«Mit Asien hat die ETH die richtige Wahl getroffen»
Gerhard Schmitt, Delegierter ETH Global und Gründungsdirektor des Singapore ETH Centre for Global Environmental Sustainability (SEC), hat in Singapur während drei Jahren eine Forschungsplattform zur nachhaltigen Entwicklung zukünftiger Städte aufgebaut. Jetzt ist er wieder in Zürich und gibt uns Einblicke in seine Arbeit vor Ort.
Was hat Sie in Asien am meisten beeindruckt
während Ihrer Zeit als Direktor des Singapore ETH Centre?
Gerhard Schmitt: Das heutige Asien, so wie ich es jetzt erlebt
habe, unterscheidet sich ganz wesentlich von demjenigen der Neunziger Jahre. In
den Ländern Südost-Asiens ist in der Gesellschaft, der Geschäftswelt, der Politik
und im akademischen Bereich ein positives Bewusstsein der Unabhängigkeit, ein
Wachstumsgeist und eine Sensibilität für die zukünftige Entwicklung dieser
Länder zu spüren. Die absoluten Zahlen zeigen, dass Asien jetzt die höchste
Urbanisierungsrate der Menschheitsgeschichte aufweist.
Weshalb entwickelt sich gerade der akademische
Bereich Ihrer Meinung nach so rasant in Asien?
Die ökonomische Entwicklung hat den akademischen
Bereich massgeblich beeinflusst. Mit einer stabileren Wirtschaft ist es den
Ländern der Region gelungen, Fachleute aus aller Welt zu gewinnen und die
eigenen Experten an renommierte Institutionen rund um den Globus zu senden, um
deren Best Practices zu analysieren und zu erlernen. China holt ehemalige
Studierende als Dozierende zurück ins Land, vor allem aus den USA und Europa,
und Spezialisten aus Singapur, China und Indien kommen in die Schweiz, um unser
Bildungssystem auf allen Stufen zu untersuchen. Dabei sehen sie die Vorteile des
dualen Systems, das die Basis für Innovation, Beschäftigung, Wertschöpfung,
soziale Integration und wissenschaftliche Exzellenz bildet. Es ist jedoch nicht
trivial, solch ein System in einem anderen Umfeld zu implementieren. Was das
Singapore-ETH Centre betrifft, so haben wir mit dessen Ansiedlung in Asien auf
jeden Fall die richtige Wahl getroffen. In Singapur steht die inzwischen
höchstrangierte Universität Asiens. Dort ist es möglich, mit wissenschaftlichen
Peers in einem lebendigen Labor an faszinierenden Projekten zu arbeiten, die
nicht in der Schweiz hätten durchgeführt werden können.
Was war der grösste Erfolg während Ihrer drei
Jahre in Singapur?
Die Schaffung von
Grundlagen für die Entwicklung nachhaltiger Städte mit hoher Lebensqualität.
Wir hatten uns dies von Anfang an, schon im Jahr 2006, zum Ziel gesetzt. Damals
hatte nachhaltige Stadtentwicklung in jener Region der Welt keine hohe Priorität.
Deshalb mussten wir das Thema 'Nachhaltigkeit' beharrlich ins öffentliche Bewusstsein rücken. Beim Thema 'Stadtentwicklung' war die ETH unter den Ersten, die darin ein entscheidendes
Forschungspotenzial für die Zukunft sahen, mit enorm positiven wirtschaftlichen
und umweltrelevanten Auswirkungen. Heute ist dieses Forschungsgebiet ein
beständiges Thema in der öffentlichen Diskussion.
Daher
also das Future Cities Laboratory (FCL).
Ja. Das Phänomen
Stadt, Urbanisierungsprozesse und deren Auswirkungen sind inzwischen weltweit diskutierte
Themen. Das FCL, unser transdisziplinäres Forschungszentrum,
untersucht die urbane Nachhaltigkeit im lokalen und globalen Kontext und hat
sich als eine der ersten Adressen auf diesem Gebiet etabliert – die FCL-Website
wird bis zu 7000 Mal pro Stunde aufgerufen. Mehr als 200 Personen aus 30
Nationen - Doktorierende, Studierende in Design Research Studios, Postdocs
sowie Professoren und Professorinnen - arbeiten intensiv an Modellen für die Stadt von morgen,
ihrer Umweltverträglichkeit, Lebensqualität, Wertschöpfung und ihren sozialen Integrationsfaktoren.
Wir möchten das Stadt-Land-Gefüge der Zukunft verstehen, gestalten, transformieren,
implementieren und koordinieren. Dabei wächst der Einfluss der jetzigen und
künftigen Bewohner durch ubiquitären Informationszugang schnell.
Welche Herausforderungen mussten Sie zu Beginn
meistern?
Es war nicht wirklich
einfach, ein Forschungsinstitut als Non-Profit-Institution mehr als 10‘000 Kilometer
von der Schweiz entfernt auf die Beine zu stellen, 50 km nördlich des Äquators,
in einem völlig anderen kulturellen Umfeld, ohne dabei direkt auf die
Infrastruktur und die hervorragenden Administration der ETH Zürich
zurückgreifen zu können. Die Unterstützung der Schulleitung und besonders des
Präsidenten war essenziell. Im September 2010 begannen wir mit zwei Personen in
Singapur und konzentrierten uns zunächst auf die wichtigsten Aspekte, um das Forschungszentrum
zum Laufen zu bringen: Mitarbeitende, Arbeitsplätze und Finanzen. Da wir
glücklicherweise wussten, was an der ETH am besten funktioniert, konnten wir in
Singapur eine analoge und extrem flache Struktur aufbauen.
Welche Resultate hat das Future Cities Lab
bisher geliefert?
Neben der Erfüllung
der Leistungsziele wie Publikationen und die Forschung mit Doktorierenden
entstehen die wichtigsten Ergebnisse aus der transdisziplinären Zusammenarbeit.
Die zur Halbzeit des Projekts im September eröffnete Ausstellung zeigt Kooperationen
und Projektvorhaben von Forschenden verschiedener Disziplinen: Rochor+,
Tropical Town, Cooler Calmer Singapore; eine neuartige Materialentwicklung aus
Bambusfasern und Polymeren, die das Bauen in Teilen der Welt revolutionieren
und sowohl dessen CO2-Fussabdruck als auch die Kosten reduzieren
könnte; Entdeckungen aus der Analyse von big data, die aufzeigen, wie man die
Zentralität der Städte verlagern kann; belastbare Erkenntnisse über das
entscheidende Zusammenspiel von Mobilität und multifunktionaler Städteplanung –
um nur einige der Resultate zu nennen. Diese sind fundamental für die
Weiterentwicklung nachhaltiger Städte.
Was ist als Nächstes geplant?
Das zweite SEC-Forschungsprogramm 'Future Resilient Systems' ist bereits in
der Vorprüfung, danach könnte ab 2015 ein weiteres Programm folgen. Ferner entwickeln
wir alternative Formen der Vermittlung städtebaulicher Forschungsergebnisse –
in Asien, Afrika und Südamerika fehlen Hunderttausende von Architekten und
Planern; in Frage kommen Design Research Studios, 'Blended Learning' – die Verknüpfung von Präsenzunterricht und
E-Learning – und Massive Open Online Kurse (MOOCs). Im Jahr 2015 beginnt dann
eine zweite Phase des Future Cities Laboratory. Unser Ziel ist es, dem ETH
Centre einen festen Platz an einem erstklassigen Forschungsstandort in Asien zu
geben und es zu einer anerkannten Forschungseinrichtung in der Region zu
machen. Gleichzeitig stellt es eine wichtige Forschungsplattform der ETH Zürich
in Asien dar, wo Studierende und Dozierende sich mit der ETH vertraut machen
können, bevor sie sich für einen Aufenthalt in der Schweiz entscheiden.
Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger Peter
Edwards mit auf den Weg?
Die Menschen und
Institutionen in Singapur haben unsere multinationale SEC Community – der das
Evaluationskommittee 'Swiss work ethics' bestätigte – sehr positiv aufgenommen
und unterstützt. Die Schweizer Botschaft und Swissnex Singapore tragen
ebenfalls wesentlich dazu bei. Ich freue mich, dass Peter Edwards meine
Nachfolge antritt und gebe ihm einen einfachen Ratschlag: zuhören, sich
engagieren und vorwärts streben.
Peter Edwards ist neuer Direktor des SEC
Peter Edwards, Professor
für Pflanzenökologie an der ETH und bis vor Kurzem Vorsteher des Departements
Umweltsystemwissenschaften, wird am 1. Oktober 2013 seine Amtszeit als Direktor
des Singapore ETH Centre antreten. Seine Forschungstätigkeit ist auf Ökosysteme
sowie grossflächige ökologische Prozesse ausgerichtet. Viele seiner Projekte
befassen sich mit der Anwendung ökologischer Forschungsergebnisse bei der Lösung
von Umweltproblemen. Peter Edwards soll auch das zweite Forschungsprogramm zum
Thema 'Future Resilient Systems' aufgleisen. Schwerpunkt dieses Programms ist
die Prognose und Analyse potenzieller Risiken und Schwachpunkte innerhalb komplexer,
voneinander abhängiger Systeme, von denen die erfolgreiche Entwicklung von
Ländern wie Singapur und der Schweiz wesentlich abhängig ist. Auch wird
untersucht, wie die Stabilität solcher Systeme erhöht werden kann.
Gerhard Schmitt ist nach Zürich zurückgekehrt. Forschungsschwerpunkte
seiner Professur für Informationsarchitektur (iA) sind das Verstehen, die
Formalisierung und Simulation von Stadt-Land-Systemen, unter Berücksichtigung
der wachsenden Bedeutung von crowdsourcing, big data und data driven design. Am
Future Cities Laboratory in Singapur leitet er dazu weiterhin die
Simulationsplattform. Praktisches Ziel ist es, Stadtplanungen weltweit mit lokal
anwendbaren, Szenario-basierten Planungsinstrumenten auszurüsten. Als
Delegierter ETH Global wird er die Interessen der ETH im Ausland vertreten und
die Aufgaben der ETH als Leading House und der Universität Zürich als
Co-Leading House für den Ausbau der Beziehungen der Schweizer Hochschulen zu
China, Japan, Korea, den ASEAN Ländern und Australien unterstützen.
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