Veröffentlicht: 25.05.09
Competence

«Einzigartige Lösungen von hoher gesellschaftlicher Relevanz»

Der Aufbau des Kompetenzzentrums Umwelt und Nachhaltigkeit (CCES) des ETH-Bereichs hat einen unvermeidlichen Lernprozess ausgelöst: Bei interdisziplinärer Forschung müssen die Forschenden bei Teamwork, Management, Publizieren und Öffentlichkeitsarbeit umdenken. Zudem beklagen sich die Wissenschaftler hier über mangelnde Wertschätzung seitens der Science Community. Der Führungswechsel am CCES gibt Anlass zu einer Standortbestimmung.

Interview: Beat Gerber
Stabwechsel beim CCES: Domenico Giardini (links) übergibt die Gesamtführung an René Schwarzenbach (Mitte), Geschäftsleiter bleibt Nikolaus Gotsch (rechts). (Bild: Beat Gerber/ETH Zürich)
Stabwechsel beim CCES: Domenico Giardini (links) übergibt die Gesamtführung an René Schwarzenbach (Mitte), Geschäftsleiter bleibt Nikolaus Gotsch (rechts). (Bild: Beat Gerber/ETH Zürich) (Grossbild)

Seit Beginn 2006 ist das CCES auf Kurs. Eingebunden sind neben der federführenden ETH Zürich auch die EPF Lausanne und alle vier Forschungsanstalten im ETH-Bereich, insbesondere die WSL und EAWAG. Die strategischen Forschungsthemen am CCES sind breit gefächert. Sie reichen von Klima- und Umweltveränderungen über nachhaltige Landnutzung, Ernährung und Gesundheit bis hin zu den Naturgefahren. Die bisherigen Erfahrungen zeigen ...

Domenico Giardini: ... dass die Zusammenarbeit funktioniert! Heute sind mehr als 600 Mitarbeitende an 17 grossen Forschungsprojekten und zwei Technologieplattformen beteiligt. Bei keinem andern Forschungsunternehmen der Schweiz sind so viel Engagement und Dynamik auf ein Thema konzentriert. Professoren, Senior Scientists, Ingenieure, Postdocs und Doktorierende, die sich vorher nicht kannten, forschen jetzt zusammen und schaffen einen bedeutenden Mehrwert.

Werden wir konkret: Welches ist denn das Glanzlicht der bisherigen Forschung unter dem Dach des CCES?

René Schwarzenbach: Als Highlight möchte ich nicht ein einzelnes Projekt herausheben, sondern die Einzigartigkeit des Zentrums an sich. Das CCES ermöglicht Umweltforschung wie sonst nirgends in der Schweiz. Die grossen ökologischen Themen können nämlich von den einzelnen Universitäten und Institutionen allein nicht ganzheitlich bearbeitet werden.

Nikolaus Gotsch: Nicht wertend, aber exemplarisch kann man durchaus einige Forschungsprojekte nennen. So zum Beispiel TRAMM, das die lokalen Risiken von Hangrutschungen und Lawinen studiert. Oder CLIMPOL, wo die Einführung von Massnahmen und Technologien zum Klimaschutz unter Einbezug der politischen Entscheidungsträger untersucht werden.

Giardini: Beispielhaft aufzuführen sind zwei weitere Projekte, welche die thematische Breite der Umweltforschung illustrieren: RECORD schafft hydrologisch und ökologisch gekoppelte Modelle für Flusskorrekturen. Mit extremen Umweltereignissen beschäftigt sich EXTREMES, das statistisch untermauerte Vorhersage-Modelle etwa für starke Niederschläge, hohe Ozonkonzentration oder Erdbeben-Risiken aufbaut.

Das tönt beeindruckend, doch läuft sicher nicht alles reibungslos?

Schwarzenbach: Das CCES hat den Anstoss für einen neuartigen Lernprozess gegeben, wie man solche fachübergreifenden Projekte durchführt und beurteilt. Dies ist ein eminent wichtiger Prozess, den die gesamte Science Community immer noch lernen muss. Der Prozess fordert von den involvierten Wissenschaftlern viel Durchhaltewillen, weil sie für ihren Einsatz noch ungenügend mit Anerkennung belohnt werden.

Gotsch: Gelernt werden muss die effiziente Abwicklung der Projekte mit einem durchdachten Projektmanagement und auch Controlling. Dazu müssen Projektleiter ausgebildet werden. Auch muss die Kommunikation in den Projektteams funktionieren, und die Öffentlichkeitsarbeit ist auszubauen.

Sind denn die Wissenschaftler gleichwohl motiviert, auch wenn sie betreffend Wertschätzung schlecht belohnt werden?

Giardini: Das Wertschätzungssystem ist heute immer noch klassisch nach Fachdisziplinen ausgerichtet. Belohnt wird, wer mehr Publikationen verfasst und als Erstautor auftritt. Bei den grossen interdisziplinären Projekten jedoch sind Publikationen mit einem erheblichen Mehraufwand hinsichtlich Koordination und Kommunikation verbunden. Wir haben folglich einen Konflikt – denn das Interesse von jungen, talentierten Leuten an diesen gesellschaftsrelevanten Fragestellungen ist erfreulich hoch, obwohl es mangels Wertschätzung Frustrationen gibt.

Schwarzenbach: In der Tat muss diesbezüglich die Wissenschaftsgemeinschaft ihr Verhalten ändern. Die grossen Herausforderungen der Zukunft – und da gehören die Umweltprobleme sicher dazu – können ganzheitlich nur in interdisziplinären Teams gelöst werden. Die Leute hier sind aber genauso zu belohnen. Das heisst, ihre wissenschaftliche Wertschätzung muss anhand anderer als den üblichen Kriterien erfolgen. Daran arbeiten wir. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Finanzierung. Solche Projekte brauchen zusätzliches Geld. Das ist leider noch nicht allen Förderungs- und Entscheidungsstellen klar.

Das CCES hat sich in der Forschungslandschaft etabliert, war aber bisher stark mit sich selbst beschäftigt. Was sind die strategischen Ziele für die nächsten Jahre?

Giardini: Noch decken wir gewisse, wichtige Themen nicht ab. Bei den sozio-ökonomischen Wissenschaften stehen wir erst am Anfang. Relevant wären auch Projekte im Problemkreis «Umwelt, Ernährung und Gesundheit». Auch müssen wir uns jetzt mehr öffnen und mit unserer Forschung näher hin zur Gesellschaft ...

Schwarzenbach: ... es kann ja nicht sein, dass wir am CCES einzigartiges Wissen erarbeiten, von dem Bevölkerung und Wirtschaft nicht profitieren.

Gotsch: Ausserdem sind neben den Naturwissenschaften vermehrt auch die Ingenieurwissenschaften einzubinden, um den Technologietransfer anzukurbeln.

Um hier einzuhaken: Wie steht es mit der Beziehung zur Wirtschaft? Strebt das CCES da eine nüchterne Zweckehe an oder gar eine beständige Liebesaffäre?

Giardini: Bis jetzt haben wir uns noch zu wenig um das Verhältnis zur Wirtschaft gekümmert, aber in Zukunft sollte dies gewiss eine Liebesbeziehung werden. Wir bieten möglichen Partnern wertvolles Wissen unter anderem über Naturgefahren und den Klimawandel – beispielsweise für die Gebäudeversicherungen oder den Tourismus. Auch die Wasserwirtschaft und die Landwirtschaft sind von lokalen und globalen Veränderungen der Umwelt stark betroffen und müssen ihre Planung danach ausrichten.

Gotsch: Mit dieser Art von Projekten wie am CCES werden Fachkräfte ausgebildet, die fähig sind, an komplexen Systemen zu arbeiten. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung zur Lösung der grossen Zukunftsprobleme. Ein grosser Teil dieser Experten wird sein Know-how in der Praxis anwenden – in Planungsbüros oder Ämtern – und somit zu einem bedeutenden Wissenstransfer in die Gesellschaft beitragen.

Schwarzenbach: Verbessern wollen wir auch unsere Beziehung zur breiten Öffentlichkeit. Das Wissen muss in die Bevölkerung getragen werden, um das Bewusstsein für die Umweltproblematik und die damit verbundenen Herausforderungen zu wecken.

Gotsch: Das Projekt TRAMM über Naturgefahren zum Beispiel zeigt das grosse Interesse seitens der Öffentlichkeit. So war die Gemeinde Rüdlingen im Kanton Schaffhausen erfreut darüber, dass die CCES-Forscher ihr anhand eines Experiments im Massstab 1:1 bessere Daten zur Risikoabschätzung für eine Hangrutschung liefern konnten.

Den Spagat zwischen Grundlagenforschung und Praxis scheint das CCES offensichtlich zu meistern. Sind seine Resultate bereits heute nutzbringend?

Schwarzenbach: Sicher gibt es schon verwertbare Ergebnisse. Die grossen Forschungsprojekte sind jedoch langfristig angelegt, um verlässliche Resultate zu erzielen. Auch müssen wir künftig mit andern universitären Partnern zusammenarbeiten, weil wir bei gewissen Themenkreisen selbst im ETH-Bereich an Grenzen stossen. Und schliesslich – ich wiederhole es – braucht es dazu eine gesicherte zusätzliche Finanzierung.

Giardini: Dafür erhält man viel mehr zurück, als man investiert. Der Mehrwert ist eindeutig gegeben. Das CCES erarbeitet ganzheitliche und nicht nur sektorielle Lösungen. Die Gesellschaft bekommt daher einzigartige Resultate zu Themen mit hoher sozialer Relevanz.

Domenico Giardini ist Gründungsdirektor des CCES und Professor am ETH-Institut für Geophysik.

René Schwarzenbach ist seit kurzem Delegierter des Lenkungsausschusses des CCES und übernimmt die Funktion von Domenico Giardini. Er ist Professor im ETH-Departement Umweltwissenschaften (D-UWIS) und dessen Vorsteher.

Nikolaus Gotsch
ist Geschäftsleiter des CCES. Der Privatdozent für Ressourcenökonomie arbeitet im Präsidialstab der ETH Zürich.

 
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