Veröffentlicht: 21.06.11
Science

«Die Faszination ergibt sich aus den ungeahnten Möglichkeiten der Technologie»

Der Begriff Nanotechnologie umfasst eine Fülle verschiedener Technologien und muss deshalb differenziert betrachtet werden. Das findet ETH-Professor Christofer Hierold, der im Bereich der Nanotechnologie forscht. Um Risiken zu bewerten und Gefährdungen zu vermeiden, müssten diese am konkreten Beispiel von Materialien, Strukturen und deren Anwendungen analysiert werden.

Simone Ulmer
Christofer Hierold ist Professor für Mikro- und Nanosysteme an der ETH Zürich und zusammen mit Adrian Ionescu, Professor an der EPF Lausanne, Koordinator des geplanten EU Flaggschiff-Projekts «Guardian Angels». (Bild: Philippe Neidhart / ETH Zürich)
Christofer Hierold ist Professor für Mikro- und Nanosysteme an der ETH Zürich und zusammen mit Adrian Ionescu, Professor an der EPF Lausanne, Koordinator des geplanten EU Flaggschiff-Projekts «Guardian Angels». (Bild: Philippe Neidhart / ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Hierold, wie würde die Welt ohne Nanotechnologie aussehen?
Das ist sicherlich eine interessante Frage. In den Produkten und Fertigungstechnologien, die wir heute immer noch unter dem Begriff Mikroelektronik zusammenfassen, haben wir schon längst Nanotechnologien im Einsatz: Zum Beispiel sind die kleinsten Strukturen in den integrierten Transistoren im Bereich weniger zehn Nanometer. Ohne die Nanotechnologie, mit der diese Bauelemente hergestellt werden, hätten wir diese Produkte der heutigen IT-Technologien nicht. Wir hätten auch keine ressourcenschonenden Oberflächenbeschichtungen, die schmutzabweisend sind oder antibakteriell wirken. Wir hätten keine Konzepte für Nahrungsergänzungsmittel, die Spurenelemente effizient vom Körper aufnehmen lassen. All diese guten Beispiele, die heute mit dem Oberbegriff «Nanotechnologie» verbunden sind, würden fehlen.

Das heisst, wir wären in unserer technologisierten Welt ziemlich zurückgeworfen.
Wenn wir über Nanotechnologie sprechen, dann begeben wir uns sozusagen in einen Zoo von sehr verschiedenen Themen. Wenn wir sagen, wir würden um Jahrzehnte zurückgeworfen, müssen wir genau eingrenzen, worüber wir sprechen. Wir haben uns mit der Nanotechnologie und ihren Optionen für Miniaturisierungen auf einen Entwicklungspfad begeben, der sehr viel Kosteneffizienz sowie Energie- und Ressourceneffizienz erbracht hat. Diese Entwicklung würde ohne nanotechnologische Prozesse nicht stattfinden. Wir haben durch Nanostrukturen aber auch Materialien mit neuen Funktionalitäten geschaffen, wie zum Beispiel gute elektronische Eigenschaften, gute optische Eigenschaften, oder die bereits erwähnten Oberflächeneigenschaften. Hinzu kommen die katalytischen Eigenschaften von Nanopartikeln oder die verbesserten Materialeigenschaften in Kompositen.

Haben wir die Technologie im Griff, oder hinterlassen wir mit ihr den nachfolgenden Generationen Probleme?
Wir müssen die verschiedenen Nanomaterialien auf ihre Risiken, also auf die Wahrscheinlichkeit, ihnen direkt ausgesetzt zu werden und auf ihre Gefährlichkeit hin untersuchen. Und die Forscher müssen natürlich auch die Auswirkung der Nanomaterialien auf die Umwelt betrachten, sofern diese im Lebenszyklus eines Produkts in die Umwelt gelangen können.

Das heisst....
….Nanopartikel sind meist in andere Materialien inkorporiert oder auf Oberflächen aufgebracht, wie zum Beispiel Silberpartikel in Wandfarben. Man weiss, dass diese Silberpartikel ausgewaschen und in Kläranlagen wiedergefunden werden. Die gute Nachricht ist, dass sie dort nicht mehr als kleinste Nanopartikel, sondern als grössere, agglomerierte Partikel vorkommen. Man muss gut unterscheiden, in welcher Konfiguration diese Materialien eingesetzt werden. Deswegen begeistern mich Pauschalisierungen nicht. «Die Carbon Nanotube», «das Nanomaterial», «der Nanopartikel» im Vergleich zu «die Nanotechnologie», «alle Nanopartikel», «alle möglichen Konfigurationen von Carbon Nanotubes». Man muss wirklich jedes Material einzeln betrachten und jede Ausprägung des Materials nach Grösse und Form untersuchen, bewerten und dann entsprechende Massnahmen treffen.

Die ETH Zürich engagiert sich in der Risikoabschätzung. Sei es durch Forschungsprojekte oder bei der Erstellung eines Vorsorgerasters für Synthetische Nanomaterialien. Worauf müsste zudem geachtet werden?
Das Vorsorgeraster hat meines Erachtens zwei Aspekte. Es ermöglicht die Kriterien gestützte Bewertung der Materialien und bringt uns zugleich ins Bewusstsein, dass der Einsatz von neuen Materialien gewisse Risiken mit sich bringen kann. Die Erstellung des Rasters und die Diskussion um die Risiken von Nanomaterialien haben aber auch gezeigt, dass wir keine neuen Regelungen für den Umgang mit Nanomaterialien brauchen. Die vorhandenen Regelungen sind ausreichend, aber jedes neue Material muss entsprechend bewertet werden. Im Zweifelsfall wird es als toxisch, also gefährlich eingestuft, so wie bei Carbon Nanotubes geschehen. Für unsere Arbeit im Labor ist wichtig, dass unsere Studierenden und Mitarbeitenden für den Umgang mit Nanomaterialien geschult sind. Wir unterscheiden dabei auch, ob wir direkt mit den Nanopartikeln, zum Beispiel durch Einatmen, in Kontakt kommen können, oder ob diese in Lösung oder nur auf Oberflächen gebunden vorkommen. Sind Nanopartikel oder Carbon Nanotubes wie bei uns etwa als einzelne elektronische Komponenten in Sensoren vorhanden, so sind sie mit dem Bauelement fest verbunden und geschützt, und ihr Gefährdungspotential ist sehr gering.

Ihre Forschungsgruppe arbeitet mit Carbon Nanotubes, deren Wirkung oft mit Asbest verglichen wird. Wie gefährlich sind diese tatsächlich?
Aus Studien ist bekannt, dass Carbon Nanotubes bestimmter Längen Entzündungsreaktionen auf Zellebene verursachen können. Forscher gehen davon aus, dass für solche Reaktionen das Aspektverhältnis, das Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser der Nanostrukturen, wichtig sei. Erforscht wird aber auch die Fähigkeit der Nanotubes, die Zellmembran zu durchdringen. Sie könnten deshalb als Transporter für Medikamente, auch gegen Tumorzellen, dienen. Wir wissen heute noch zu wenig, um die Wechselwirkungen von Kohlenstoff-Nanoröhren mit lebendem Material richtig bewerten und einschätzen zu können. Solange die Wirkungszusammenhänge nicht geklärt sind, müssen wir dieses Material als gefährlich betrachten, und das insbesondere im Labor, wenn wir dieses Material herstellen und mit ihm arbeiten.

Sie betonen, dass ,man im Umgang mit den Carbon Nanotubes‘ vorsichtig sein muss. Wie schulen Sie Ihre Wissenschaftler darauf?
In unseren Labors haben wir Sicherheitsregeln für den Umgang mit Carbon Nanotubes eingeführt. Die Forscherinnen und Forscher tragen während der Arbeit am geöffneten Reaktor, in dem wir die Nanoröhren herstellen, Schutzausrüstung, Brille, Maske und Handschuhe. Carbon Nanotubes dürfen bei uns – wenn überhaupt – nicht als Pulver, sondern nur in Lösung aufbewahrt werden. So können sie nicht in die Luft entweichen. Das ist wichtig, da sie sonst beim Einatmen über die Lunge leicht in den Körper und – wie Forscher berichten – auch ins Blut gelangen könnten.
In den Reinräumen sind Druckstufen eingebaut, die verhindern sollen, dass bei einem Unfall Menschen und Reinräume kontaminiert werden.

Ihre Forschungsgruppe wird am neu gegründeten Binnig and Rohrer Nanotechnology Center in Rüschlikon arbeiten. Wie «forschungssicher» ist das?
Dort haben wir von Beginn an die Sicherheits-Druckstufen eingebaut, die wir im ETH-Reinraumlabor «FIRST» nachträglich installierten. Der Raum für Nanomaterialien ist entsprechend abgesichert. Wir haben von FIRST gelernt und die Erkenntnisse direkt in die Ausstattung des Forschungslabors in Rüschlikon einfliessen lassen. Die Sicherheitsinfrastruktur war und ist in Reinräumen der Halbleitertechnologie schon immer sehr hoch entwickelt. Wir sind daran gewöhnt, mit gefährlichen, also giftigen und auch entzündlichen Gasen, zu arbeiten. Die Überwachungs-Sensorik ist deswegen sehr hochwertig und die Forscher und Techniker, die für den Betrieb unserer Labore zuständig sind, haben viel und langjährige Erfahrung mit der Arbeit im Reinraum.

Sind derartige Labors auch sicher nach aussen, sodass nichts in die Umgebung gelangt?
Ja. Dafür sorgen Filterstufen und chemische sowie physikalische Einheiten zur Reinigung von Prozessgasen, sogenannte Scrubber.

Was fasziniert Sie in diesem Fachgebiet am meisten?
Die Faszination ergibt sich aus den ungeahnten Möglichkeiten der Technologie. Im Nanobereich erschliessen sich neue Funktionalitäten von Materialien, die wir für Anwendungen im Bereich der Sensorik erforschen und dann in Bauelementen auch realisieren können. Speziell in unserem Forschungsbereich sind wir gefordert, die Sensoren möglichst klein und energiesparend, ressourcenschonend sowie kosteneffizient herzustellen. Im Guardian Angels Projekt wollen wir Technologien für sehr energieeffiziente Systeme erforschen. Damit sollen neue Geräte entwickelt werden können, die ihre Energie aus der Umgebung gewinnen, also energie-autonom agieren und ohne Batteriewechsel oder -aufladen auskommen. In Zukunft werden solche Systeme noch viel kleiner sein als heute und Funktionen haben, die wir vielleicht noch gar nicht vorhersehen können. Sinnvolle Anwendungen sehen wir etwa im Bereich der Medizin, auch der häuslichen Pflege, der schnellen Informationsverarbeitung und der Vernetzung von Menschen, der Sicherheit und der Steigerung der Energieeffizienz in Gebäuden und im Verkehr.

 
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