsprogramm sowie der aktuell im zehnten Durchgang laufende Weiterbildungsmaster «Arbeit + Gesundheit» werden ebenfalls an der UZH weitergeführt – letzterer in Form eines Weiterbildungsdiploms.

 
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