Veröffentlicht: 26.09.13
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«Mit Asien hat die ETH die richtige Wahl getroffen»

Gerhard Schmitt, Delegierter ETH Global und Gründungsdirektor des Singapore ETH Centre for Global Environmental Sustainability (SEC), hat in Singapur während drei Jahren eine Forschungsplattform zur nachhaltigen Entwicklung zukünftiger Städte aufgebaut. Jetzt ist er wieder in Zürich und gibt uns Einblicke in seine Arbeit vor Ort.

Interview: Angela Harp und Norbert Staub
«Unser Ziel ist es, dem Singpore-ETH Centre einen festen Platz an einem erstklassigen Forschungsstandort in Asien zu geben.» (Bild: Norbert Staub / ETH Zürich)
«Unser Ziel ist es, dem Singpore-ETH Centre einen festen Platz an einem erstklassigen Forschungsstandort in Asien zu geben.» (Bild: Norbert Staub / ETH Zürich) (Grossbild)

Was hat Sie in Asien am meisten beeindruckt während Ihrer Zeit als Direktor des Singapore ETH Centre?
Gerhard Schmitt: Das heutige Asien, so wie ich es jetzt erlebt habe, unterscheidet sich ganz wesentlich von demjenigen der Neunziger Jahre. In den Ländern Südost-Asiens ist in der Gesellschaft, der Geschäftswelt, der Politik und im akademischen Bereich ein positives Bewusstsein der Unabhängigkeit, ein Wachstumsgeist und eine Sensibilität für die zukünftige Entwicklung dieser Länder zu spüren. Die absoluten Zahlen zeigen, dass Asien jetzt die höchste Urbanisierungsrate der Menschheitsgeschichte aufweist.

Weshalb entwickelt sich gerade der akademische Bereich Ihrer Meinung nach so rasant in Asien?
Die ökonomische Entwicklung hat den akademischen Bereich massgeblich beeinflusst. Mit einer stabileren Wirtschaft ist es den Ländern der Region gelungen, Fachleute aus aller Welt zu gewinnen und die eigenen Experten an renommierte Institutionen rund um den Globus zu senden, um deren Best Practices zu analysieren und zu erlernen. China holt ehemalige Studierende als Dozierende zurück ins Land, vor allem aus den USA und Europa, und Spezialisten aus Singapur, China und Indien kommen in die Schweiz, um unser Bildungssystem auf allen Stufen zu untersuchen. Dabei sehen sie die Vorteile des dualen Systems, das die Basis für Innovation, Beschäftigung, Wertschöpfung, soziale Integration und wissenschaftliche Exzellenz bildet. Es ist jedoch nicht trivial, solch ein System in einem anderen Umfeld zu implementieren. Was das Singapore-ETH Centre betrifft, so haben wir mit dessen Ansiedlung in Asien auf jeden Fall die richtige Wahl getroffen. In Singapur steht die inzwischen höchstrangierte Universität Asiens. Dort ist es möglich, mit wissenschaftlichen Peers in einem lebendigen Labor an faszinierenden Projekten zu arbeiten, die nicht in der Schweiz hätten durchgeführt werden können.

Was war der grösste Erfolg während Ihrer drei Jahre in Singapur?
Die Schaffung von Grundlagen für die Entwicklung nachhaltiger Städte mit hoher Lebensqualität. Wir hatten uns dies von Anfang an, schon im Jahr 2006, zum Ziel gesetzt. Damals hatte nachhaltige Stadtentwicklung in jener Region der Welt keine hohe Priorität. Deshalb mussten wir das Thema 'Nachhaltigkeit' beharrlich ins öffentliche Bewusstsein rücken. Beim Thema 'Stadtentwicklung' war die ETH unter den Ersten, die darin ein entscheidendes Forschungspotenzial für die Zukunft sahen, mit enorm positiven wirtschaftlichen und umweltrelevanten Auswirkungen. Heute ist dieses Forschungsgebiet ein beständiges Thema in der öffentlichen Diskussion.

Daher also das Future Cities Laboratory (FCL).
Ja. Das Phänomen Stadt, Urbanisierungsprozesse und deren Auswirkungen sind inzwischen weltweit diskutierte Themen. Das FCL, unser transdisziplinäres Forschungszentrum, untersucht die urbane Nachhaltigkeit im lokalen und globalen Kontext und hat sich als eine der ersten Adressen auf diesem Gebiet etabliert – die FCL-Website wird bis zu 7000 Mal pro Stunde aufgerufen. Mehr als 200 Personen aus 30 Nationen - Doktorierende, Studierende in Design Research Studios, Postdocs sowie Professoren und Professorinnen - arbeiten intensiv an Modellen für die Stadt von morgen, ihrer Umweltverträglichkeit, Lebensqualität, Wertschöpfung und ihren sozialen Integrationsfaktoren. Wir möchten das Stadt-Land-Gefüge der Zukunft verstehen, gestalten, transformieren, implementieren und koordinieren. Dabei wächst der Einfluss der jetzigen und künftigen Bewohner durch ubiquitären Informationszugang schnell.

Welche Herausforderungen mussten Sie zu Beginn meistern?
Es war nicht wirklich einfach, ein Forschungsinstitut als Non-Profit-Institution mehr als 10‘000 Kilometer von der Schweiz entfernt auf die Beine zu stellen, 50 km nördlich des Äquators, in einem völlig anderen kulturellen Umfeld, ohne dabei direkt auf die Infrastruktur und die hervorragenden Administration der ETH Zürich zurückgreifen zu können. Die Unterstützung der Schulleitung und besonders des Präsidenten war essenziell. Im September 2010 begannen wir mit zwei Personen in Singapur und konzentrierten uns zunächst auf die wichtigsten Aspekte, um das Forschungszentrum zum Laufen zu bringen: Mitarbeitende, Arbeitsplätze und Finanzen. Da wir glücklicherweise wussten, was an der ETH am besten funktioniert, konnten wir in Singapur eine analoge und extrem flache Struktur aufbauen.

Welche Resultate hat das Future Cities Lab bisher geliefert?
Neben der Erfüllung der Leistungsziele wie Publikationen und die Forschung mit Doktorierenden entstehen die wichtigsten Ergebnisse aus der transdisziplinären Zusammenarbeit. Die zur Halbzeit des Projekts im September eröffnete Ausstellung zeigt Kooperationen und Projektvorhaben von Forschenden verschiedener Disziplinen: Rochor+, Tropical Town, Cooler Calmer Singapore; eine neuartige Materialentwicklung aus Bambusfasern und Polymeren, die das Bauen in Teilen der Welt revolutionieren und sowohl dessen CO2-Fussabdruck als auch die Kosten reduzieren könnte; Entdeckungen aus der Analyse von big data, die aufzeigen, wie man die Zentralität der Städte verlagern kann; belastbare Erkenntnisse über das entscheidende Zusammenspiel von Mobilität und multifunktionaler Städteplanung – um nur einige der Resultate zu nennen. Diese sind fundamental für die Weiterentwicklung nachhaltiger Städte.

Was ist als Nächstes geplant?
Das zweite SEC-Forschungsprogramm 'Future Resilient Systems' ist bereits in der Vorprüfung, danach könnte ab 2015 ein weiteres Programm folgen. Ferner entwickeln wir alternative Formen der Vermittlung städtebaulicher Forschungsergebnisse – in Asien, Afrika und Südamerika fehlen Hunderttausende von Architekten und Planern; in Frage kommen Design Research Studios, 'Blended Learning' – die Verknüpfung von Präsenzunterricht und E-Learning – und Massive Open Online Kurse (MOOCs). Im Jahr 2015 beginnt dann eine zweite Phase des Future Cities Laboratory. Unser Ziel ist es, dem ETH Centre einen festen Platz an einem erstklassigen Forschungsstandort in Asien zu geben und es zu einer anerkannten Forschungseinrichtung in der Region zu machen. Gleichzeitig stellt es eine wichtige Forschungsplattform der ETH Zürich in Asien dar, wo Studierende und Dozierende sich mit der ETH vertraut machen können, bevor sie sich für einen Aufenthalt in der Schweiz entscheiden.

Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger Peter Edwards mit auf den Weg?
Die Menschen und Institutionen in Singapur haben unsere multinationale SEC Community – der das Evaluationskommittee 'Swiss work ethics' bestätigte – sehr positiv aufgenommen und unterstützt. Die Schweizer Botschaft und Swissnex Singapore tragen ebenfalls wesentlich dazu bei. Ich freue mich, dass Peter Edwards meine Nachfolge antritt und gebe ihm einen einfachen Ratschlag: zuhören, sich engagieren und vorwärts streben.

Peter Edwards ist neuer Direktor des SEC

Peter Edwards, Professor für Pflanzenökologie an der ETH und bis vor Kurzem Vorsteher des Departements Umweltsystemwissenschaften, wird am 1. Oktober 2013 seine Amtszeit als Direktor des Singapore ETH Centre antreten. Seine Forschungstätigkeit ist auf Ökosysteme sowie grossflächige ökologische Prozesse ausgerichtet. Viele seiner Projekte befassen sich mit der Anwendung ökologischer Forschungsergebnisse bei der Lösung von Umweltproblemen. Peter Edwards soll auch das zweite Forschungsprogramm zum Thema 'Future Resilient Systems' aufgleisen. Schwerpunkt dieses Programms ist die Prognose und Analyse potenzieller Risiken und Schwachpunkte innerhalb komplexer, voneinander abhängiger Systeme, von denen die erfolgreiche Entwicklung von Ländern wie Singapur und der Schweiz wesentlich abhängig ist. Auch wird untersucht, wie die Stabilität solcher Systeme erhöht werden kann.

Gerhard Schmitt
ist nach Zürich zurückgekehrt. Forschungsschwerpunkte seiner Professur für Informationsarchitektur (iA) sind das Verstehen, die Formalisierung und Simulation von Stadt-Land-Systemen, unter Berücksichtigung der wachsenden Bedeutung von crowdsourcing, big data und data driven design. Am Future Cities Laboratory in Singapur leitet er dazu weiterhin die Simulationsplattform. Praktisches Ziel ist es, Stadtplanungen weltweit mit lokal anwendbaren, Szenario-basierten Planungsinstrumenten auszurüsten. Als Delegierter ETH Global wird er die Interessen der ETH im Ausland vertreten und die Aufgaben der ETH als Leading House und der Universität Zürich als Co-Leading House für den Ausbau der Beziehungen der Schweizer Hochschulen zu China, Japan, Korea, den ASEAN Ländern und Australien unterstützen.

 
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