Veröffentlicht: 17.10.13
Science

Irrtum im Gehirn beobachtet

Ein grosses Ziel der Hirnforschung ist es, aus Magnetresonanzbildern der Hirnaktivität ablesen zu können, wie eine Person lernt. Einen wichtigen Grundstein auf dem Weg dorthin haben Forschende der ETH Zürich und der Universität Zürich gelegt: Sie konnten zeigen, dass Irrtümer während eines Lernprozesses bestimmte Hirnareale aktivieren.

Angelika Jacobs
Nervenzellen kommunizieren miteinander über Neurotransmitter wie Dopamin und Acetylcholin. Solche Signalnetzwerke werden gezielt aktiviert im Zusammenhang mit Lernprozessen. (Grafik: Emily Evans, Wellcome Images, flickr.com)
Nervenzellen kommunizieren miteinander über Neurotransmitter wie Dopamin und Acetylcholin. Solche Signalnetzwerke werden gezielt aktiviert im Zusammenhang mit Lernprozessen. (Grafik: Emily Evans, Wellcome Images, flickr.com) (Grossbild)

So wie ein Arzt über einen Bluttest zurückschliessen kann, ob die Leber eines Patienten gesund ist, versuchen Neurologen über nicht-invasive Tests die Hirnaktivität ihrer Patienten zu untersuchen. Mithilfe bildgebender Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) können Mediziner die Aktivität bestimmter Hirnareale anhand ihrer Durchblutung messen. Die Verknüpfung dieser durch fMRI abgebildeten Hirnaktivitäten mit neuronalen Prozessen, also der Aktivität bestimmter Nervenzell-Netzwerke, ist nach wie vor schwierig.

Diese Verknüpfung herzustellen, ist das Ziel von Klaas Stephan, Professor für Translationale Neuromodellierung an der ETH und der Universität Zürich, und seinen Mitarbeitenden. Einen bedeutenden Grundstein dafür hat Stephans Doktorandin Sandra Iglesias gelegt: Gemeinsam mit ihren Kollegen konnte sie zeigen, dass bestimmte Schritte eines Lernprozesses – genauer gesagt Irrtümer beim Assoziationslernen – zwei bestimmte Nervenzell-Netzwerke im Gehirn aktivierten.

Dopamin nicht nur im Zusammenhang mit Belohnung

In einer Testreihe hörten Probanden einen hohen oder einen tiefen Ton und mussten anschliessend vorhersagen, ob sie das Bild eines Hauses oder eines Gesichts zu sehen bekämen. Dabei erschien beispielsweise das Bild des Hauses mit 70 Prozent Wahrscheinlichkeit nach dem hohen Ton. Gleichzeitig beobachteten die Forschenden die Hirnaktivität anhand von fMRI. Die Kernfrage dieses Versuchs war, welche Gehirnareale bei einer falschen Vorhersage aktiviert wurden.

Lagen die Probanden in ihrer Vorhersage falsch, aktivierte dies das Mittelhirn. Dort liegen hauptsächlich Neuronen vor, die über den Neurotransmitter Dopamin kommunizieren, sogenannte dopaminerge Nervenzellen. «Bislang hat man angenommen, dass dopaminerge Neuronen in Lernprozessen eine unerwartete Belohnung signalisieren», erklärt Iglesias. In ihrer Studie konnten sie und ihre Kollegen jedoch erstmals nachweisen, dass diese Nervenzellen auch unabhängig von Belohnung aktiviert wurden. Ausgelöst wurde diese Aktivität nämlich allein durch das unerwartete Auftauchen des Hauses oder des Gesichts nach einer falschen Vorhersage. «Das hat mit Belohnung nichts zu tun», betont Iglesias.

Den Forschenden gelang es, noch eine weitere Facette des Lernens mit einer bestimmten Hirnaktivität zu verknüpfen: Im Verlauf des 24-minütigen Lerntests variierten die Forschenden die Wahrscheinlichkeit, mit der das Bild mit dem jeweiligen Ton verknüpft war. Gleichzeitig beobachteten sie, wie schnell und akkurat die Probanden ihre Vorhersage der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit anpassten. Je stärker die erwartete Wahrscheinlichkeit des Probanden von der tatsächlichen abwich, desto mehr war im fMRI eine Aktivität im basalen Vorderhirn abzulesen. Dort liegen hauptsächlich Nervenzellen vor, die über den Neurotransmitter Acetylcholin kommunizieren.

Auf dem Weg zum diagnostischen Werkzeug

Mit ihren Erkenntnissen stehen die Forschenden noch am Anfang des Weges. «Noch haben wir keine Korrelation mit klinisch bedeutsamen Prozessen untersucht», sagt Stephan. Das Verfahren müsse weiter entwickelt werden, um diagnostisch relevante Prozesse bei Patienten auslesen zu können. «Wenn wir mithilfe eines solchen Verfahrens feststellen können, dass beispielsweise ein Subtyp von Schizophrenie mit einer Störung der dopaminergen Signalsysteme im Gehirn zusammenhängt, ein anderer Subtyp aber nicht, hat das Auswirkungen auf die Wahl des Medikaments.»

In einem nächsten Schritt wird Iglesias untersuchen, ob sich die Aktivität der beschriebenen Hirnareale in Lerntests verändert, wenn die Probanden zuvor ein Medikament eingenommen haben, welches die Hirnaktivität beeinflusst. Das Ziel wäre es dabei, anhand der fMRI-Bilder vorhersagen zu können, ob die Patienten das Medikament oder ein Placebo genommen hatten. «Damit wären wir einen Schritt näher an den klinisch relevanten Prozessen», sagt Stephan.

Literaturhinweis:

Iglesias S, Mathys C, Brodersen KH, Kasper L, Piccirelli M, den Ouden HEM, Stephan KE: Hierarchical Prediction Errors in Midbrain and Basal Forebrain during Sensory Learning. Neuron, 17 October, 2013, DOI: 10.1016/j.neuron.2013.09.009