«Ein Doktorat bildet die Persönlichkeit aus»
Die Mittelbau-Vereinigung der ETH Zürich (AVETH) hat im Juni einen neuen Präsidenten gewählt: Der 27-jährige deutsche Elektrotechniker Lars Büthe übernimmt die Nachfolge des theoretischen Physikers Julián Cancino. Im Interview mit ETH Life spricht Büthe über die ETH-Kultur, die Integration und den Nutzen der Lehre.
Lars Büthe, seit gut
einem Jahr arbeiten sie im Institut für Elektronik als Doktorand. Zuvor haben
Sie an der Universität Erlangen-Nürnberg als Diplomingenieur in Mechatronik
abgeschlossen. Was hat Sie gereizt, an die ETH zu kommen?
Ein wichtiger Punkt war der internationale Ruf der ETH. Ein
anderer war die Neugier. Ich wollte etwas Neues sehen. Im Bewerbungsgespräch
mit Gerhard Tröster, der die Professur für Elektronik leitet, merkte ich rasch,
dass wir ein ähnliches Verständnis haben, wie man an eine Forschungsarbeit herangeht.
Als Doktorand habe ich an der ETH zudem sehr viel Selbständigkeit und Freiheit
in der Themenwahl.
Sie sind aus Deutschland
an die ETH gekommen. Wie haben Sie den Einstieg erlebt?
Ich bin in der Schweiz sehr freundlich aufgenommen worden. Am
Anfang musste ich mir zwar meine Informationen selber zusammensuchen, aber wenn
ich Fragen hatte, wurde mir immer geholfen. Damit ich nicht zu oft ins
Fettnäpfchen trete, habe ich mich mit dem Büchlein «Gebrauchsanweisung für die
Schweiz» vorbereitet. Das war hilfreich.
Was ist typisch für
die ETH?
Die ETH Zürich ist sehr strukturiert und organisiert. Das Betreuungsverhältnis
der Doktorierenden zu den Studierenden hat hier ein gutes Mass, und im
Vergleich zu anderen Universitäten hat die ETH doch beträchtliche finanzielle Ressourcen.
Und noch etwas ist mir aufgefallen, ich weiss aber nicht, ob das für die ETH
oder für die Schweiz typisch ist…
Was denn?
Das Mitspracherecht ist hier viel ausgeglichener. In den
Hochschulgremien diskutieren Professoren, Mittelbau, Studierende und Personal
auf Augenhöhe. In den Gremien, die ich aus Deutschland kenne, ist die
Mitwirkung hierarchischer organisiert. Da kamen, überspitzt gesagt, zwanzig
Professoren auf einen Studenten und einen Mitarbeiter, und die durften dann die
Entscheidungen nur noch abnicken. Das Mitwirkungskonzept der ETH ist viel konstruktiver.
Wie wollen Sie als Präsident
der AVETH die Mittelbau-Vereinigung positionieren?
Wir haben zwei Standbeine: Zum einen vertritt die AVETH in
der Hochschulpolitik die Interessen des wissenschaftlichen Mittelbaus, zum
anderen organisieren wir Veranstaltungen wie die Glühwein-Events oder
Wanderungen, um die Kontaktpflege im Mittelbau zu unterstützen. Das ist, was
wir mit unseren begrenzten Ressourcen machen können - schliesslich ist die
Mitwirkung ehrenamtlich.
Welche Themen wollen Sie
als AVETH-Präsident anpacken?
Wir wollen die Zusammenarbeit mit den Mittelbau-Fachvereinen
in den Departementen noch weiter verfestigen. Mein Vorgänger Julián Cancino hat
im vergangenen Jahr den Einbezug der Fachvereine gezielt ausgebaut. Diese
Arbeit wollen wir nun fortführen, damit die AVETH die Anliegen des Mittelbaus
gezielt wahrnehmen kann und weniger stark vom Engagement einzelner Personen
abhängt.
Sie waren bisher für
die Kommunikation der AVETH verantwortlich. Was waren da die Herausforderungen?
Zum einen war das die interne Kommunikation unter den
Mitgliedern, zum anderen besteht weiterhin ein Bedarf, die AVETH noch besser im
Mittelbau zu verankern. Bei den Doktoranden ist sie stark präsent, bei den
Postdoktorierenden und Oberassistenten weniger.
Mit welchen Themen
wollen Sie Postdoktorierende abholen?
Die Nachwuchsförderung bleibt für uns ein Hauptthema. Sowohl
Postdoktorierende als auch Doktorierende sollen in der Karriereentwicklung noch
mehr unterstützt werden und wissen, welche Alternativen ihnen die Hochschule zu
einer Karriere in der Privatwirtschaft bieten kann.
Sie haben das gute Betreuungsverhältnis
von Doktorierenden und Studierenden erwähnt. Ein strittiges Resultat der
Doktorandenbefragung 2012 war die Frage, ob sich die Doktorierenden an der
Lehre beteiligen sollen. Die Stimmen dafür und dagegen hielten sich die Waage.
Ich persönlich finde es gut, dass die Doktorierenden
Lehraufgaben übernehmen müssen, weil für mich das Doktorat nicht nur eine
Forschungs-, sondern auch eine Persönlichkeitsausbildung ist. Wer sich aktiv an
der Lehre beteiligt, kann besonders in der Kommunikation viel lernen.
Weshalb?
Wenn ich ein Team von Hilfsassistenten leite, dann ist das
Personalführung. Diese Qualifikation hilft mir, wenn ich mich in die Privatwirtschaft
bewerbe, womöglich ebenso viel wie ein Superergebnis in der Forschung.
Welche Lehraufgaben
haben Sie?
Zusammen mit einem Kollegen betreue ich ein Praktikum mit
ca. 220 Studierenden. Dieses haben wir komplett umgebaut und die Versuche zu
digitalen Schaltungen vollständig überarbeitet. Dabei habe ich gelernt, wie ich mich im
Doktorat organisiere, aber auch wie ich mit den Studierenden umgehen und
kommunizieren muss. Darin liegt für mich ein Wert der Lehre.
Haben Sie neben der
Betreuung der Studierenden genug Zeit für
ihre Doktorarbeit?
Ich kann nicht für alle Institute und Departemente sprechen,
doch war gerade das ein Grund für mich, um an die ETH zu kommen: Hier stimmt
die Balance zwischen Lehre und Forschung.
In einer Kolumne fordert Ihr Kollege aus dem AVETH-Vorstand, Florian Emaury, die Einführung
eines auf den Lehrplan abgestimmten Programms, das die sprachliche und
kulturelle Integration von Wissenschaftlern fördert. Er moniert, dass die
Campus- und Unterrichtssprache hauptsächlich Deutsch sei und Englisch
langfristig die Lingua Franca sein sollte. Er fordert, Sprachkurse im Doktorat
stärker zu fördern.
Die ETH könnte tatsächlich noch mehr machen. Es wäre
wichtig, dass sie sich strategisch klar positioniert und darlegt, welche
Sprachenstrategie sie umsetzen will, wenn sie einerseits die Doktorierenden
international rekrutiert, die Lehre aber zu grossen Teilen auf Deutsch
abwickeln will, besonders auf der Bachelorstufe. Oft hat man gar keine andere
Wahl als dass die deutschsprachigen Doktorierenden die Bachelor-Studierenden betreuen
und die nicht-deutschsprachigen die Master-Studierenden.
Julián Cancino: Zurück in die Forschung
An der ausserordentlichen Generalversammlung vom 25. Juni 2013
hat die AVETH Lars Büthe zum neuen Präsidenten gewählt. Büthe ist Doktorand in
der Wearable Computing Group von Gerhard Tröster, Professor für Elektronik
(D-ITET). Dort untersucht er flexible Sensoren, die man biegen und am Körper
tragen kann. Genutzt werden solche Sensoren für intelligente Kleidung in
Medizin und Sport.
Seit Februar 2012 hat Julián Cancino die AVETH als Präsident
geleitet. Zuvor leitete er die Arbeitsgruppe Politik (PoWoG). Der
Physik-Doktorand hat in diesem Frühling das dritte Jahr seines Doktorats
begonnen und will sich nun ganz seiner Forschungsarbeit widmen. Zu den Schwerpunkten
seines Präsidialjahres gehören namentlich:
- der Aufbau eines Netzwerks mit den
departementalen Fachvereinen (bis September werden 15 von 16 Departementen
einen eigenen Mittelbau-Fachverein haben, der mit der AVETH zusammenarbeitet);
- der Abbau von Doppelspurigkeiten durch die
Organisation der AVETH-Arbeiten in Ressorts;
- die erste Durchführung einer
Informationsveranstaltung für Postdoktorierende; mit dem langfristigen Ziel die
Postdoktorierende besser repräsentieren zu können. (mf)
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