«Wie ein riesiges multidimensionales Pokerspiel»
Andreas Fischlin ist offizieller Vertreter der Wissenschaft in der Schweizerischen Verhandlungsdelegation an der Klimakonferenz in Kopenhagen. ETH Life wollte von ihm wissen, um welche Punkte zurzeit gestritten wird und welche Fortschritte bereits erzielt wurden.
Herr Fischlin, Dänemarks Ministerpräsident und Gastgeber
Lars Løkke Rasmussen erklärte am Sonntag, es sei noch ein «weiter Weg» bis zu
der angestrebten Einigung. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Ja, in der Tat. Im Moment
ist hier in Kopenhagen alles blockiert, niemand weiss genau, wie und in welcher
Form es weitergehen wird. Die Industrienationen streben einen neuen, alles
umfassenden Klimarahmenvertrag an. Die 77 in Kopenhagen vertretenen
Entwicklungsländer wollen aber nicht die Taube auf dem Dach, sondern lieber den
Spatz in der Hand, also ein Weiterführen des Kyotoprotokolls. Das
Kyotoprotokoll verpflichtet alle Industrieländer ausser den USA zu CO2-Reduktionen,
nicht aber die Entwicklungsländer.
Was genau werfen die
Entwicklungsländer den Industrienationen vor?
Die Entwicklungsländer
beanstanden, dass die Industriestaaten ihre historische Verantwortung nicht
wahrnehmen und sich nach wie vor nicht zu einschneidenden CO2-Reduktionen
verpflichten. Zudem argumentieren sie, dass die Industriestaaten viel höhere finanzielle
Unterstützung bereitstellen müssten, damit Entwicklungsländer ihre eigenen CO2-Emissionen
reduzieren können.
Im Vorfeld der
Klimakonferenz war oft zu hören, dass China, Indien und Brasilien eine
Schlüsselrolle in den Verhandlungen einnehmen werden. Welche Positionen
vertreten sie?
Länder wie China, Indien und
Brasilien verstecken sich momentan noch hinter dem Begriff «Entwicklungsland»
und sind deshalb nicht bereit, ihre Verantwortung als grosse CO2-Produzenten
wahrzunehmen. Auf der anderen Seite fordern die USA, dass genau diese Länder sich
zu drastischen CO2-Reduktionen verpflichten, sonst sind sie
ihrerseits zu keinen Konzessionen bereit.
Um die Auswirkungen des
Klimawandels zu beschränken haben Wissenschaftler und Politiker gemeinsam das
Ziel formuliert, einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von 2°C gegenüber
der vorindustriellen Zeit nicht zu überschreiten. Dazu müssen jedoch die
globalen CO2-Emissionen bis ins Jahr 2050 halbiert werden. Ist das 2°C-Ziel
in Kopenhagen nach wie vor im Gespräch?
Ja, daran rüttelt zurzeit
niemand. Die Mehrheit der Staaten steht offiziell hinter diesem Ziel. Heute
würde sich deshalb keine Regierung mehr getrauen von einem 3°C- oder 4°C-Ziel
zu sprechen – das wäre politisch unkorrekt.
Spürt man in Kopenhagen noch
etwas von einer Aufbruchsstimmung oder macht sich bereits Ernüchterung breit?
Weder noch. Hier steht für
jedes Land enorm viel auf dem Spiel, dementsprechend gross ist auch das
Kräftemessen zwischen den Staaten. Es geht zu und her wie an einem riesigen
multidimensionalen Pokerspiel und es ist normal, dass die Delegierten nicht mit
offenen Karten spielen, sondern sich langsam an ihr Ziel vortasten. Sicherlich
sind aber heute noch nicht alle Karten gespielt.
Alleine in Kopenhagen gingen am Samstag fast 100'000
Menschen aus aller Welt auf die Strasse, um den Politikern ihre Forderung nach
einem ehrgeizigen Abkommen zu präsentieren. Wie gross ist das internationale
Interesse an den Verhandlungen?
Von den Demonstrationen habe ich selber nicht viel mitgekriegt, da ich am
Samstag bis um Mitternacht im Konferenzzentrum war. Das Interesse ist aber
riesig, hunderte NGO's und Interessensvertreter machen hier ihre Interessen
geltend. Man hatte mit 15'000 Teilnehmern gerechnet; registriert haben sich
schliesslich 33'000. Mittlerweile lassen die Veranstalter viele Menschen aus
Sicherheitsgründen nicht mehr auf das Konferenzgelände.
Wie sieht ein klassischer Verhandlungstag bei Ihnen aus?
Ich stehe um 6.15 Uhr auf. Nach dem Frühstück treffen sich alle Vertreter
der Schweizer Delegation. Gegen zehn Uhr beginnen dann die ersten Verhandlungen
– meist Blöcke von eineinhalb Stunden. Zwischen eins und drei Uhr folgen
Pressekonferenzen oder Mediengespräche. Danach gehen die Verhandlungen weiter,
oft bis Mitternacht. Die erste Woche war sehr anstrengend und wahrscheinlich
wird es auf die Endphase hin noch hektischer werden.
Würden Sie die
Klimakonferenz in Kopenhagen schon heute als historisch bezeichnen?
Was hier in Kopenhagen
passiert, ist ein gewaltiger Schritt für die Menschheit, dagegen war das
Kyotoprotokoll ein Tropfen auf den heissen Stein. Zum ersten Mal überhaupt
spricht man über konkrete Emissionsgrenzen, um die Erderwärmung zu stoppen. Das
ist am Ende auch mit ein Verdienst der Wissenschaft. All die Klimamodelle und
die ökonomischen Berechnungen zum Klimawandel bis hin zum letzten UN-Klimabericht
haben den Weg für die heutige globale Anstrengung geebnet.
Andreas Fischlin ist Professor für Terrestrische Systemökologie und einer der Hauptautoren des UN-Klimaberichts. Fischlin und Lucas Bretschger, Professor für Ökonomie/Ressourcenökonomie an der ETH Zürich, sind die beiden offiziellen Vertreter der Wissenschaft in der Schweizerischen Verhandlungsdelegation in Kopenhagen.
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