Veröffentlicht: 16.05.13
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Am Puls der Schweizer Wirtschaft

Kriegswirtschaft, Wirtschaftswunder, Finanzkrise – die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH hat alles erlebt. Seit 75 Jahren begleitet und analysiert sie die Auf und Abs der Schweizer Wirtschaft so beständig wie kaum eine andere Institution.

Martina Märki
Eugen Böhler (l.) leitete die KOF von 1938 bis 1964. Heutiger KOF-Leiter seit 2006 ist Jan-Egbert Sturm. (Bilder: KOF / ETH Zürich)
Eugen Böhler (l.) leitete die KOF von 1938 bis 1964. Heutiger KOF-Leiter seit 2006 ist Jan-Egbert Sturm. (Bilder: KOF / ETH Zürich) (Grossbild)

«Den Leuten erklären, wie es der Schweiz geht und warum – das ist nicht immer einfach. Aber wenn wir es nicht können, wer soll es denn sonst können?», sagt Jan-Egbert Sturm, Leiter der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich seit 2006. Ein Grossteil seiner Amtszeit stand unter den Vorzeichen der Finanz- und Eurokrise. Daten und Fakten liefern sei in solchen Zeiten besonders wichtig. Und sie mit dem nötigen Expertenwissen bewerten und kommentieren. In beiden Bereichen kann die KOF als schweizweit älteste und grösste Konjunkturforschungsinstitution punkten.

Auch die Gründung der KOF stand im Zeichen der Krise. Die Schweiz litt unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise und der 2. Weltkrieg stand vor der Tür. Die KOF Konjunkturforschungsstelle wurde am 16. Mai 1938 unter dem Namen Institut für Wirtschaftsforschung gegründet, um als unabhängige Stelle eine adäquate Einschätzung des aktuellen Wirtschaftsgeschehens in der Schweiz zu liefern – bis heute eine ihrer Kernaufgaben. Finanziert wurde das Unternehmen durch Beiträge der Wirtschaft, den Bund und Auftragsarbeiten.

Institutsleiter war Eugen Böhler, seit 1924 Professor für Nationalökonomie an der ETH. Er sollte die Geschicke der KOF bis 1964 prägen. Seine erstklassigen Beziehungen zu Unternehmern hatte Böhler bereits 1937 mit der Gründung einer Erfahrungsaustauschgruppe für Konjunkturbeobachtung (ERFA), heute Wirtschaftsforum, gefestigt. Rund 30 Unternehmerpersönlichkeiten trafen sich mit ihm zu monatlichen Sitzungen und vertraulichem Meinungsaustausch. Aus diesen Treffen entstand die Urform der Konjunkturumfragen, die bis heute ein Markenzeichen der KOF sind.

Unternehmensbefragungen als Fundament

Ab 1955 nämlich begannen Böhler und seine Mitarbeiter, den Unternehmern zur Vorbereitung der Treffen Fragebogen zuzustellen, die dann eingesammelt und von Hand ausgewertet wurden. Am Befragungsrhythmus hat sich seither wenig geändert. Noch immer fühlt die KOF der Schweizer Wirtschaft mit monatlichen und vierteljährlichen Befragungen den Puls. Die Befragungen basieren heute allerdings auf ungleich grösseren Stichproben von über 11‘000 befragten Unternehmen in der Schweiz. «Die KOF verfügt über praktisch lückenlose Daten der Konjunkturbefragung seit 1955», sagt der heute pensionierte KOF-Mitarbeiter Richard Etter, der seit 1978 für die Konjunkturumfragen zuständig war. Diese Kontinuität und die Nähe zur Wirtschaft bei gleichzeitiger wissenschaftlicher Unabhängigkeit machen die Konjunkturumfragen der KOF aus seiner Sicht einzigartig.

Die Fragestellungen entwickelten sich im Lauf der Zeit weiter, computerbasiertes Arbeiten mit Modellen und statistischen Methoden wurde immer wichtiger. Immer neue Branchen wurden in die Befragung aufgenommen, namentlich die Bauwirtschaft und die Finanzindustrie.

Analysen und Prognosen

Neben den Befragungen prägen die regelmässigen Prognosen das Bild der KOF in der Öffentlichkeit. «Der grosse Datenfundus aus den Befragungen aber auch der Detailierungsgrad, mit dem wir unsere Prognosen erstellen können, sind entscheidende Vorteile unserer Arbeit», erläutert KOF-Leiter Sturm. Rund 300 Variablen werden in einem konsistenten Rahmen prognostiziert. In der Öffentlichkeit regelmässig zur Kenntnis genommen wird nur ein Teil davon, etwa in Form von Prognosen zur BIP-Wachstumsrate, zur Inflationsrate und zur Arbeitslosenquote.

Die Daten sind jedoch auch Basis von Spezialanalysen, die mitten ins Zeitgeschehen zielen. Studien zur Personenfreizügigkeit, über Migrationsströme im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt, oder darüber, wie aus Finanzkapital Realkapital wird, sind nur einige der höchst aktuellen Themen.

Forschen am Puls des Zeitgeschehens

Sturms erklärtes Ziel ist es, die wissenschaftliche und die internationale Präsenz der KOF weiter auszubauen. Die KOF erhielt unter seiner Leitung zwei zusätzliche Professuren und betreut derzeit 18 Doktoranden. Die Gebiete der neuen Professuren zielen direkt in Brennpunkte aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. «Internationalisierung und Innovation sind für Volkswirtschaften in einer offenen, globalen Gesellschaft immer wichtiger», erklärt der KOF-Leiter die Gründung der gleichnamigen Professur für angewandte Ökonomie. Mit der Errichtung einer Professur für öffentliche Finanzen 2013 forscht die KOF in einem Gebiet, das gerade in Hinblick auf die Sozialversicherungen und die alternde Gesellschaft immer aktueller wird. Kürzlich hat die KOF zudem einen Bereich Bildungssystemvergleiche geschaffen. Dies unter anderem in Hinblick auf die Frage, wie man den in der Schweiz beklagten Fachkräftemangel beheben könnte. «Mit den neuen Forschungsbereichen sind wir gut gerüstet für die Zukunft», so Sturm.