Veröffentlicht: 08.06.11
Science

Fehlregulation der Zuckeraufnahme behoben

Eine Forschungsgruppe rund um ETH-Professor Markus Stoffel hat einen Mechanismus entdeckt, der im Körper für die Insulin-Resistenz und die verminderte Aufnahme von Glukose in Zellen verantwortlich ist. Ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen Diabetes.

Peter Rüegg
MicroRNA, hier stilisiert abgebildet, gelten als wichtige Regulatoren zahlreicher Zell- und Körperfunktionen. (Bild: www.dddmag.com)
MicroRNA, hier stilisiert abgebildet, gelten als wichtige Regulatoren zahlreicher Zell- und Körperfunktionen. (Bild: www.dddmag.com)

Auf Leber- und Fettzellen sitzen Sensoren, die empfindlich sind für Insulin. Sobald dieser Botenstoff an die Sensoren andockt, beginnen die Zellen Glukose aufzunehmen und einzulagern. Nicht so bei fettleibigen Personen. Ihre Zellen sind unsensibel geworden und registrieren das Insulinsignal nicht mehr. Mit verheerenden Folgen, denn die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin produzieren, stossen, gerade weil die Fett- und Leberzellen das Signal nicht wahrnehmen, immer mehr davon aus - bis zu ihrem «Burn out». Die Folge: Diabetes, mit unkontrolliertem Blutzuckerspiegel, da die Glukose nicht mehr in Zellen und Leber eingelagert werden kann.

Die Forschungsgruppe um Markus Stoffel, Professor am Institut für molekulare Systembiologie, hat nun herausgefunden, weshalb das Insulinsignal nicht mehr registriert wird. In adipösen Mäusen konnten sie zwei kurze RNS-Stücke identifizieren, die miRNA 103 und miRNA107. RNS ist, wie die Erbsubstanz DNS, aus vier verschiedenen Bausteinen aufgebaut, mit dem Unterschied, dass bei der RNS ein anderer Baustein verwendet wird. RNS entsteht dadurch, dass aufgrund der DNS ein komplementäres Molekül aufgebaut wird.

Hochregulierte miRNAs schaden

miRNA 103 und 107 sind einander extrem ähnlich und unterscheiden sich voneinander nur durch einen einzigen Baustein. Das macht deren Identifikation schwierig, für die ETH-Forschenden aber nicht unmöglich. Von diesen miRNAs liegen sowohl bei fettleibigen Mäusen wie auch Menschen übermässig viele Kopien vor: Sie sind hochreguliert. Je höher der Pegel von miRNS 103 und 107 liegt, desto resistenter reagieren Leber und Fettgewebe auf Insulin. Der Grund dafür: Die beiden RNS-Moleküle blockieren ein Gen, das den Bauplan für Caveolin1 darstellt. Dieses Protein ist an den Insulin-Sensor gekoppelt. Es ist unter anderem dafür zuständig, die Aufnahme von Glukose in die Zelle zu vermitteln. Es sitzt auf kleinen, in die Zelle hineingestülpten Bläschen, den Caveolae, welche die Glukose aufnehmen. Die Bläschen werden dann ins Zellinnere abgeschnürt. Zirkulieren zu viele miRNA-Kopien, funktioniert genau dieser Vorgang nicht mehr.

Aufgrund früherer Erfahrungen konnten die Forscher die fraglichen miRNS aber gezielt aus dem Verkehr ziehen, indem sie den Mäusen die Gegenspieler der RNS-Stücke, sogenannte Antagomire, spritzten. Diese koppeln sich nämlich hochspezifisch an die miRNAs an und ziehen sie dadurch aus dem Verkehr. Antagomire passen auf die miRNAs wie Schlüssel ins Schloss. Damit der Körper die Antagomire nicht innert Minuten abbaut und sie in Zellen aufgenommen werden können, müssen die Forscher diese mit anderen Molekülen so verändern, dass sie stabil bleiben, im Fall der Antagomire von miRNA 103 und 107 mit einem Fettmolekül. Dann allerdings wirken sie effizient, rasch und verbleiben lange im Körper. Einmal gespritzt, können sie mehrere Wochen wirksam sein.

Fettzellen magern ab

In Mäusen, bei denen die beiden miRNAs mit Gegenspielern ausgeschaltet wurden, wurden die Leberzellen innerhalb kurzer Zeit wieder empfänglich für Insulin. Die Glukose-Aufnahme stieg an. Parallel dazu nahm der Fettgehalt der Fettzellen ab. Letzteres sei eine direkte Folge einer verbesserten Fettverbrennung im Körper, sagt Stoffel. Weil die Zellen aber wieder auf Insulin reagieren, werden auch die Beta-Zellen entlastet, sodass sie die Insulin-Produktion herunterfahren können.

Am besten reagierten Fettzellen auf das Ausschalten der miRNAs. In den Leberzellen war der Effekt eher gering. Das hat damit zu tun, dass Caveolin1 auf den Bläschen der Fettzellen sehr häufig vorkommt, bei Leberzellen hingegen seltener.

Hoffnung auf wirksames Medikament

Für Markus Stoffel ist diese Entdeckung ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen Diabetes. «Zuckerkranke Menschen mit Antagomiren zu therapieren wäre ein vollkommen neues Konzept», sagt er. Das System funktioniert nämlich auch bei Mäusen, die bereits Diabetes haben. Die Insulin-Resistenz von Zellen, Muskeln oder Leber ist «lediglich» das Vorstadium dieser Volkskrankheit, die rund um den Globus immer häufiger wird.

Bis ein Medikament auf der Basis von Antagomiren auf den Markt kommt, dürfte aber noch viel Zeit vergehen. Die Forscher haben lediglich ein therapeutisch nutzbares Target gesucht und gefunden, das Prinzip bewiesen und dieses im Mausmodell getestet. Die Entwicklung eines Medikaments müsste nun von einer Pharmafirma vorangetrieben werden.

Universelle Regulatoren

Generell gelten miRNAs, von denen über 1200 verschiedene im menschlichen Körper vorkommen, als vielversprechende Targets, um Krankheiten zu regulieren. Sie regulieren sehr fein abgestimmt zahlreiche Netzwerke in Zellen, in Organen und ganzen Organismen. miRNAs spielen in vielen Krankheiten, wie Diabetes, Krebs oder Infektionen, eine wichtige Rolle. Bereits in Phase II der klinischen Versuche sind Mittel gegen miRNA im Zusammenhang mit Hepatitis C-Erkrankungen, gewisse Krebsarten und Fibrose.

«Das Spannende an miRNS ist, dass man damit ganze Netzwerke sehr fein regulieren kann. Sie funktionieren nicht nach dem Ja-Nein-Prinzip und sind insbesondere von Bedeutung, wenn Zellen auf Stress reagieren müssen», sagt Stoffel. Er ist daher zuversichtlich, dass die Pharmaforschung die Erkenntnisse der der miRNs Forschung nutzen kann, um Diabetes und viele andere Krankheiten wirksam zu bekämpfen.

Literaturhinweis

Trajkovski M, Hausser J, Soutschek J, Bhat B, Akin A Zavolan M, Heim MH & Stoffel M. MicroRNAs 103 and 107 regulate insulin sensitivity. Nature, online publication, June 8 2011. DOI: 10.1038/nature10112