Veröffentlicht: 07.08.13
Kolumne

Die frechen Tuk-Tuks aus Bangalore

Margrit Leuthold
Margrit Leuthold, Leiterin swissnex India. (Bild: ETH Zürich)
Margrit Leuthold, Leiterin swissnex India. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Vor einigen Tagen sprang mir ihr Bild im «Tagesanzeiger» entgegen: die beiden Vorzeige Tuk-Tuks, welche im vergangenen Sommer in Zürich zum ersten Mal zum Einsatz kamen. Blau-weiss natürlich, umweltschonend mit Elektromotor, ohne Beulen und Schrammen, sehr manierlich, dem Schweizer Standard entsprechend. Anscheinend sind sie ein Renner und werden diesen Herbst wieder zum Einsatz kommen.

In Bangalore wie auch in vielen anderen indischen und asiatischen Städten sind ihre frechen Brüder nicht mehr wegzudenken, die Drei-Räder, Auto-Rikschas, oder eben Tuk-Tuks. Ein gelb-grünes bzw. gelb-schwarzes Heer drängt sich durch die permanent verstopften Strassen. Hupend schlängeln sie sich rechts und links an Bussen, Motorrädern, Autos, Hunden und gelegentlich Kühen vorbei, oft mit waghalsigen Manövern und Millimeter genauen Berechnungen. Sie kennen nichts und niemanden wenn es darum geht, ein paar Zentimeter Strasse zu gewinnen oder ein paar Sekunden schneller zu sein. Gemäss amtlichen Schätzungen sind zur Zeit täglich 115'000 registrierte Fahrzeuge im Einsatz. Dazu kommen die zirka 25'000 bis 50'000, welche illegal betrieben werden. Die neueren Modelle sind mit Erdgas ausgerüstet, viele aber verwenden noch Diesel und verbreiten entsprechende Abgasschwaden. Die Bangalorer haben eine Hassliebe zu ihnen entwickelt, reden von «necessary devils». Alles wird darin transportiert - bis zu sieben Schulkinder hineingequetscht (erlaubt wären maximal vier), ganze Familien, aber auch Waren aller Art. Ohne Tuk-Tuks wären die Verkehrsituation und das Fortkommen noch unerträglicher.

Trotz ihrer Omnipräsenz ist es gar nicht so einfach, ein Fahrzeug zu erobern. Nicht selten muss man mehrere Fahrer ansprechen, bis man einen findet, der sich erbarmt, die gewünschte Strecke zu fahren. Sitzt man dann endlich glücklich auf der harten Hinterbank, beginnt das Feilschen um den Preis bzw. man versucht den Fahrer dazu zu bewegen, den offiziellen Taxometer anzustellen. An Werktagen ist dies meist erfolgreich, an Sonntagen oder nach Einbruch der Dunkelheit hingegen werden einem die Preise diktiert. Oft wird man aufgefordert, das Mehrfache des offiziellen Tarifs zu bezahlen, vor allem auch wenn der Fahrgast Nicht-Inder ist oder eine Destination angibt, an der man erkennt, dass man wohlhabend ist. Es bleibt nur noch zu entscheiden, ob man zähneknirschend die geforderte Summe bezahlen will oder wieder aussteigt und die Suche von Neuem beginnt. So wundert es nicht, dass die Fahrer einen schlechten Ruf haben. Zudem berichten die lokalen Medien fast täglich von Drohungen, inbesondere Belästigungen von weiblichen Fahrgästen oder Gewaltanwendungen.

Eine kürzlich durch das CISTUP (Center for Infrastructure, Sustainable Transportation and Urban Planning) am Indian Institute of Science durchgeführte Studie bei Auto-Rikscha-Fahrern ergab, dass diese durchschnittlich pro Tag drei Stunden auf Gäste warten, einen Weg von 120 Kilometern zurücklegen und 810 Rupien, also knapp 15 Franken verdienen. Wahrlich kein Zuckerschlecken, wenn man bedenkt, dass die Fahrer während der gesamten Arbeitszeit permanent Abgasen, Lärm und Stress ausgesetzt sind. Viele der Fahrer besizten keine eigenen Fahrzeuge, sondern mieten diese täglich für rund 250 bis 500 Rupien, also vier bis acht Franken. Da bleibt am Ende des Tages nicht mehr viel übrig. So ist es nicht verwunderlich, wenn versucht wird, die Passagiere über den Tisch zu ziehen, um etwas mehr Gewinn zu erwirtschaften.

Trotz allem: Ich liebe diese Rikschas. Ihre knuddlige Form weckt wohl Assoziationen an das Kindchen-Schema, und mit einer Fahrt durch die Stadt kann man die Stadt viel authentischer erleben. Statt hinter geschlossenen Scheiben im klimatisierten Auto zu sitzen – meist einem Toyota Innova, dem typischen, eigens für Indien entwickelten Modell, welches gerne von Expats gekauft wird - erlebt man die indische Grosstadt auf diese Weise ungefiltert. Jedes Schlagloch, jedes Hupen und gnadenlose Hitze, Lärm und Gestank. Und es gibt uns Ausländern das Gefühl, für einmal echt dazuzugehören.

Solange die grossen Infrastrukturprojekte in Bangalore – die neuen Schnellstrassen auf Stelzen für Motorfahrzeuge oder der weitere Ausbau der Metrolinie, welche dem permanenten Verkehrsinfarkt Abhilfe schaffen sollten - wenig sichtbare Fortschritte machen, sind die Tuk-Tuks unverzichtbar und werden weiterhin das Verkehrsbild beleben. Und vielleicht sind sie ja auch ein Zukunftsmodell für Zürich.

Zur Person

Margrit Leuthold leitet seit August 2012 swissnex India, das in Bangalore ansässig ist. Hauptziel der swissnex ist es, den Austausch im Bereich von Bildung, Forschung, Technologien und Innovation zu unterstützen und die Institutionen des Schweizer Hochschul- und Forschungsbereichs international zu vernetzen. Sie pflegen einen engen Austausch mit Universitäten, Forschungsinstituten und Unternehmen in der Gastregion und führen wissenschaftliche und kulturelle Anlässe durch. Davor leitete die promovierte Biologin bis Juli 2012 den Bereich Internationale Institutionelle Angelegenheiten der ETH Zürich. Für die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften war sie acht Jahre lang als Generalsekretärin tätig. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit erholt Margrit Leuthold sich in den Bergen und beim Sport. Sie ist eine begeisterte Kinogängerin und liest sehr gern.