Veröffentlicht: 24.07.13
Kolumne

Ein international ausgerichteter Campus

Florian Emaury
Innerhalb der AVETH leitet Florian Emaury die Arbeitsgruppe Politik (PoWoG) und setzt sich in diesem Rahmen aktiv für die Integration der ausländischen Mitarbeitenden an der ETH ein. (Foto: Florian Emaury)
Innerhalb der AVETH leitet Florian Emaury die Arbeitsgruppe Politik (PoWoG) und setzt sich in diesem Rahmen aktiv für die Integration der ausländischen Mitarbeitenden an der ETH ein. (Foto: Florian Emaury) (Grossbild)

Was glauben Sie, wie gut sich Wissenschaftler, die kein Deutsch sprechen, auf dem Campus der ETH Zürich zurechtfinden? Sehr gut, weil sie sich in einem mehrsprachigen Umfeld bewegen? Oder weniger gut, weil sich die Universität zwar international präsentiert, aber der deutschen Sprache den Vorzug gibt?

Als Franzose war ich bestimmt kein leuchtendes Gegenbeispiel für die gängigen Vorurteile bezüglich der Fremdsprachenkenntnisse meiner Landsleute. Inzwischen spreche ich aber recht gut Englisch, so dass mir nach einigen Vorstellungsgesprächen eine Doktoratsstelle an der ETH angeboten wurde. Auch wenn dort die meisten der Studierenden deutschsprachig sind: Die internationale Ausrichtung der Universität machte die Stelle für mich besonders attraktiv, so dass mich neben den Forschungsmöglichkeiten die Aussicht lockte, meine Sprachkenntnisse an der ETH weiter vertiefen zu können.

Die Wirklichkeit sah dann allerdings etwas anders aus. Es fiel mir nicht leicht, mich zu integrieren – geschweige denn zu verstehen, was um mich herum vorging. Darauf, dass die Campussprache Deutsch ist, war ich nicht vorbereitet. Seit ich im September 2011 an die ETH Zürich kam, hat sich zwar vieles verbessert, aber die sprachlichen Hürden sind noch immer sehr hoch. Selbst so einfache Dinge wie die Speisekarte in der Cafeteria und ein Grossteil des Internet-Auftritts der ETH sind bisher nur auf Deutsch verfügbar. Noch frustrierender finde ich, dass die meisten internen Konferenzen und Kommissionssitzungen auf Deutsch stattfinden, was die Beteiligung und Eingliederung der ausländischen Mitarbeitenden stark einschränkt. Auch Teamgeist und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit können sich so meiner Ansicht nach kaum entwickeln, was letztlich die ETH daran hindert, eine der weltweiten Top-Adressen für Naturwissenschaften und Technologie zu werden.

Im Jahr 2011 kamen 65 Prozent der Doktoranden der ETH aus dem Ausland, die Hälfte davon aus dem nicht-deutschen Sprachraum. Gemessen am Anstieg der Gesamtzahl der Studierenden stieg der Anteil der ausländischen Studierenden, die kein Deutsch sprechen, in den vergangenen zehn Jahren überproportional an. In seinem Budgetbericht geht der ETH-Rat davon aus, dass sich die Zahl der an der ETH Studierenden bis zum Jahr 2020 auf 20‘000 erhöht. Es würde mich nicht wundern, wenn dann von den in dieser Zahl eingeschlossenen Doktoranden die Hälfte aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland stammte. Das wirft die Frage auf, ob und wie die ETH angesichts dieser Situation weiterhin auf internationaler und wissenschaftlicher Ebene wettbewerbsfähig bleiben kann. Ich denke da nicht so sehr an die Wahl der Arbeitssprache im Universitätsalltag, sondern vielmehr an die Rekrutierung und Integration von Wissenschaftlern aus dem nicht-deutschsprachigen Raum.

Sicher ist die ETH eine Schweizer Universität und Deutsch die offizielle Sprache im Raum Zürich. Im derzeitigen Unterrichtsbetrieb wird von einem grossen Teil der Doktoranden jedoch erwartet, dass sie die deutsche Sprache so gut beherrschen, dass sie auf Deutsch unterrichten und nahezu alle internen Sitzungen auf Deutsch abhalten können. Zurzeit gibt es zwar Bemühungen, nicht Deutsch sprechende Wissenschaftler besser einzubinden und sie beim Erlernen der deutschen Sprache zu unterstützen. Für die meisten ist es dennoch ein weiter Weg, bis sie wirklich fliessend auf Deutsch unterrichten können. Wenn das tatsächlich ein Ziel der Universität ist, sollte sie dieses Ziel stärker im Doktoratsstudium verankern und beispielsweise Sprachkurse finanziell fördern.

Die eigentliche Frage aber ist: Sollte die ETH weiterhin sehr gute Deutschkenntnisse voraussetzen, wenn überall auf der Welt Englisch als die Wissenschaftssprache schlechthin gilt? Das ist sicher nicht ganz einfach zu beantworten. Auf lange Sicht würde Englisch als offizielle Lingua Franca allerdings dazu beitragen, dass sich die Hälfte der Doktoranden, die sich heute noch ausgeschlossen fühlt, besser integrieren könnte. Für die meisten von uns ist Englisch ja auch eine Fremdsprache, deren Kenntnis wir durch Kurse und kontinuierliche Fortbildungen erweitern und perfektionieren. Könnte nicht eine stärkere Gewichtung des Englischen im universitären Alltag unsere Sprachkenntnisse automatisch verbessern? Und wäre dies nicht sogar eine bessere Voraussetzung für das zusätzliche Erlernen der deutschen Sprache?

Selbstverständlich müssen Doktoranden heute neben ihrer fachlichen Qualifikation weitere Kenntnisse und Fertigkeiten nachweisen – insbesondere auch Fremdsprachenkenntnisse. Ich teile voll und ganz die Auffassung, dass das Erlernen einer Fremdsprache – in diesem Fall Deutsch – auch kulturell einen Gewinn bringt. Die ETH sollte sich jedoch intensiver für eine echte Einbindung ihrer Doktoranden engagieren und diese nicht ausschliesslich ermuntern, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu erweitern. Damit würde sie der Universität zu einem Vorbildcharakter verhelfen, welcher diese von anderen, ähnlichen Institutionen unterscheidet: Die Einführung eines auf den bestehenden Lehrplan abgestimmten Programms, das die sprachliche und kulturelle Integration von Wissenschaftlern fördert, wäre für zukünftige, sicher noch stärker international ausgerichtete Generationen ausgesprochen attraktiv.

Über den Autor

Florian Emaury erwarb 2010 den Master of Science im Fachbereich Physik am Institut d'Optique Paris Tech (IOGS) in der Nähe von Paris. Nach einem einjährigen Arbeitsaufenthalt in Kalifornien (USA) forscht er nun in der von Professorin Ursula Keller geleiteten Ultrafast Laser Physics Group am Institut für Quantenelektronik der ETH, wo er sich mit der Weiterentwicklung der Lasertechnologie beschäftigt. Innerhalb der AVETH leitet Florian Emaury seit Februar 2012 die Arbeitsgruppe Politik (PoWoG) und setzt sich in diesem Rahmen aktiv für die Integration der ausländischen Mitarbeitenden an der ETH ein.