Veröffentlicht: 08.06.12
Globetrotter

Schwierige Suche nach dem letzten Rosenholz

Sonja Hassold erlebt in einem Dorf ohne TV- und Internet-Anschluss etwas Seltsames am Fernseher und durchforstet unter sengender Sonne weite Gebiete der Masoala-Halbinsel nach weiteren Vorkommen von Rosenholz – leider oft vergeblich.

Sonja Hassold
In Ampanavoana erspähen die Forschenden am Strand ein Rosenholzlager. Die Stammdurchmesser sind unter 30 cm, das Holz ist von schlechter Qualität.
In Ampanavoana erspähen die Forschenden am Strand ein Rosenholzlager. Die Stammdurchmesser sind unter 30 cm, das Holz ist von schlechter Qualität. (Grossbild)

Nach einer anstrengenden ersten Dschungelwoche kehren wir nach Ambohitralanana zurück und gönnen uns ein paar freie Tage. In dieser Zeit übernachten wir in kleinen Bungalows direkt neben der Anlegestelle der Fähre. Im Hinterhof, gleich neben meinem Bungalow, wohnen Gefiedertiere (Bild) für Kochtopf und Hahnenkampf. Die Tiere werden bei Dämmerung auf die Bäume gejagt, damit sie vor streunenden Hunden und sonstigen Fressfeinden geschützt sind. Somit entstehen regelrechte Hühnerbäume, die in der Nacht für Krach sorgen. Aber nicht nur Hahnengeschrei hält mich nachts wach. Hier wird richtig Discothèque à la brousse praktiziert, und selbstverständlich findet der Anlass direkt neben meinem Bungalow statt!

In diesem Dorf erlebe ich das Seltsamste, was ich während dieser Reise gesehen habe: Fernsehen oder Internet gibt es im Busch nicht, aber das hält die Leute nicht davon ab, einen Fernseher zu haben. Man schaut am Abend einfach indische Musik-Clips und Werbung. So komme ich in die kuriose Situation mit allen männlichen Dorfbewohnern im Restaurant zu sitzen und Always-Werbespots anzusehen! Die meisten wissen wahrscheinlich gar nicht, wozu Slip-Einlagen zu gebrauchen sind.

Während unseren freien Tagen nutzen wir die Gelegenheit, um die gekauften Fahrräder in Betrieb zu nehmen. Nach zwei Ruhetagen geht es mit dem Buschtaxi in Richtung Ratsinarana. Wir haben Glück, denn schon zwei Stunden nach dem erwarteten Zeitpunkt kommt das Taxi aus Antalaha an und nimmt uns auf eine zweistündige Fahrt mit. Danach werden wir bei einem kleinen Bungalow in die Freiheit entlassen. Weiter geht die Fahrt nicht, denn Zyklone haben in den letzten Jahren alle Brücken zerstört. Die Notwendigkeit für Brücken ist ohnehin klein, denn ohne sie verdienen manche Piroguiers Geld mit Fährdiensten über die unzähligen Flüsse. Uns bleibt nichts Anderes übrig, als für unser Gepäck Träger zu finden, die wir auf den umliegenden Feldern rekrutieren.

Jao Aridy, der Botaniker auf der Masoala-Halbinsel, und ich legen die Strecke mit dem Fahrrad zurück (Bild). Die Strasse ist sogar für Fahrräder ein Horror: grosse Steine im Sand, unbefestigter Sand, überschwemmte Wege, erodierte Wege und dazu brütende Hitze. Erschöpft kommen wir in Ratsinarana an, wo wir zuerst eine geeignete Unterkunft für die nächsten Tage suchen müssen. Wir entscheiden uns mangels anderer Möglichkeiten für die Bungalows am Meer. Danach suchen wir das Dorfoberhaupt auf, um ihn über unsere Arbeit zu informieren, seinen Goodwill abzuholen und um uns nach lokalen Führern zu erkundigen.

Während drei Tagen werden wir von einem jungen Führer zu den letzten Rosenhölzern in der Region geführt. In Meeresnähe musste der natürliche Wald schon vor langer Zeit der Landwirtschaft weichen. Für meine Arbeit ist es aber wichtig, Proben aus allen möglichen Lebensräumen zu sammeln, um einen Überblick über das Vorkommen von Rosenhölzern zu gewinnen. Die Wälder in Meeresnähe sind viel weniger dicht und feucht. In der Umgebung von Ratsinarana hat man sehr viel gerodet. Die Tagesexkursionen sind dementsprechend ermüdend, weil wir kaum Schatten finden, die Sonne brennt erbarmungslos auf die nackten Felder nieder. Hier finde ich die meisten Strünke und geschlagenen Bäume pro Fläche. Die einzigen noch stehenden Bäume sind entweder krummgewachsen oder innen hohl - kurzum ökonomisch nicht interessant.

Um Felder zu gewinnen, betreiben die Bauern Brandrodung (Bild). Danach werden die Felder während fünf Jahren bewirtschaftet, bis sie ausgelaugt sind und wieder sich selber überlassen werden. Deshalb durchstreifen wir oft grosse, verlassene Landstriche, auf denen viele eingeschleppte Arten gedeihen oder sich ein paar wenige madagassische Büsche wie wild vermehren und uns den Durchgang erschweren (Bild). Diese Flächen sind für immer verloren. Die Bauern können solche Felder nicht einmal mehr für die Holzgewinnung brauchen, da das Gestrüpp nicht viel hergibt. Aber für grosse Kratzer an meinen Beinen reicht es allemal.

Die Wälder sind nicht sehr ergiebig. Nach den ersten beiden Exkursionsorten an der Ostküste bin ich sehr ernüchtert, was die Unberührtheit der Masoala-Halbinsel betrifft. Deshalb brechen wir nach drei Tagesexkursionen zu unserem nächsten Ort auf: Ampanavoana. Auf dem Weg erspähen wir ein kleines Rosenholzlager am Strand. Die Stammdurchmesser sind alle unter 30 cm und das Holz ist von schlechter Qualität. Vor einem Jahr habe das ganz anders ausgesehen, erzählt mir Botaniker Jao Aridy. Damals hätten sich die Lager meterweise getürmt und sich über den gesamten Strand erstreckt. Wem das Holz gehört und woher es kommt, wissen die Aufpasser nicht. Zu jener Zeit galt noch immer ein Exportverbot für Edelhölzer. Die Armee bewacht deshalb alle Lager, damit niemand mit dem Holz handeln kann. Nach dem Genuss einer erfrischenden Kokosnuss fahren wir weiter nach Ampanavoana.

Einen Tag brauchen wir, um uns zu erholen und uns auf die nächste Dschungelwoche vorzubereiten. Wir müssen für eine Woche und sechs Leute Essen einkaufen. Nach dem verdienten freien Tag marschieren wir mit zwei Trägern Richtung Antamahalana. Madagassen gehen immer in einem unheimlichen Tempo, das ein «Vazah» nicht mithalten kann. Unsere Guides sind deshalb nicht schlecht erstaunt, dass ich Schritt halten kann. Nach vierstündigem Marsch in der brütenden Sonne erreichen wir das kleine Dorf auf der Hügelkuppe.

Vor einem Jahr wurde die Region vom schlimmsten Zyklon heimgesucht, der über Nacht Dörfer und Reisfelder entlang des Flusses mitriss. Nach dieser Naturkatastrophe wurden die Dörfer auf die umliegenden Hügel verteilt. Aus einem grossen Dorf wurden so fünf, von kleinen Gemeinschaften bewohnte Hügel. Der Nationalpark ist noch immer eine Stunde entfernt. Wir beschliessen, die Nacht in Ampanavoana zu verbringen und erst am nächsten Morgen weiter zu gehen. Innert kürzester Zeit umringt mich eine Schar neugieriger Kinder, die mir beim Aufstellen des Zeltes, auch «maison portable» genannt, zusehen. Als ich die Kinderschar zu fotografieren beginne, verdoppelt sie sich in kürzester Zeit und alle sind entzückt, die Bilder auf dem Display zu sehen. Die Kinder haben in dieser Nacht sicher lange wach gelegen, denn eine weisse Frau und Digitalkameras gab es in diesem Dorf noch nie!

Eine Stunde bis zu unserem Basiscamp in Sahabe, haben mir die Dorfbewohner gesagt. Der Weg ist die reine Rutschpartie. Für Einheimische kein Problem, aber ich kann auf glitschigem Schlamm einfach nicht gehen. Nach zwei Stunden habe auch ich es geschafft und werde mit einer atemberaubenden Umgebung belohnt (Bild). Wir stellen sogleich unsere Zelte auf und erlauben uns eine Siesta. Während einer Woche haben wir Zeit, die Umgebung auszukundschaften. Wir benutzen Flussläufe, um weiter und schneller in den Wald vorzudringen. Der Wald ist hier unglaublich divers und auf den ersten Blick noch unberührt. Aber der Schein trügt: Auch hier finden wir Spuren von selektivem Holzschlag. Dennoch bleibt dieser Ort als unvergesslich idyllisch in meiner Erinnerung.

Zur Person

Sonja Hassold (28) ist Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Alexander Widmer, Professor für Genetische Pflanzenökologie. Sie hat von Ende August bis Ende 2011 im Rahmen ihrer Dissertation im Masoala-Nationalpark auf Madagaskar gearbeitet und Holzproben der dortigen Baumarten gesammelt. Sie will herausfinden, ob es möglich ist, madagassische Tropenhölzer genetisch zu unterscheiden, um damit gegen den illegalen Holzhandel mit Palisander und Rosenholz vorzugehen. Das Projekt wird von der Mercator Stiftung Schweiz finanziell unterstützt.