Veröffentlicht: 16.07.13
Science

Surfen auf der Schallwelle

ETH-Forscher lassen Objekte wie Partikel und Flüssigkeitströpfchen auf Schallwellen reitend fliegen. Zum ersten Mal konnten sie die Objekte dabei auch kontrolliert bewegen, Tröpfchen miteinander verschmelzen, chemisch oder biologisch reagieren und sogar längliche Objekte wie einen Zahnstocher in der Luft rotieren lassen.

Angelika Jacobs
Dieser Zahnstocher fliegt und rotiert auf Schallwellen. (Bild: Daniele Foresti / ETH Zürich)
Dieser Zahnstocher fliegt und rotiert auf Schallwellen. (Bild: Daniele Foresti / ETH Zürich) (Grossbild)

Ein Zahnstocher - frei in der Luft schwebend. Das klingt nach versteckten Fäden, Magneten oder anderen Taschenspielertricks, die man von Zauberkünstlern kennt. Doch der Trick, den Daniele Foresti, ehemaliger Doktorand und jetzt Postdoc im Labor für Thermodynamik in neuen Technologien, verwendet, beruht auf Schallwellen. Ihm und seinen Kollegen ist das Kunststück gelungen, ohne faulen Zauber freischwebende Objekte – unabhängig von ihrer Beschaffenheit - kontrolliert auf einer zweidimensionalen Ebene zu bewegen.

Den Zahnstocher brachte Foresti nicht aus reiner Spielerei zum Schweben: Objekte wie Partikel oder Flüssigkeitströpfchen freischwebend in der Luft zu bewegen, erlaubt Prozesse ohne den störenden Kontakt zu einer Oberfläche zu untersuchen. Denn einige chemische Reaktionen und biologische Prozesse werden von Oberflächen beeinflusst, und manche Substanzen zerfallen beim Kontakt beispielsweise mit einer Plastikoberfläche.

Reiten auf der stehenden Welle

Bislang konnten Wissenschaftler eine solche «kontaktfreie» Bewegung in der Luft nur mithilfe von Magneten oder in Flüssigkeiten erzeugen. Diese Methoden schränken jedoch stark die Wahl von Materialien, die sich damit bewegen lassen, ein. «Beispielsweise ist es sehr schwierig, eine Flüssigkeit mit Magneten zum Schweben zu bringen und kontrolliert zu bewegen. Dazu muss die Flüssigkeit geeignete magnetische Eigenschaften besitzen. In einer Flüssigkeit, wo der Auftrieb den Schwebezustand ermöglicht, braucht es unmischbare Flüssigkeitströpfchen, wie Öl in Wasser », erklärt Dimos Poulikakos, Professor für Thermodynamik und Leiter des Forschungsprojektes.

Im Gegensatz dazu können Schallwellen verschiedene Objekte unabhängig von ihrer Beschaffenheit zum Schweben bringen. Limitierend ist der maximale Durchmesser eines Objektes, welcher der halben Wellenlänge der verwendeten Schallwelle entsprechen muss. Den stationären Schwebezustand erreicht ein solches Objekt, wenn alle auf es wirkende Kräfte im Gleichgewicht sind. Das heisst, die Schwerkraft, die in einer Richtung an dem Objekt zieht, wird durch eine ebenso grosse Kraft in entgegen gesetzter Richtung aufgehoben. Diese Kraft kommt von der Schallwelle, welche die Forschenden als stehende Welle zwischen einem Emitter und einem Reflektor, der die Schallwellen zurückwirft, erzeugen. Die Kraft der Schallwelle drückt gegen das Objekt und hindert es so am Fallen. Ähnlich dem Luftstrahl eines Gebläses, welches einen Tischtennisball in der Schwebe hält.

Ein schwebendes Tröpfchen Kaffee

Dass Schallwellen eine Kraft – den Schalldruck – auf Objekte ausüben, die diese im Schwebezustand halten können, wurde vor über hundert Jahren entdeckt. Bislang war es jedoch nicht gelungen, auf Schallwellen reitende Objekte in der Luft kontrolliert zu bewegen. Foresti hat dieses Ziel erreicht, indem er mehrere Emitter-Reflektor-Module parallel nebeneinander schaltete. Er variierte die Schallwellen von Modul zu Modul, um Flüssigkeitströpfchen und Partikel von einem Modul zum nächsten zu schieben.

In einem Testlauf habe er so einen Krümel Instant-Kaffee auf ein Wassertröpfchen zu bewegt und beide verschmelzen lassen, verrät Foresti. In einem weiteren Experiment liess er zwei Tropfen einer Flüssigkeit mit unterschiedlichem pH-Wert – einer im sauren, einer im basischen Bereich – verschmelzen. Darin gelöst war ein Fluoreszenzfarbstoff, der nur bei einem neutralen pH-Wert leuchtet. Im Video hielt er fest, wie sich die beiden Tropfen mischen und der Farbstoff zu leuchten beginnt.

Prozesse in der Schwebe studieren

«Es gibt eine reiche Palette möglicher Anwendungen für diese Methode, Objekte in der Schwebe zu bewegen», sagt Foresti. Den Prozess kann man auch parallel mit mehreren Objekten laufen lassen, weshalb er geeignet für industrielle Anwendungen ist. So könnten damit beispielsweise biologische und chemische Experimente durchgeführt werden, bei denen Partikel oder Tropfen eines Ausgangsmaterials erst verarbeitet und dann analysiert werden müssen. Die Forschenden können dabei schrittweise winzige Mengen von Substanzen und Flüssigkeiten mischen, ohne dass es beispielsweise zu chemischen Veränderungen der Substanzen aufgrund des Kontakts mit einer Oberfläche kommt.

Die Forscher haben die Methode schon mit Tropfen und Partikeln von einigen Millimetern Durchmesser getestet. Die Frequenz der Schallwellen muss jedoch mit Bedacht gewählt werden: Überschreitet der Schalldruck die Oberflächenkraft einer bestimmten Flüssigkeit, wird ein Tropfen explosionsartig atomisiert. Tropfen aus Wasser, Kohlenwasserstoffen und verschiedenen Lösungsmitteln liessen die Forschenden erfolgreich mit Ultraschallwellen fliegen.

Literaturhinweis

Foresti D, Nabavi M, Klingauf M, Ferrari A, Poulikakos D. Acoustophoretic Contactless Transport and Handling of Matter in Air. PNAS, July 15, 2013. DOI: 10.1073/pnas.1301860110