Veröffentlicht: 22.06.12
Globetrotter

Geräuchertes Wildschwein à la Brousse

Sonja Hassold wird vorläufig festgenommen und kommt ins Bibbern. Dann muss sie tagelang nichts Anderes als Wildschwein essen. Das alles waren Fragen von Fehlern in der Kommunikation, stellt die Globetrotter-Autorin fest.

Sonja Hassold
Die Forscher und ihre Helfer bewegen sich entlang der Flussläufe durch den Dschungel. (Alle Bilder: Sonja Hassold / ETH Zürich)
Die Forscher und ihre Helfer bewegen sich entlang der Flussläufe durch den Dschungel. (Alle Bilder: Sonja Hassold / ETH Zürich) (Grossbild)

Völlig erschöpft erreichen wir nach einem vierstündigen Marsch Ampanavoana und freuen uns schon auf unsere wohlverdiente Siesta. Ausserhalb der Ortschaft werden wir jedoch von einem Mann am Handy zurückgepfiffen. Es gibt ein kurzes Gespräch zwischen dem Botaniker Jao Aridy und dem Mann, der sich als Gendarm in Zivil entpuppt. Danach müssen wir ihn auf den Polizeiposten begleiten.

Zu diesem Zeitpunkt begreife ich die Situation noch überhaupt nicht. Vom Gespräch in Madagassisch habe ich nichts verstanden, ausser dass der Gendarm wütend war. In tiefster Krisenstimmung sitze ich im Polizeiposten und versuche, dem weiteren Gespräch einen Sinn zu entlocken. Was mir natürlich nicht gelingt, meine Panik aber schürt und ich mir die wildesten Spekulationen zusammenreime, wie: Was, wenn dieser Mann unsere Arbeit nicht gebilligt hat und uns einem Rosenholz-Baron ausliefert?

Polizist mit schlechtem Gewissen

Ich bin schon völlig fertig, als sie mich endlich aufklären. Der Grund für die «Festnahme»: Jao Aridy hat den Gendarm in Zivil nicht gegrüsst! In Madagaskar sollte man sie aber alle grüssen. Nur wie soll man das wissen, wenn er keine Uniform trägt? Ich, völlig aufgelöst, Tränen in den Augen, versuche meine Sicht zu erklären.

Das Gespräch endet damit, dass er meine Handynummer und meine E-Mail Adresse will, um in Kontakt zu bleiben! Nach rund zwei Stunden auf dem Posten können wir uns endlich ausruhen gehen. Am nächsten Morgen habe ich übrigens erfahren, dass der Gendarm Arinely ein solch schlechtes Gewissen hatte, das er uns zum Nachtessen einlädt. Ich habe während meiner Feldarbeit kein zweites Mal so gut und reichhaltig gegessen: gebratenes Huhn, Karottensalat mit Tomaten und Ei, in Essig eingelegte Zwiebeln, warme Zebu-Milch und gezuckerte Patatas. Einfach köstlich.

Nach ein paar Tagen Erholung in Ampanavoana machen wir uns auf zur letzten Velofahrt in Richtung Vinanivao im Süden der Masoala-Halbinsel. Die strenge Feldarbeit beginnt an den Kräften zu zehren. Die vierstündige Fahrt ist definitiv die schlimmste an der Ostküste. Dafür werden wir am Ziel mit einem schmucken Hafendörfchen und schicken Bungalows von Marie-Hélène belohnt.

Rührende Fürsorge

Von Vinanivao brechen wir zur letzten Dschungelwoche auf. Unser Ziel ist die Region Magniria, die sich direkt neben dem Urwald befindet. Unsere Zelte schlagen wir auf dem Grundstück einer Grossfamilie auf, welche zu acht in einer kleinen Hütte haust. Die Familie lebt sehr bescheiden und da sie kein Fleisch essen, sind auch alle sehr mager. Dennoch bietet mir die älteste Tochter ihr Kopfkissen zum Schlafen an, da ich ja keins dabei hätte! Ich bin zutiefst gerührt.

Die erste Sammeltour führt uns entlang bestehender Pfade. Zur Mittagszeit erreichen wir ein kleines Dorf, wo wir «Sano», eine wunderbare Frucht, essen. Die Familien kommen mit all ihren Kindern vorbei. Manche davon wollen sie mir gleich mitgeben, damit sie eine gute Ausbildung bekommen. Hätte ich alle Kinder angenommen, wäre ich mit einer grossen Kinderschar in die Schweiz zurückgekehrt.

Zurück im Lager gibt es spannende Neuigkeiten: Die Männer der Familie haben ein Wildschwein gefangen - die einzigen Tiere, die sie im Wald jagen dürfen. Sie sind gerade dabei, die Haare über dem Feuer wegzubrennen. Natürlich werden wir gleich gefragt, ob wir einen Teil des Fleisches kaufen wollen. Ich willige ein und beauftrage Jao Aridy, Fleisch für zwei Mahlzeiten zu kaufen. Keine Ahnung, was in der Kommunikation schief läuft, aber es endet damit, dass wir ein halbes Wildschwein für 10'000 Ariary (ca. 4 Franken) kaufen.

Um das Fleisch haltbar zu machen, wird es von den Guides auf dem Feuer getrocknet. Innereien müssen aber sofort gegessen werden. Lunge, Leber, Herz, Milz, Niere: Alles wird verspeist. Fürs Abendessen geht das ja noch, aber das Gleiche gibt es auch zum Frühstück am nächsten Morgen! Da muss ich zum ersten Mal passen und mich mit Reis begnügen.

Wundsalbe leistet Wunderbares

Am zweiten Sammeltag wandern wir entlang der schönsten Flussläufe, welche an manchen Stellen grosse Becken bilden und zum Schwimmen einladen. In diesen Wäldern gibt es vor allem Palisander. Vom Ebenholz findet man keine grossen Bäume mehr, da hier vor rund zehn Jahren beim Ebenholz-Boom alle gefällt wurde. Nach einem wunderschönen Tag empfangen uns im Lager viele Leute, die wissen wollen, ob ich einen Fotoapparat dabei habe. Auf dem Hausplatz startet ein Fotoshooting. Unheimlich witzige Situation!

Am Abend verarzte ich die Familie: Der Vater hat sich mit der Machete eine tiefe Wunde in den Daumen geschlagen, die Mutter hat sich mit siedend heissem Wasser die Oberschenkel verbrannt und der älteste Sohn hat eine offene Wunde am Knie. Eines weiss ich bestimmt: In meiner Reiseapotheke wird nie mehr eine Vita-Merfen-Salbe fehlen. Damit konnte ich alle Wunden während meiner Feldarbeit schnell zum Heilen bringen.

Üble Magenverstimmung und schwerer Abschied

In der Nacht bekomme ich Schüttelfrost und Halluzinationen. Die nächsten beiden Tage bleibe ich mit Durchfall und Fieber im Camp. In dieser Situation sind die Auswirkungen von Appetitlosigkeit verheerend. In der Schweiz lässt man sich vom Supermarkt Zwieback und Cola bringen. Im Dschungel, vier Stunden Fussmarsch vom nächsten grösseren Dorf entfernt, wo es nur Reis, getrockneten Fisch, Bohnen und getrocknetes Wildschweinfleisch gibt: ein Dahinsiechen sondergleichen. Ich habe Glück. Mir geht es nach zwei Tagen besser und so wagen wir den Fussmarsch nach Vinanivao zurück zu Marie-Hélène und dem guten Essen.

Mit einem Motorboot fahren wir von Vinanivao nach Maroantsetra zurück, wo es noch einiges Administratives zu erledigen gibt, ehe ich mich schweren Herzens von Jao Aridy verabschiede und in die Hauptstadt nach Antananarivo fliege, meine Proben für den Export abliefere und zurück in die Schweiz fliege.

Knapp drei Monate Feldarbeit in Masoala sind vorbei, viele Kilometer zu Fuss oder per Velo zurückgelegt, ich habe unglaublich viel erlebt und gesehen und ein eindrückliches, einzigartiges zugleich aber auch verwirrendes und polarisierendes Madagaskar ins Herz geschlossen.

Zur Person

Sonja Hassold (28) ist Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Alexander Widmer, Professor für Genetische Pflanzenökologie. Sie hat von Ende August bis Ende 2011 im Rahmen ihrer Dissertation im Masoala-Nationalpark auf Madagaskar gearbeitet und Holzproben der dortigen Baumarten gesammelt. Sie will herausfinden, ob es möglich ist, madagassische Tropenhölzer genetisch zu unterscheiden, um damit gegen den illegalen Holzhandel mit Palisander und Rosenholz vorzugehen. Das Projekt wird von der Mercator Stiftung Schweiz finanziell unterstützt.