Veröffentlicht: 22.06.09
Gletscher-Forschung

Eisvolumen der Schweizer Gletscher neu bestimmt

Wie es um das Eisvolumen der Schweizer Gletscher bestellt ist, haben Wissenschaftler der ETH Zürich mit einem von ihnen entwickelten Verfahren neu berechnet: Das Gesamteisvolumen der rund 1500 Schweizer Gletscher betrug im Jahr 1999 etwa 74 Kubikkilometer. Davon sind bis heute jedoch bereits rund 12 Prozent abgeschmolzen.

Simone Ulmer
Der grosse Aletschgletscher vom Eggishorn aus aufgenommen, mit Blick bis hinauf zum Jungfraujoch und dem Mittelaletschgletscher (Bild: F. Funk-Salamì).
Der grosse Aletschgletscher vom Eggishorn aus aufgenommen, mit Blick bis hinauf zum Jungfraujoch und dem Mittelaletschgletscher (Bild: F. Funk-Salamì). (Grossbild)

Die Gletscherbestände der Erde zählen bei den Klimaprognosen zu den «unsicheren» Faktoren. Es ist schwierig, das Eisvolumen genau zu bestimmen und seine Auswirkungen – etwa auf den Meeresspiegelanstieg – sind deshalb mit Unsicherheiten behaftet. Das Abschmelzen der Gletscher trägt aber nicht nur zum Meeresspiegelanstieg bei. Sie verkleinern die Trinkwasserressourcen und verändern das Landschaftsbild und das Ökosystem nachhaltig. Auch die Schweiz ist betroffen: Die Schweizer Gletscher haben in den vergangenen zwanzig Jahren enorm an Fläche eingebüsst. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren, den wärmsten der vergangenen 150 Jahre.

Wie viel genau die Schweizer Gletscher an Eis verloren haben, lässt sich nun durch ein neuartiges Berechnungsverfahren besser ermitteln. Das Verfahren haben Martin Funk, Professor und Leiter der Abteilung für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) an der ETH Zürich und sein Team entwickelt, um das Gesamteisvolumen der Schweizer Gletscher abzuschätzen. Das genaue Volumen zu kennen ist wichtig, um die beobachtete Veränderung in den richtigen Kontext stellen zu können. Bisher war das Volumen jedoch nur von wenigen Gletschern zuverlässig bekannt. Bei diesen war es möglich, durch Bohrungen oder Echolotuntersuchungen die Eisdicke und annähernd das Volumen zu bestimmen. An diesen Gletschern konnten die Forscher ihr neues Verfahren kalibrieren.

Abschätzung auf der Basis der Massenerhaltung

Bis anhin wurde das Gletscher-Volumen auf der Basis von empirischen Beziehungen zwischen Gletscherausdehnung und der mittleren Eisdicke gemacht, erklärt Daniel Farinotti, Doktorand bei Funk. Die Wissenschaftler entwickelten ihre Berechnungsmethode nun auf der Grundlage des Massenerhaltungsgesetzes für Gletscher. Dieses besagt, dass die Oberflächenmassenbilanz durch den Eisfluss und die Änderung der Eisdicke des Gletschers ausgeglichen werden muss. Das Eisvolumen wird letztendlich nur über die Topographie des Gletschers und der geschätzten räumlichen Verteilung der Oberflächenmassenbilanz berechnet. Hierfür sind zuvor der Eisfluss über die Grundgesetze der Gletschermechanik, unter Einbezug der Geometrie der Gletscheroberfläche, zu ermitteln, aus dem wiederum die Eisdicke berechnet wird. Im Gegensatz zu bisherigen Schätzverfahren liefert die neu entwickelte Methode nicht nur Angaben zum Eisvolumen eines Gletschers, sondern auch zur räumlichen Verteilung der Eisdicke. Dadurch lässt sich zudem die Topographie des Gletscher-Untergrunds ermitteln.

Grosse Gletscher ausschlaggebend

Die Wissenschaftler haben nun ihr Verfahren auf 59 Schweizer Gletscher angewendet, die im Jahr 1999 grösser als drei Quadratkilometer waren und auf drei kleinere Gletscher, von denen bereits Dicke-Messungen vorhanden waren. Für die übrigen etwa 1400 Gletscher leiteten die Wissenschaftler das Eisvolumen mit einem empirischen Flächen-Volumen Ansatz ab. Ihre Berechnungen zeigten, dass das Eisvolumen im Jahr 1999 74 Kubikkilometer betrug, wobei sie eine Unschärfe von 9 Kubikkilometer einräumen. Die gesamten Schweizer Gletscher-Eismassen fänden somit im Genfersee - der ein Wasservolumen von 89 Kubikkilometer hat – ausreichend Platz.

Weiter berechneten die Forscher eine mittlere Eisdicke von siebzig Metern. Sie konnten zudem zeigen, dass 88 Prozent der Eismassen in den 59 grössten Gletschern gespeichert sind, davon alleine 24 Prozent in den Gletschern des Aletschgebiets. «Die Fläche des Grossen Aletschgletschers entspricht in etwa der Gesamtfläche aller Schweizer Gletscher, die kleiner als ein Quadratkilometer sind», sagt Funk. Ihr Gesamt-Eisvolumen sei jedoch zwanzig Mal kleiner als das des Grossen Aletschgletschers. Um das regionale Eisvolumen noch genauer abschätzen zu können, seien deshalb bei den grössten Gletschern der Schweiz weitere Dickenmessungen unabdingbar, da diese bei der Volumenbestimmung offensichtlich besonders ins Gewicht fallen, erklären die Wissenschaftler.

Wie sich der Gletscherbestand in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat, berechneten die Forscher durch eine mittlere Massenbilanz-Zeitreihe. «Die Zeitreihe wurde aus etwa 30 Gletschern gemittelt, für die Volumenänderungen bekannt sind», sagt Farinotti. Dabei zeigte sich, dass der Hitzesommer 2003 für 2,6 Kubikkilometer Eisschwund der insgesamt 9 Kubikkilometer verantwortlich ist.

Gletscherrückgang seit 1850

Die Entwicklung der Schweizer Gletscher wird bereits seit 1880 beobachtet und dokumentiert. Die jetzigen Berechnungen beziehen sich auf die im Jahr 1999 erfassten Daten. Damals ist das Schweizer Gletscherinventar via Satelliten-Aufnahmen, kombiniert mit einem geografischen Informationssystem und einem digitalen Höhenlinienmodell, letztmalig aktualisiert worden. Zuvor geschah dies 1973. Auf diesen Daten basierende Berechnungen zum Eisvolumen der Schweizer Gletscher ergaben einmal ein Volumen von 74 und einmal von 67 Kubikkilometer. «Diese sind unseren Zahlen zwar ähnlich, beruhen jedoch auf viel weniger zuverlässigen Daten. Die Tatsache, dass in der Zwischenzeit einiges an Eis geschmolzen ist, deutet darauf hin, dass das Eisvolumen für 1973 etwas unterschätzt wurde», sagt Farinotti.

Seit der letzten kleinen Eiszeit, die etwa 1850 endete, schwinden die vergletscherten Flächen. 1999 betrug sie noch circa 1063 Quadratkilometer.

Literaturhinweise

Farinotti D, Huss M, Bauder A, Funk M & Truffer M.: A method to estimate ice volume and ice thickness distribution of alpine glaciers. Journal of Glaciology (2009), 55, 422-430.

Farinotti D, Huss M, Bauder A & Funk M: An estimate of the glacier ice volume in the Swiss Alps. Global and Planetary Change (2009).

 
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