Veröffentlicht: 31.01.11
Science

Tolerante steigen höher hinauf

Nur wenige invasive Pflanzenarten breiten sich in Bergregionen aus. Weshalb einige Exoten erfolgreicher sind als andere, haben ETH-Ökologen nun mit einer global gültigen Regel erklärt – und diese mit einem Warnhinweis versehen.

Peter Rüegg
Die nordamerikanische Nachtkerze Oenothera sp. dringt entlang von Strassen in die Schweizer Bergwelt vor. (Bild: zVg Jake Alexander, ETH Zürich)
Die nordamerikanische Nachtkerze Oenothera sp. dringt entlang von Strassen in die Schweizer Bergwelt vor. (Bild: zVg Jake Alexander, ETH Zürich) (Grossbild)

Auf allen Kontinenten kämpfen Naturschützer gegen versehentlich eingeschleppte oder bewusst eingeführte gebietsfremde Organismen, die oft einheimische be- und verdrängen und ökologische Gleichgewichte aus der Balance zu werfen drohen. Zu solchen Invasoren gehören auch unzählige Pflanzen. Sorgen bereitet der Forschung das Vordringen von Exoten in Berglagen, die bis anhin von biologischen Invasionen verschont geblieben sind. Gegen 1000 verschiedene eingeführte Pflanzenarten (Neophyten) sind rund um den Globus bereits in den Bergregionen beobachtet worden, ihr Artenreichtum ist allerdings in tiefen bis mittleren Lagen am grössten. Mit zunehmender Höhe nimmt die Vielfalt an Neophyten rasch ab. In Gebirgslagen ab 1500 Metern haben diese kaum mehr eine Chance, sich durchzusetzen. Die wenigen, die es schafften, seien spezialisiert genug, um sich unter den extremen Umweltbedingungen der Gebirge zu halten, nahm die Forschung an.

Generalisten arbeiten sich langsam hoch

Eine breit angelegte Untersuchung des an der ETH Zürich angesiedelten MIREN-Netzwerks, das sich weltweit mit der Invasion von Pflanzen in Gebirge befasst, stösst diese Annahme um. Die Forscher untersuchten die Neophyten-Flora entlang von Höhengradienten in acht verschiedenen Bergregionen der Welt, darunter Hawaii und Teneriffa. Und dabei zeigte sich: Nicht fremdartige Bergspezialisten steigen in höhere Lagen auf, sondern ökologische Generalisten; also nur diejenigen «Fremdlinge», die sich in einem breiten Spektrum verschiedener Klimata wohlfühlen. «Das Klima ist ein wirksamer ökologischer Filter, der global gilt», sagt Jake Alexander, Erstautor der Studie und Postdoc am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich. Alle eingeführten Pflanzen mit schmaler ökologischer Nische bleiben in diesem Filter hängen. Wer breit angepasst ist und eine breite ökologische Toleranz aufweist, kann sich ausbreiten.

Die meisten Arten, welche die Forscher in Bergregionen angetroffen haben, stammen aus dem Tiefland. Dort haben sie ihren Ursprung als Garten- oder Zierpflanzen. Meist breiten sie sich entlang von Verkehrswegen, wie Strassen und Eisenbahnlinien, aus, weil dort das Ökosystem gestört ist. Das erleichtert ihnen die Besiedlung, weil an solchen Standorten kaum einheimische Konkurrenz vorhanden ist. Die Ausbreitung vom Tief- ins Bergland vollzieht sich zumindest in der Schweiz nur langsam. Hoch hinauf gestiegen sind bislang nur eine Handvoll eingeführter Pflanzenarten.

Invasionsgefahr durch hochalpine Pflanzungen

Jake Alexander befürchtet jedoch, dass sich mit der Ausdehnung menschlicher Aktivitäten in Gebirgen, insbesondere dem Ausbau des Sommertourismus‘, vermehrt invasive Pflanzen ausbreiten können. Denn bis anhin wurden erst wenige an das extreme Klima angepasste Pflanzen direkt in Berggebiete anderer Kontinente eingeführt. Werden aber Strasseninseln oder die Umgebung neuer Hotels mit fremdartigen Hochgebirgspflanzen bepflanzt, dann drohen, ausgehend von solchen Pflanzungen, Invasionen von bereits an die Höhenlage angepassten Arten. «Da schlummert ein grosses Gefahrenpotenzial, das die bis anhin von biologischen Invasionen verschonten Hochgebirgslagen schlagartig verändern kann», sagt Alexander. Dadurch kommen spezialisierte Organismen direkt mit Hilfe des Menschen in eine fremde Umwelt, ohne dass sie sich aus den Tälern hocharbeiten müssen. Das MIREN fordert deshalb strenge Bestimmungen für die Einfuhr und Verwendung von gebietsfremden Hochgebirgspflanzen.

Für ihre Untersuchung erhoben die Wissenschaftler den Bestand von eingeführten Pflanzen entlang und in der unmittelbaren Nähe von Strassen. Verkehrswege gelten als Hauptverbreitungsachsen, entlang derer die eingeführten Pflanzen in die Höhe steigen. Um abschätzen zu können, ob invasive Pflanzen auch abseits von Verkehrswegen in Gebirgslagen zunehmend Wurzeln schlagen, untersuchen die Forschenden des MIREN als nächstes ungestörte Lebensräume auf deren Vorkommen.

Literaturhinweis

Alexander, J. M., C. Kueffer, C. C. Daehler, P. J. Edwards, A. b. Pauchard, T. Seipel, and M. Consortium. 2011. Assembly of nonnative floras along elevational gradients explained by directional ecological filtering. Proceedings of the National Academy of Sciences 108:656-661.DOI: 10.1073/pnas.1013136108

McDougall KL, Alexander JM, Haider S, Pauchard A, Walsh NG & Kueffer C, Alien flora of mountains: global comparisons for the development of local preventive measures against plant invasions. Diversity and Distributions (2011) 17, 103-111. DOI: 10.1111/j.1472-4642.2010.00713.x