«Fast eine technologische Revolution»
Rund 1000 Forschende aus aller Welt treffen sich derzeit an der ETH Zürich, um über neue Entwicklungen in der Automation und der Regelungstechnik zu sprechen. Manfred Morari, Professor für Automatik und Vorsitzender der 12. European Control Conference, erläutert den Stand der Forschung.
ETHLife: Wer in den vergangenen Tagen die
Haupthalle der ETH Zürich betrat, traff auf ganz unterschiedliche Exponate:
Modellrennwagen, die ihren Weg selbständig finden, Würfel, die springen und auf
der Spitze balancieren, Maschinen, die menschliche Bewegungen steuern und als
Therapieroboter eingesetzt werden. Worum geht es eigentlich bei dieser
Konferenz?
Manfred Morari: Diesen Beispielen ist gemeinsam,
dass komplexe Systeme mit Hilfe von Rechnungen und Regeln, Computern und
Sensoren automatisiert und gesteuert werden. Das Konzept der Regelung und Automatisierung
ist alt. Aber im letzten Jahrzehnt haben viele Entwicklungen auf
technologischer Ebene stattgefunden, die fast zu einer Revolution in diesem
Gebiet geführt haben.
Worin besteht diese Revolution?
Sie betrifft beispielsweise die Rechenleistung,
die uns heute zur Automatisierung zur Verfügung steht. In den letzten 10 bis 15
Jahren haben sich etwa die Möglichkeiten, in Echtzeit zu rechnen, um ein
Vielfaches verbessert. Ein Problem, für das wir vor 15 Jahren etwa eine Stunde
Rechenzeit gebraucht haben, können wir heute in einer Mikrosekunde berechnen. Wir
können jetzt Prozesse, von denen wir früher nur träumen konnten, effizient,
sicher und ökonomisch gestalten. «Control», also Regelungstechnik, ist ein
Werkzeug dazu.
Die erste European Control
Cenference fand zu Beginn der 1990er Jahre statt. Was hat sich thematisch seither
verändert?
Dank den technologischen
Entwicklungen und den rechnerischen Möglichkeiten hat sich das Themenspektrum stark
erweitert. Früher ging es beispielsweise um die Automatisierung von
Produktionsprozessen. Heute ist die Energiefrage als zentrales Thema zurückgekehrt.
Ein zweites wichtiges Thema ist die Steuerung biologischer Systeme. Im
Energiebereich haben sich mit den neuen Messmethoden und Kommunikationsmitteln
neue Perspektiven ergeben, wie man beispielsweise Verbrauchsmuster analysieren
und den Kunden einbeziehen kann. Und in der Biologie können wir heute dank
neuen analytischen Methoden Stoffkonzentrationen in einer einzelnen Zelle
messen, was früher unmöglich war.
Vor welchen Herausforderungen
stehen die Forschenden heute?
Die neuen technologischen
Möglichkeiten haben die Systeme viel komplexer gemacht. Wie man diese
Komplexität gestalten und bewältigen kann, wird ein immer grösseres Problem. Die
Software für ein Luxusauto beispielsweise umfasst gut und gerne 100 Millionen Programmzeilen.
Sicherzustellen, dass sie fehlerfrei funktioniert, ist eine riesige
Herausforderung. Andererseits sind Autos durch die elektronische Steuerung
vieler Vorgänge tatsächlich komfortabler und sicherer geworden.
Wie gelingt in einem Gebiet mit
derart unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten die Kommunikation zwischen den
beteiligten Disziplinen?
Die Systemwissenschaften und die
Regelungstechnik basieren auf der Idee, dass wir die verschiedenen Prozesse,
mit denen wir uns befassen, mit einer grundlegenden Theorie ähnlich analysieren
können. Das ist natürlich nur auf einer relativ abstrakten Ebene möglich. Auf
dieser Ebene können unterschiedliche Disziplinen meist miteinander
kommunizieren. Wenn man sich dann mit konkreten einzelnen Prozessen befasst,
muss man sich aber auf die beteiligten Disziplinen einlassen. Je mehr man sich
in die spezifische Materie vertieft, desto schwieriger wird die Kommunikation. Das
ist eine weitere Herausforderung unseres Gebiets.
Was ist das Ziel der aktuellen
Konferenz?
Ganz sicher ist eines unserer
Ziele, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Disziplinen zu fördern.
Dass Biologen mit Energieforschern sprechen, ist nicht selbstverständlich. Gleichzeitig
möchten wir unseren Gästen zeigen, was die ETH Zürich auf dem Gebiet der
Automatisation und Regelungstechnik
leisten kann. Dafür sind gerade rund 100 ETH-Angehörige im Einsatz. Denn neben
dem üblichen Konferenzprogramm zeigen wir aktuelle Projekte der ETH in der Haupthalle
und bieten Laborführungen an.
Was leistet die ETH Zürich in
diesem Themenbereich?
Die ETH Zürich hat in den letzten
Jahrzehnten ihre Aktivitäten in den betroffenen Disziplinen enorm verstärkt. Sie
hat dabei unter anderem im Energiebereich deutlich früher als viele andere
reagiert. Die Früchte davon können wir jetzt quer durch die verschiedenen
Departemente sehen. Dass wir für die aktuelle Konferenz tatsächlich alle hochkarätigen
Wunschkandidaten als Vortragende gewinnen konnten, ist ein Zeichen dafür, dass
die ETH Zürich als hervorragende Adresse gilt.
European Control Conference
Die European Control Conference (ECC) geht auf eine Initiative der 1990 gegründeten European Control Association (EUCA) zurück und wurde seit 1991 alle zwei Jahre durchgeführt. In Zukunft soll sie jährlich stattfinden. Ziel ist die Förderung des wissenschaftlichen Austauschs und des Technologietransfers im Gebiet der Automatisation und Regelung. Präsident der EUCA ist seit 2011 Manfred Morari, Professor für Automatisation an der ETH Zürich.
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