Veröffentlicht: 09.05.13
Science

Imprägnierung reichert sich in Umwelt an

Wasserabweisende, funktionelle Outdoorbekleidung geriet wegen umweltschädlicher Imprägniermittel in die Kritik. Wo genau liegt das Problem? Der ETH-Chemiker Martin Scheringer gibt Auskunft.

Interview: Fabio Bergamin
Martin Scheringer analysiert Umweltrisiken von langlebigen Substanzen. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)
Martin Scheringer analysiert Umweltrisiken von langlebigen Substanzen. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Die Umweltorganisation Greenpeace stellte in den vergangenen Monaten den Grossverteiler Migros an den Pranger. Letzterer hatte eine Kinder-Outdoorjacke im Angebot, die mit einer für Umwelt und Gesundheit problematischen Substanz, einem fluorhaltigen Imprägniermittel, behandelt war. Martin Scheringer, Privatdozent am Institut für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften, befasst sich mit Chemikalien, die sich in der Umwelt anreichern. Im Rahmen des Forums «Molekulare Wissenschaften» des Departements Chemie und Angewandte Biowissenschaften (D-CHAB) hielt er am Mittwoch einen öffentlichen Vortrag zur Problematik von fluorierten Imprägniermitteln für Outdoor-Bekleidung. ETH Life hat sich aus diesem Anlass mit ihm unterhalten.

Herr Scheringer, bemängelt Greenpeace die imprägnierten Kinderjacken zu Recht?
Im Fall der Kinder-Outdoorjacke von Migros legt die Umweltorganisation den Finger auf die Klasse der poly- und perfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Ein Grossteil der modernen Outdoorbekleidung – wasserdichte Jacken oder Bergsteigerhosen beispielsweise – sind mit Substanzen dieser Klasse imprägniert. Auch handelsübliche Imprägniersprays enthalten diese Chemikalien. Aus Umwelt- und Gesundheitssicht muss man sie tatsächlich als problematisch einstufen.

Weshalb?
Diese Chemikalien sind extrem langlebig, und sie reichern sich in der Umwelt und in der Nahrungskette an. PFAS werden seit den 1970er-Jahren in zunehmenden Mengen eingesetzt. Bei Herstellung und Gebrauch von Kleidungsstücken gelangen sie in Gewässer und in die Luft. Weil die Substanzen nicht abgebaut werden, baut sich die Konzentration dieser Stoffe in der Umwelt stetig auf. Das ist irritierend, ungewöhnlich und unerwünscht.

Wie giftig sind die Substanzen?
Ich muss vorausschicken, dass ich kein Toxikologe bin. Die Klasse der PFAS ist gross und die einzelnen Chemikalien unterscheiden sich in ihrer Toxizität. Einige toxikologische Studien zeigten bei Tieren eine leberschädigende Wirkung auf. Andere Studien wiesen bei Tieren ein verringertes Geburtsgewicht von Nachkommen nach. Die Stoffe sind nicht stark akut giftig. Man muss jedoch davon ausgehen, dass sie eine langfristige schädigende Wirkung haben, zum Beispiel stehen sie im Verdacht, die Spermienzahl beim Menschen zu vermindern. Die in der Kinderjacke von Migros nachgewiesene Substanz – Fluortelomeralkohol – ist übrigens nicht die allergiftigste dieser Substanzen, sie ist einfach eine von vielen. Doch auch diesen Fall muss man als problematisch einstufen.

Auch, weil es sich bei Kinderjacken um einen Spezialfall handelt, nehme ich an.
Ja, gerade bei Kindern ist grosse Vorsicht geboten bei der Exposition durch Giftstoffe. Ein grundsätzliches Problem bei Jacken ist, dass man sie nahe am Körper trägt. Bei Kindern kommt dazu, dass bei ihnen der Hand-zu-Mund-Kontakt ausgeprägt ist und sie auch einmal den Jackenärmel in den Mund nehmen. So können sie die Stoffe auch oral aufnehmen. Aus Luftmessungen in Outdoorgeschäften ist zudem bekannt, dass sich die Imprägniermittel verflüchtigen. Sie können somit, vor allem in Innenräumen, auch über den Atem in den Körper gelangen.

Warum kommen diese Chemikalien überhaupt zum Einsatz?
PFAS haben einzigartige Eigenschaften. Sie weisen sowohl Wasser als auch Schmutz ab. Nur wenige Chemikalien vereinen diese beiden Eigenschaften. Chemisch gesehen verdanken sie dies einer langen Kette von Fluoratomen, einer sogenannten Perfluorkette. Diese Kette geht sowohl mit Wasser als auch mit Fetten nur sehr schwache Wechselwirkungen ein. Sie ist aber auch der Grund der Umweltproblematik.

Inwiefern?
Die Perfluorkette wird in der Umwelt so gut wie gar nicht abgebaut. Um die Kohlenstoff-Fluor-Bindung zu brechen, müsste man die Substanz bei sehr hohen Temperaturen verbrennen. Solche Bedingungen gibt es in der Natur nicht. Auch gibt es keinen Mikroorganismus, der diese Substanzen abbauen würde.

Gibt es keine Alternativen zu diesen Substanzen?
Selbstverständlich kann man sich auch wasserdichte Jacken ohne Imprägnierung mit PFAS vorstellen – Wachsjacken beispielsweise. Doch diese sind schwerer und weniger luftdurchlässig. Die Industrie versucht nun, für die Imprägnierung Substanzen mit kürzeren Perfluorketten zu entwickeln. Zwar persistieren auch diese in der Umwelt, sie reichern sich aber offenbar weniger stark in der Nahrungskette an. Trotz erster solcher Bemühungen würde ich mir allerdings wünschen, die Textilindustrie würde mit Nachdruck gemeinsam mit der chemischen Industrie nach Alternativen suchen. Es gibt mittlerweile fluorfreie Produkte auf dem Markt, welche Imprägnierung gegen Wasser ermöglichen, aber es muss auch eine genügend grosse Nachfrage danach aufgebaut werden.

Werden die PFAS auch für andere Anwendungen verwendet?
Es gibt schmutzabweisende Teppiche, die mit PFAS imprägniert sind. Ausserdem sind Hamburger- und Pizzaschachteln damit beschichtet. Ich persönlich schätze die Lebensmittelverpackungen sogar als noch problematischer ein als die Imprägniermittel für Textilien, denn aus ihnen können die Chemikalien in die Nahrung gelangen, besonders wenn die Nahrungsmittel warm sind. Man kann die PFAS übrigens in Industrieländern im Blut der meisten Menschen nachweisen.

PFAS sind dennoch erlaubt.
Es gibt eine Grosszahl an verschiedenen PFAS. Eines davon, Perfluoroktansulfonat (PFOS), wird mittlerweile von der Stockholmer Konvention für langlebige organische Schadstoffe geregelt. PFOS wird heute nicht mehr in Imprägniermitteln verwendet und wurde auch in den Greenpeace-Studien nicht gefunden. Andere PFAS dürfen aber weiterhin verwendet werden. Hersteller und Händler verstossen nicht gegen das Gesetz.

Zur Person

Martin Scheringer (47) ist Chemiker und Privatdozent am Institut für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften. Sein Hauptforschungsgebiet sind Umweltrisikoanalysen von Chemikalien, insbesondere von langlebigen Stoffen. Dabei untersucht er, aus welchen Quellen diese Substanzen freigesetzt werden und mittels Computermodellierungen, wie sie sich in der Umwelt verteilen.

 
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