Veröffentlicht: 27.04.12
Globetrotter

Beobachtete Beobachterin

Nach einem Ortswechsel blüht Sonja Hassold die erste «richtige» Dschungelwoche auf der Suche nach Palisander und Rosenholz im Dschungel Madagaskars. Doch nicht nur das dichte Unterholz macht der ETH-Doktorandin zu schaffen.

Sonja Hassold
Eine Piroge bringt die Forscher flussaufwärts in ein kleines Dorf, den Ausgangspunkt für Sammeltouren in den Masoala-Nationalpark. (Bild: Sonja Hassold / ETH Zürich)
Eine Piroge bringt die Forscher flussaufwärts in ein kleines Dorf, den Ausgangspunkt für Sammeltouren in den Masoala-Nationalpark. (Bild: Sonja Hassold / ETH Zürich) (Grossbild)

Ein Ortswechsel steht an: Von der wunderschönen Region von Maroantsetra reisen wir an die Ostküste der Masoala-Halbinsel. Dazu fliegen wir von Maroantsetra nach Sambava und fahren mit einem Jeep auf der besten Strasse Madagaskars – es könnte auch eine Landstrasse bei uns sein - nach Antalaha.

Antalaha ist ein grosser Umschlagplatz für Rosenholz. Der Ort besitzt zwar auch einen Flughafen, nur ist die Landebahn in einem solch desolaten Zustand, dass sich Air Madagaskar weigert, ihn anzufliegen. Die Landebahn müsste vom Flughafen-Management renoviert werden, aber die Verantwortlichen scheint das nicht zu kümmern. Keine Landebahn, keine Flugzeuge, keine Passagiere, weniger Arbeit, mehr Zeit zum Leben!

In Antalaha kaufen wir Vorräte für die erste «richtige» Dschungelwoche. Zwei Fahrräder stehen auch auf der Einkaufsliste, denn nur damit kommt man bis ganz in den Süden der Masoala-Halbinsel.

Danach geht die Reise per Auto weiter nach Ambohitralanana, ein weiterer bekannter Umschlagplatz für Rosenholz. Wir entdecken auch prompt ein erstes Holzlager. Unauffällig nehmen wir ein paar Proben.

Auf wackligem Floss

Danach wird der Jeep samt Besatzung, bestehend aus sieben Leuten und Gepäck auf ein Floss aus zwei Einbäumen, zwei leeren Tonnen und einem kleinen Schiff als Unterbau verfrachtet. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass wir am anderen Ufer ankommen! Aber ich wurde eines Besseren belehrt und wir können unsere Reise weiterführen.
Die «Strasse» besteht jedoch mehr aus Schlaglöchern als aus Strasse, sodass wir mit Laufen wahrscheinlich schneller gewesen wären. Im Camp angekommen, werden Zelte aufgestellt, Fahrräder zusammengesetzt. Und es gibt eine anständige Mahlzeit – Reis mit Bohnen.

Bei Sternenlicht und Lagerfeuer plaudern wir bis spät in die Nacht, da Martin Bauert vom Zoo Zürich, Jean-Jacques von der Wildlife Conservation Society, Hervé vom Masoala-Nationalpark, die madagassische Studentin Annick und die beiden Botaniker Jean-Luc und Jao Aridy zur Gruppe gestossen sind.

Zoo Zürich engagiert sich in Region

Der Zoo Zürich engagiert sich sehr stark in der Masoala-Region. So besuchte denn auch unsere Gruppe einige Projekte vor Ort, welche der Zoo unterstützt. Unter anderem auch eine Baumschule, die für die Aufforstung der Wälder wichtig ist. Familien aus der Region betreiben die Baumschule, indem sie sich abwechselnd halbtags um die Setzlinge kümmern und sich so ein bisschen Geld dazuverdienen.

Starke Zyklone suchen alljährlich die Ostküste Madagaskars heim. Deren zerstörerische Wucht kann gigantisch sein und lässt die Menschen vor Ort immer wieder von vorne beginnen. Letztes Jahr forderte das Unwetter zahlreiche Opfer. Bananen sind in der Region nun ein rares Gut, da sich die Stauden nur langsam erholen. Die Unterstützung durch Projekte in der Region ist deshalb für diese Menschen wichtig, damit sie diese harten Zeiten überstehen.

30 Kilo Reis für neun Dschungeltage

Nach zwei Tagen Akklimatisation trennt sich die Gruppe. Annick, Jao Aridy und ich brechen zur ersten gemeinsamen Dschungelwoche auf. Wir kaufen nochmals Proviant ein: Salz, Zucker, Bohnen, getrockneter Fisch und 30 Kilogramm Reis! In Madagaskar isst man dreimal täglich Reis. Danach deponieren wir das Material, das wir in den kommenden neun Tagen nicht brauchen, in Ambohitralanana.

Wir machen uns auf den Weg zum Piroguier. Dieser bringt uns mit einem grossen Einbaum «la pirogue» flussaufwärts zum kleinen Dorf Anjia. Dort dürfen wir unsere Zelte neben dem Haus von Stefano aufbauen, aber zuerst müssen wir uns einem Begrüssungsritual stellen. Wir als Besucher müssen erklären, wer wir sind, woher wir kommen und was wir hier tun wollen.

Diese Vorstellung übernimmt Jao Aridy, denn nur er spricht den hiesigen Dialekt. Danach wiederholt der Gastgeber alles, was Jao Aridy gesagt hat, um sicherzugehen, dass man sich gegenseitig verstanden hat. Anschliessend stellt sich Stefano vor. Was er alles erzählt, bleibt sein Geheimnis, denn die französische Übersetzung von Jao Aridy fällt sehr spärlich aus.

Dieses Vorstellungsritual müssen wir in der Masoala-Region unter allen Umständen einhalten. Nur so erhält man die Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Der ganze Ablauf wiederholt sich am Abend beim Dorfoberhaupt nochmals. In der Zwischenzeit suchen wir einen Koch und einen Führer für unsere Arbeit im Dschungel während der kommenden drei Tage. Stefanos Schwester wird für die ganze Mannschaft kochen und ein weiterer Dorfbewohner wird uns herumführen, um Rosenhölzer zu finden.

Sammel(tor)tour entlang von Bachläufen

Früh am nächsten Morgen weckt uns Hahnenschrei – Hähne krähen hier schon ab drei Uhr nachts – wir kriechen aber erst gegen 6 Uhr morgens aus den Zelten. Gegen halb acht machen wir uns auf in Richtung Nationalpark.

Der Weg dahin führt uns entlang eines Flusses, den wir einige Male überqueren. In Madagaskar lohnt es sich nicht, feste, schwere Schuhe zu tragen, da man immer irgendwelche Flüsse durchqueren muss. Die lokalen Guides bewegen sich in den Wäldern sogar barfuss trotz stachliger Lianen, die im Wald auf unvorsichtige Besucher warten. Aber die Fusssohlen der Einheimischen sind auch fast ledern! 

Die Umgebung ist sehr hügelig und von Bächen durchzogen. Man betritt den Wald über Flussläufe, da es dort keine dichte Vegetation gibt und man relativ schnell vorankommt. Dafür muss man mit Steinblöcken und rutschigen Oberflächen rechnen, was eine Erkundungstour zur Tortur werden lässt.

Auf den Waldwegen angelangt, finden wir sehr schnell Palisander, Rosen- und Ebenhölzer und beginnen sogleich, Koordinaten aufzunehmen, den Standort zu beschreiben und Proben zu sammeln. Der Waldweg wird aber unpassierbar und wir müssen unsere Suche im beinahe undurchdringlichen Unterholz fortsetzen.

Wäschewaschen als Abwechslung

In diesem Waldabschnitt haben in den letzten Jahren starke Zyklone gewütet, welche viele Bäume umknickten oder gar entwurzelten. In den entstandenen Lücken nach einem Sturm ist der Unterwuchs besonders dicht, da es für die im Boden schlummernden Samen endlich genügend Licht gibt. Alles schiesst in die Höhe. Nur die Schnellsten werden sich einen Platz im Wald sichern können. Da Baumstämme und Dickicht den Weg versperren, schlägt unser Führer kurzerhand mit der Machete einen neuen.

Nach einem langen Sammeltag kehren wir erschöpft in unser Lager zurück. Nach einer stärkenden Mahlzeit waschen wir am Fluss unsere Tageskleider. Das ist harte Arbeit, bei der uns das halbe Dorf beobachtet. Ich werde von einer Kinderschar begleitet, die genau wissen will, was die weisse Frau in ihrem Dorf macht. Privatsphäre habe ich nur im Zelt.

Die ständige Beobachtung zehrt an den Kräften und nun ist für heute Nacht auch noch ein «Ball» angekündet. Das heisst Musik und Tanz in voller Lautstärke von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens – Discotèque à la brousse! Na dann, gute Nacht!

Zur Person

Sonja Hassold (28) ist Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Alexander Widmer, Professor für Genetische Pflanzenökologie. Sie hat von Ende August bis Ende 2011 im Rahmen ihrer Dissertation im Masoala-Nationalpark auf Madagaskar gearbeitet und Holzproben der dortigen Baumarten gesammelt. Sie will herausfinden, ob es möglich ist, madagassische Tropenhölzer genetisch zu unterscheiden, um damit gegen den illegalen Holzhandel mit Palisander und Rosenholz vorzugehen. Das Projekt wird von der Mercator Stiftung Schweiz finanziell unterstützt.