«Die Faszination ergibt sich aus den ungeahnten Möglichkeiten der Technologie»
Der Begriff Nanotechnologie umfasst eine Fülle verschiedener Technologien und muss deshalb differenziert betrachtet werden. Das findet ETH-Professor Christofer Hierold, der im Bereich der Nanotechnologie forscht. Um Risiken zu bewerten und Gefährdungen zu vermeiden, müssten diese am konkreten Beispiel von Materialien, Strukturen und deren Anwendungen analysiert werden.
Herr Hierold, wie
würde die Welt ohne Nanotechnologie aussehen?
Das ist sicherlich eine interessante Frage. In den Produkten und
Fertigungstechnologien, die wir heute immer noch unter dem Begriff
Mikroelektronik zusammenfassen, haben wir schon längst Nanotechnologien im
Einsatz: Zum Beispiel sind die kleinsten Strukturen in den integrierten
Transistoren im Bereich weniger zehn Nanometer. Ohne die Nanotechnologie, mit
der diese Bauelemente hergestellt werden, hätten wir diese Produkte der
heutigen IT-Technologien nicht. Wir hätten auch keine ressourcenschonenden Oberflächenbeschichtungen,
die schmutzabweisend sind oder antibakteriell wirken. Wir hätten keine Konzepte
für Nahrungsergänzungsmittel, die Spurenelemente effizient vom Körper aufnehmen
lassen. All diese guten Beispiele, die heute mit dem Oberbegriff «Nanotechnologie»
verbunden sind, würden fehlen.
Das heisst, wir wären in
unserer technologisierten Welt ziemlich zurückgeworfen.
Wenn wir über Nanotechnologie sprechen, dann begeben wir uns sozusagen
in einen Zoo von sehr verschiedenen Themen. Wenn wir sagen, wir würden um
Jahrzehnte zurückgeworfen, müssen wir genau eingrenzen, worüber wir sprechen.
Wir haben uns mit der Nanotechnologie und ihren Optionen für Miniaturisierungen
auf einen Entwicklungspfad begeben, der sehr viel Kosteneffizienz sowie
Energie- und Ressourceneffizienz erbracht hat. Diese Entwicklung würde ohne
nanotechnologische Prozesse nicht stattfinden. Wir haben durch Nanostrukturen aber
auch Materialien mit neuen Funktionalitäten geschaffen, wie zum Beispiel gute elektronische
Eigenschaften, gute optische Eigenschaften, oder die bereits erwähnten
Oberflächeneigenschaften. Hinzu kommen die katalytischen Eigenschaften von
Nanopartikeln oder die verbesserten Materialeigenschaften in Kompositen.
Haben wir die
Technologie im Griff, oder hinterlassen wir mit ihr den nachfolgenden
Generationen Probleme?
Wir müssen die verschiedenen Nanomaterialien auf ihre Risiken, also auf
die Wahrscheinlichkeit, ihnen direkt ausgesetzt zu werden und auf ihre Gefährlichkeit
hin untersuchen. Und die Forscher müssen natürlich auch die Auswirkung der
Nanomaterialien auf die Umwelt betrachten, sofern diese im Lebenszyklus eines
Produkts in die Umwelt gelangen können.
Das heisst....
….Nanopartikel sind meist in andere Materialien inkorporiert oder auf
Oberflächen aufgebracht, wie zum Beispiel Silberpartikel in Wandfarben. Man
weiss, dass diese Silberpartikel ausgewaschen und in Kläranlagen wiedergefunden
werden. Die gute Nachricht ist, dass sie dort nicht mehr als kleinste Nanopartikel,
sondern als grössere, agglomerierte Partikel vorkommen. Man muss gut unterscheiden,
in welcher Konfiguration diese Materialien eingesetzt werden. Deswegen begeistern
mich Pauschalisierungen nicht. «Die Carbon Nanotube», «das Nanomaterial», «der
Nanopartikel» im Vergleich zu «die Nanotechnologie», «alle Nanopartikel», «alle
möglichen Konfigurationen von Carbon Nanotubes». Man muss wirklich jedes
Material einzeln betrachten und jede Ausprägung des Materials nach Grösse und
Form untersuchen, bewerten und dann entsprechende Massnahmen treffen.
Die ETH Zürich
engagiert sich in der Risikoabschätzung. Sei es durch Forschungsprojekte oder
bei der Erstellung eines Vorsorgerasters für Synthetische Nanomaterialien.
Worauf müsste zudem geachtet werden?
Das Vorsorgeraster hat meines Erachtens zwei Aspekte. Es ermöglicht die Kriterien
gestützte Bewertung der Materialien und bringt uns zugleich ins Bewusstsein,
dass der Einsatz von neuen Materialien gewisse Risiken mit sich bringen kann. Die
Erstellung des Rasters und die Diskussion um die Risiken von Nanomaterialien
haben aber auch gezeigt, dass wir keine neuen Regelungen für den Umgang mit
Nanomaterialien brauchen. Die vorhandenen Regelungen sind ausreichend, aber
jedes neue Material muss entsprechend bewertet werden. Im Zweifelsfall wird es als
toxisch, also gefährlich eingestuft, so wie bei Carbon Nanotubes geschehen. Für
unsere Arbeit im Labor ist wichtig, dass unsere Studierenden und Mitarbeitenden
für den Umgang mit Nanomaterialien geschult sind. Wir unterscheiden dabei auch,
ob wir direkt mit den Nanopartikeln, zum Beispiel durch Einatmen, in Kontakt
kommen können, oder ob diese in Lösung oder nur auf Oberflächen gebunden
vorkommen. Sind Nanopartikel oder Carbon Nanotubes wie bei uns etwa als
einzelne elektronische Komponenten in Sensoren vorhanden, so sind sie mit dem
Bauelement fest verbunden und geschützt, und ihr Gefährdungspotential ist sehr
gering.
Ihre Forschungsgruppe
arbeitet mit Carbon Nanotubes, deren Wirkung oft mit Asbest verglichen wird.
Wie gefährlich sind diese tatsächlich?
Aus Studien ist bekannt, dass Carbon Nanotubes bestimmter Längen Entzündungsreaktionen
auf Zellebene verursachen können. Forscher gehen davon aus, dass für solche
Reaktionen das Aspektverhältnis, das Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser
der Nanostrukturen, wichtig sei. Erforscht wird aber auch die Fähigkeit der Nanotubes,
die Zellmembran zu durchdringen. Sie könnten deshalb als Transporter für
Medikamente, auch gegen Tumorzellen, dienen. Wir wissen heute noch zu wenig, um
die Wechselwirkungen von Kohlenstoff-Nanoröhren mit lebendem Material richtig
bewerten und einschätzen zu können. Solange die Wirkungszusammenhänge nicht geklärt
sind, müssen wir dieses Material als gefährlich betrachten, und das
insbesondere im Labor, wenn wir dieses Material herstellen und mit ihm arbeiten.
Sie betonen, dass ,man
im Umgang mit den Carbon Nanotubes‘ vorsichtig sein muss. Wie schulen Sie Ihre
Wissenschaftler darauf?
In unseren Labors haben wir Sicherheitsregeln für den Umgang mit Carbon
Nanotubes eingeführt. Die Forscherinnen und Forscher tragen während der Arbeit
am geöffneten Reaktor, in dem wir die Nanoröhren herstellen, Schutzausrüstung,
Brille, Maske und Handschuhe. Carbon Nanotubes dürfen bei uns – wenn überhaupt
– nicht als Pulver, sondern nur in Lösung aufbewahrt werden. So können sie
nicht in die Luft entweichen. Das ist wichtig, da sie sonst beim Einatmen über
die Lunge leicht in den Körper und – wie Forscher berichten – auch ins Blut
gelangen könnten.
In den Reinräumen sind Druckstufen eingebaut, die verhindern sollen,
dass bei einem Unfall Menschen und Reinräume kontaminiert werden.
Ihre
Forschungsgruppe wird am neu gegründeten Binnig and Rohrer Nanotechnology
Center in Rüschlikon arbeiten. Wie «forschungssicher» ist das?
Dort haben wir von Beginn an die Sicherheits-Druckstufen eingebaut, die
wir im ETH-Reinraumlabor «FIRST» nachträglich installierten. Der Raum für
Nanomaterialien ist entsprechend abgesichert. Wir haben von FIRST gelernt und
die Erkenntnisse direkt in die Ausstattung des Forschungslabors in Rüschlikon
einfliessen lassen. Die Sicherheitsinfrastruktur war und ist in Reinräumen der
Halbleitertechnologie schon immer sehr hoch entwickelt. Wir sind daran gewöhnt,
mit gefährlichen, also giftigen und auch entzündlichen Gasen, zu arbeiten. Die
Überwachungs-Sensorik ist deswegen sehr hochwertig und die Forscher und
Techniker, die für den Betrieb unserer Labore zuständig sind, haben viel und
langjährige Erfahrung mit der Arbeit im Reinraum.
Sind derartige Labors
auch sicher nach aussen, sodass nichts in die Umgebung gelangt?
Ja. Dafür sorgen Filterstufen und chemische sowie physikalische Einheiten
zur Reinigung von Prozessgasen, sogenannte Scrubber.
Was fasziniert Sie in
diesem Fachgebiet am meisten?
Die Faszination ergibt sich aus den ungeahnten Möglichkeiten der
Technologie. Im Nanobereich erschliessen sich neue Funktionalitäten von
Materialien, die wir für Anwendungen im Bereich der Sensorik erforschen und
dann in Bauelementen auch realisieren können. Speziell in unserem Forschungsbereich
sind wir gefordert, die Sensoren möglichst klein und energiesparend,
ressourcenschonend sowie kosteneffizient herzustellen. Im Guardian Angels
Projekt wollen wir Technologien für sehr energieeffiziente Systeme
erforschen. Damit sollen neue Geräte entwickelt werden können, die ihre Energie
aus der Umgebung gewinnen, also energie-autonom agieren und ohne
Batteriewechsel oder -aufladen auskommen. In Zukunft werden solche Systeme noch
viel kleiner sein als heute und Funktionen haben, die wir vielleicht noch gar
nicht vorhersehen können. Sinnvolle Anwendungen sehen wir etwa im Bereich der Medizin,
auch der häuslichen Pflege, der schnellen Informationsverarbeitung und der
Vernetzung von Menschen, der Sicherheit und der Steigerung der Energieeffizienz
in Gebäuden und im Verkehr.
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