Veröffentlicht: 31.07.13
Kolumne

Stau am Fels

Tabita Arn
Tabita Arn studiert Elektrotechnik an der ETH Zürich und ist Mitgründerin der Studentinnen-Kommission LIMES. (Bild: Tabita Arn)
Tabita Arn studiert Elektrotechnik an der ETH Zürich und ist Mitgründerin der Studentinnen-Kommission LIMES. (Bild: Tabita Arn) (Grossbild)

Wenige Meter über mir stellt sich ein junger Mann mit schräg sitzendem Helm vor: «Hallo, ich bin Tobias. Sorry, wir waren noch nicht so oft am Berg und sind daher etwas langsam.» Mühsam versucht er, das Seil seiner Kletterpartie frei zu kriegen, welches sich weiter unten in einem Gebüsch verfangen hat. «Achtung Flasche!» Wenige Meter neben uns saust eine Wasserflasche vorbei. Soviel zur Bergromantik.

Regen im März, Schnee im Mai und nun endlich das erste sonnige Wochenende in diesem Sommer. Kaum zu glauben, wie lange wir warten mussten, bis wir Seile, Karabiner, Klemmkeile, Bandschlingen und Kletterschuhe auswintern durften und losmarschieren konnten. Es geht in die schönen Glarner Alpen. Dort wollten wir den Brüggler erklimmen. Nach einer engen, kurvenreichen Fahrt ergattern wir die letzte Lücke auf dem Parkplatz. Anscheinend sind wir nicht die einzigen, die das Wetter in die Berge gelockt hat. Da gibt es Autos mit schweizerischen, deutschen, französischen und italienischen Nummern.

Eine Stunde später erreichen wir die Felswand. Schon von weitem sehen wir diverse Seilschaften, die sich den Berg hoch rackern. Nach kurzer Suche und dem mühsamen Überqueren zweier Schneefelder, haben wir den Einstieg in unsere Route gefunden. Und auch hier sind bereits zwei Seilschaften am Start. Eine ist glücklicherweise schon über die Hälfte der Strecke hinauf geklettert. Die anderen haben aber erst den untersten Haken erreicht. Gezwungenermassen verlegen wir unser Picknick auf einen früheren Zeitpunkt, um anschliessend die Route antreten zu können. Als wir starten, kommt dann auch schon die nächste Gruppe an. Das wird wohl wirklich nichts mit dem romantischen, einsamen Klettern in den Bergen. Aber egal, das Wetter ist schön und der Fels perfekt.

Nach mehreren Anläufen und einigem Fluchen hat Tobias sein Seil entwirrt und ist auf dem weiteren Weg nach oben. Nun kann es endlich auch für uns weiter gehen. Denn mittlerweile ist es etwas eng geworden, da nun auch die Seilschaft von unten zu uns aufgeschlossen hat.

Ich kann meinen Ohren nicht trauen, als jemand «Achtung Schuh!» ruft. Oft hört man ein «Achtung Stein!», wenn sich ein Stein gelöst hat, oder «Achtung Seil!», wenn eine Partie abseilt. Doch einem Schuh musste ich noch nie ausweichen. Nun kämpft sich dieser arme Kerl barfuss den Berg hoch! Glücklicherweise können wir den Schuh in einem Gebüsch bergen und ihn auf dem Gipfel übergeben.

Die Seilschaft unter uns wird des Wartens in der prallen Sonne überdrüssig, kapituliert und seilt ab. Irgendwie verständlich. Auch wir sind wieder aufgelaufen. Nun lernen wir auch Tobias‘ Kollegen kennen, Maschinenbaustudenten aus Deutschland. Wir führen spannende Gespräche von der «Studienlandschaft Schweiz» über den «Akademischen Sportverein» bis zu den «überfüllten Kletterwänden». So wird es uns immerhin nicht langweilig.

Von links höre ich immer wieder lautes Debattieren. Ein Pärchen bemüht sich darum, die Felswand zu bezwingen - was ihnen anscheinend nicht wirklich gelingt. Sie hysterisch und überfordert. Er übermotiviert und untertalentiert. Natürlich gibt jeder dem anderen die Schuld und der Streit wird lauthals am Fels über zig Meter Distanz ausgetragen. Die Partie, die nach ihnen in die Route einsteigen will, entscheidet sich dann auch, einen anderen Weg zu wählen.

Nach längerem «Stop and Go» kommen wir auf dem Gipfel an und werden vom wunderschönen Panorama für unseren Durchhaltewillen belohnt. Nach einer kurzen Pause und einem Energieriegel machen wir uns ans Abseilen. Unglücklicherweise verhängt sich unser Seil. Als wäre das nicht schon mühsam genug, türmen sich über uns bedrohliche Gewitterwolken auf. Gleichzeitig mit den ersten Tropfen erreichen wir den Fuss der Felswand. Dann bricht das Gewitter los.

Nass, überglücklich und um ein paar Bekanntschaften reicher kommen wir beim Auto an. Aber an bekannten Wänden klettern wir von jetzt an sicher nur noch an einem Montag oder Donnerstag, Wochenenden sind ab jetzt tabu.

Über die Autorin, LIMES und den AMIV

LIMES (Ladies In Mechanical and Electrical Studies) ist eine Kommission des AMIVs, welche sich für gegenwärtige und zukünftige Studentinnen der Informationstechnologie und Elektrotechnik (D-ITET) sowie Maschinenbau und Verfahrenstechnik (D-MAVT) engagiert.
Der Akademische Maschinen- und Elektro-Ingenieur Verein (AMIV) an der ETH wurde 1893 gegründet. Er vertritt als Fachverein die Studierenden der Departemente MAVT und ITET.
Tabita Arn studiert Elektrotechnik an der ETH. Das erste Mastersemester hat sie in Stockholm absolviert. Momentan macht sie ein Praktikum bei Open Systems in Zürich. Tabita ist Mitgründerin von LIMES und im Vorstand aktiv. Sie ist gerne in den Bergen unterwegs und leidenschaftliche Kletterin.

 
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