Veröffentlicht: 13.11.09
Klimagespräch

Jeder Beitrag zählt

Am 12. November 2009 hatte die ETH Zürich unter dem Titel «Klimawandel- wohin steuert die Schweiz?» zum Klimagespräch geladen. ETH-Forschende sowie Gäste aus Politik und Wirtschaft suchten nach möglichen Antworten, wie dem globalen Klimawandel begegnet werden kann.

Christine Heidemann, Thomas Langholz und Peter Rüegg
Bundesrat Moritz Leuenberger muss als Politiker dicke Bretter bohren, um gegen den Klimawandel vorzugehen (Bild: Tom Kawara)
Bundesrat Moritz Leuenberger muss als Politiker dicke Bretter bohren, um gegen den Klimawandel vorzugehen (Bild: Tom Kawara) (Grossbild)

Hauptredner Bundesrat Moritz Leuenberger dämpfte die Erwartungen an den UNO-Klimagipfel in Kopenhagen. «Ein Wunder von Kopenhagen» wird es seiner Meinung nach nicht geben. Er freue sich, dass innerhalb der Wissenschaftler am ETH-Klimagespräch Einigkeit über die Fakten und die notwendigen Massnahmen bestehen. Dies sei in der Politik leider nicht immer so. Unbestritten sei jedoch, dass Treibhausgase unsere Umwelt und unsere Zivilisation gefährden. Auch bleibe der Menschheit nur wenig Zeit, um auf den Klimawandel einzuwirken.

Industrieländer sind Verursacher

Der Bundesrat wies darauf hin, dass die Industrieländer den Klimawandel ausgelöst haben. Die Leidtragenden sind vor allem die Entwicklungsländer. Während der CO2-Ausstoss in den USA pro Kopf bei 19 Tonnen liegt, produziert ein Ghanaer gerade einmal 0.38 Tonnen pro Jahr.

Die Schweiz setzt bei der Klimapolitik auf nationale und internationale Massnahmen. Sie hat das Kyotoprotokoll unterzeichnet und wird das vereinbarte Ziel die Reduktion der CO2-Emissionen um acht Prozent bis ins Jahr 2010 gegenüber dem Jahr 1990 erreichen. Ab 2012 wird das revidierte CO2-Gesetz umgesetzt. Es sieht eine Abgabe auf Brennstoffe, die gleichen Emissionsvorschriften für Personenwagen wie in der EU und eine Senkung der CO2-Emissionen um 20 Prozent bis 2020 vor.

Zusammen mit der EU will die Schweiz die angedachten Massnahmen selbst dann umsetzen, wenn auf dem Klimagipfel in Kopenhagen keine Einigung erzielt werden sollte. Moritz Leuenberger wies darauf hin, dass es nicht nur Unterstützer einer geänderten Klimapolitik gibt: «Es gibt Branchen, die um ihre Einkünfte fürchten und Lobbyisten anheuern, um die Klimapolitik zu bremsen.» Wichtig sei es vor allem, dass weltweit alle Länder ihren Teil an der Lösung der Klimafrage beitragen. Das bedeutet, dass die Industrieländer den Ausstoss an Treibhausgaben reduzieren, Schwellenländer nationale Reduktionsziele befolgen und Entwicklungsländer finanzielle und technische Hilfe erhalten.

Wichtiger als wissenschaftliche Grundlagen sieht er eine Vision als Antriebsfeder für die Politik. Er sehe auch, dass sich diese nicht von heute auf morgen umsetzen lassen, die Arbeit daran aber die politische Arbeit in kleinen Schritten voranbringe. «Politik ist das mühsame und langwierige Bohren harter Bretter - auf internationaler Ebene sind dies noch härtere Bretter.»

Schnellerer Wandel als erwartet

Vor dem Auftritt des Bundesrats stellten Klimawissenschaftler der ETH die Folgen und die Ursachen des Klimawandels wissenschaftlich dar. Ihr erschreckendes Fazit: Der Klimawandel schreitet schneller voran als erwartet.

Erst 2007 erschien der vierte UN-Klimabericht und schon sind einige Prognosen von der Wirklichkeit überholt. «Den Anstieg des Meeresspiegels haben wir unterschätzt», sagte Ulrike Lohmann, Professorin für Atmosphärenphysik der ETH Zürich. Zum rapiden Anstieg trägt zwar vor allem die thermische Ausdehnung des Wassers aufgrund der höheren Temperaturen der Atmosphäre bei. Unterschätzt hat die Wissenschaft jedoch vor allem die rasche Abnahme der Eisschilde Grönlands und der West-Antarktis.

Aber auch das Arktis-Eis schmilzt schneller als angenommen. Die Eisbedeckung des Nordpols hat in den letzten drei Jahren den Mittelwert aus 14 verschiedenen Modellrechnungen bereits massiv unterschritten. Damit ist klar, dass die Realität selbst pessimistische Voraussagen übertreffen wird.

Senkenleistung kleiner

Auch sind die Ozeane weniger gute CO2-Senken als gedacht – oder gehofft. Der Südliche Ozean nimmt weniger CO2 auf als erwartet. Dadurch verbleibt mehr  Treibhausgas in der Atmosphäre und heizt das Klima stärker an.

Der Klimawandel macht auch vor der Schweiz nicht halt. Andreas Fischlin, einer der Hauptautoren des 4. IPCC-Berichts, zeigte, dass bei einem ungebremsten Klimawandel bis 2050 die Schweiz ihre Gletscher fast vollständig verlieren könnte. Im milderen Fall könnte noch ein Viertel der alpinen Gletscherbedeckung erhalten bleiben.

Für einzelne Arten, insbesondere Korallen und polare Lebewesen, wird es eng. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass polare Arten bei einer Durchschnittserwärmung von 2,8 Grad ein hohes Risiko haben auszusterben. Nun beobachten sie, dass die Eisbedeckung der Arktis rascher verschwindet als angenommen und das bei einem wesentlich tieferem Temperaturanstieg. Fischlin korrigierte deshalb die Prognosen nach unten: Bereits eine globale Durchschnittserwärmung von 1.8 Grad könnte Lebewesen wie Eisbären zum Aussterben bringen.

Nahrung und Gesundheit betroffen

Fischlin erwartet zudem massive Einbrüche in der Nahrungsmittelproduktion. Die weltweite Weizenernte könnte bei einer Erwärmung von 2,5°C um die Hälfte einknicken. Gefährdet ist auch die Gesundheit der Menschen. Vielen Bewohnern von Grossstädten droht Hitzestress, bei einer globalen Erwärmung um 3,2°C wird es ab dem Jahr 2070 von Sevilla über Mailand bis nach Bukarest mit mehr als 25 Sommertagen und Temperaturen von über 42°C unerträglich heiss. Vielen Menschen droht dann ein Hitzschlag.

Die Wissenschaftler haben als Ziel, dass sich die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als 2°C Grad bezogen auf den vorindustriellen Wert erwärmt. Dieses Ziel, so Lohman, könne nur erreicht werden, wenn die globalen Emissionen bis 2050 halbiert würden, die Reduktion in der Schweiz müsse sogar noch grösser sein. Vom CO2-Budget, das der Welt zwischen 2000 bis 2050 zustehen würde, wurde aber in den letzten acht Jahren ein Drittel verbraucht. Lohmann war denn auch skeptisch, dass das Reduktionsziel eingehalten werden kann: «Die Reserven an fossilen Energieträgern sind zu gross.»

Energieeffizienz erhöhen möglich

Optimistischer dagegen mutete der Teil der Veranstaltung an, der sich mit den technologischen Möglichkeiten der Eindämmung des Klimawandels sowie den Folgen für die Wirtschaft beschäftigte. Dabei zeigte zunächst Konstantinos Boulouchos, Professor am Institut für Energietechnik der ETH, eindrucksvoll auf, dass es mit den heute oder in absehbarerer Zeit verfügbaren Technologien durchaus machbar ist, die Energieeffizienz massiv zu erhöhen und damit den CO2-Ausstoss deutlich zu reduzieren. Doch gelte es, dabei nicht nur die tiefhängenden Früchte – also jene Technologien, die heute schon bezahlbar und gewinnversprechend einsetzbar seien -, zu nutzen. Ebenso wichtig sei es, in «Leitern» zu investieren, also in radikal verbesserte Technologien, die keinen kurzfristigen Gewinn versprechen, mit denen sich aber langfristig auch die höher hängenden Früchte ernten lassen.

So bedürfe es vor allem an technologischen Weiterentwicklungen in Schlüsselbereichen, etwa bei der Photovoltaik, der Elektrizitätsspeicherung und der CO2-Rezyklierung. Aber das erfordert Geduld: Die notwendige Transformation des Energiesystems, sagt Boulouchos, werde mindestens 50 Jahre dauern – wobei Politik, Aufklärung und Forschung Hand in Hand gehen müssten. Und auch die Schweiz könne nur gewinnen, wenn sie von Anfang an dabei sei.

Jeder Einzelne ist gefragt

Das sieht auch Volker Hoffmann, ETH-Assistenzprofessor für Nachhaltigkeit und Technologie, so. Die Schweiz sei nur dann im globalen Wettbewerb gut aufgestellt, wenn sie beim Vermeiden, Reduzieren und Kompensieren von Kohlendioxid eine Vorreiter-Rolle übernehme. Es sei daher ökonomisch nicht sinnvoller, die CO2-Emissionen dort zu reduzieren, wo es am billigsten sei, sprich in den weniger entwickelten Ländern. Vielmehr sei es wirtschaftlich besser, vor Ort in «Leitern» zu investieren, also in zukunftweisende Technologien, die man eines Tages verkaufen und sich dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen könne. Dazu müssten allerdings drei Hebel in Bewegung gesetzt werden: «Wir müssen Umsetzungsbarrieren ausräumen, Technologien verbessern und CO2 dringend mit einem Preis versehen.»

Neben Politik und Wirtschaft sei aber auch jeder Einzelne gefordert: «Wenn jeder in der Schweiz nur zehn Prozent weniger Auto fahren würde, liesse sich eine Million Tonnen CO2 einsparen», sagt Hoffmann. Zwei Prozent des angestrebten CO2-Reduktionszieles könnten somit allein über Verhaltensänderungen erzielt werden.