Veröffentlicht: 20.09.13
Science

Massgeschneiderte Therapien

Die Personalisierte Medizin revolutioniert das Gesundheitswesen. Doch wo steht die Forschung heute? Welche Chancen und Risiken sehen die Experten aus Wissenschaft und Recht? Darüber informierte die ETH Zürich die Bundesparlamentarier in Bern.

Thomas Langholz
Für Wilhelm Krek, Professor für Zellbiologie und Leiter des Instituts für Molekulare Gesundheitswissenschaften, muss noch viel geforscht werden, um herauszufinden, welchen Einfluss Umweltfaktoren auf das Genom haben. (Bild: Thomas Langholz / ETH Zürich)
Für Wilhelm Krek, Professor für Zellbiologie und Leiter des Instituts für Molekulare Gesundheitswissenschaften, muss noch viel geforscht werden, um herauszufinden, welchen Einfluss Umweltfaktoren auf das Genom haben. (Bild: Thomas Langholz / ETH Zürich) (Grossbild)

Die Experten sind sich einig: Die auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Medizin ist die Medizin der Zukunft. Doch gleichzeitig mit dem wissenschaftlichen Fortschritt müssen viele rechtliche und ethische Fragen beantwortet werden. ETH-Präsident Ralph Eichler hatte die Schweizer Parlamentarier sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung zur Veranstaltungsreihe „ETH Zürich in Bundesbern“ zum Thema „Personalisierte Medizin“ eingeladen.

Individuelle Behandlung

Markus Stoffel, Mediziner und Professor am Departement Biologie, brachte das Ziel der Personalisierten Medizin auf den Punkt: «In Zukunft soll eine an den Patienten angepasste Behandlung in der notwendigen Dosierung zum richtigen Zeitpunkt mit dem besten Ergebnis eingesetzt werden.»

Den Grundstein zur personalisierten Medizin legte die Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2001. Damals konnte erstmals das gesamte Erbgut eines Menschen präsentiert werden. Die DNA ist aus chemischen Basen aufgebaut und enthält die Informationen, die für die Entwicklung und Ausprägung spezifischer Eigenschaften eines Lebewesens notwendig sind. Die entschlüsselten Daten tragen dazu bei herauszufinden, ob jemand prädestiniert ist, an einer Krankheit zu leiden.

Genom wird schon einbezogen

Doch diese Informationen allein reichen nicht aus, wie Wilhelm Krek, Professor für Zellbiologie und Leiter des Instituts für Molekulare Gesundheitswissenschaften an der ETH Zürich, erklärte: «Welchen Einfluss Umweltfaktoren oder die Ernährung auf das Genom haben, wissen wir noch zu wenig. Hier muss noch sehr viel geforscht werden.» Warum etwa bei eineiigen Zwillingen mit identischem Erbgut einer an Diabetes erkrankt und der andere nicht, lässt sich wissenschaftlich nicht über das Genom erklären. Doch bereits heute erhalten Patienten individuelle Krebstherapien nach ihren genetischen Dispositionen. Das ETH-Spin-off ProteoMedix zum Beispiel erforscht verschiedene Behandlungsmethoden bei Prostatakrebs. Für Wilhelm Krek bietet die Personalisierte Medizin eine präzise Diagnostik und wirksamere Therapien.

Mediziner Markus Stoffel betonte, dass bereits heute neue Medikamente aufgrund von Genom-Daten präziser, schneller und vor allem günstiger entwickelt werden. Er stellt jedoch klar: «Die Personalisierte Medizin kann nicht Gott spielen. Aus den Daten lassen sich nur Wahrscheinlichkeiten für Erkrankungen ablesen.» Ein Beispiel hierfür: die pränatale Diagnostik. Während bisher eine Fruchtwasseruntersuchung notwendig ist, die das Risiko einer Fehlgeburt in sich birgt, kann jetzt dieselbe Untersuchung an Hand einer Blutprobe der Mutter durchgeführt werden. Eine Herausforderung für Markus Stoffel ist die Komplexität der Personalisierten Medizin: Fachleute müssten auch in Biotechnologie, Informatik und Ethik geschult werden.

Umfassende Patienteninformation

Brigitte Tag, Professorin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, griff die rechtlichen und ethischen Implikationen der Personalisierten Medizin auf. «Der Patient hat keine Ahnung von Basen der DNA. Er möchte von seinem Arzt vor allem wissen, wie sein Medikament wirkt und was es kostet.» Es gäbe hingegen auch ein Recht auf Nichtwissen. Doch wie soll jemand nach einer Genomentschlüsselung damit umgehen, wenn er erfährt, dass er eine Disposition für einen Herzinfarkt hat? Sein Genom gleicht dem seiner Kinder, seiner Geschwister und dem seiner Eltern.

Auch bei Versicherungen sei noch unklar, wie diese rechtlich mit den Informationen umgehen sollten. Die bisher solidarische Krankenversicherung könnte dann zu höheren Versicherungsbeiträge für gewissen genetische Dispositionen führen. Brigitte Tag sprach sich gegen eine «Medizin für Reiche aus» und fordert, dass es aufgrund genetischer Disposition keinen Versicherungsausschluss geben dürfte. Hier gibt es noch viel Arbeit bei der Gesetzgebung.

ETH als Ideengeber

Zur Diskussion über Nutzen und Risiken der Personalisierten Medizin könne die ETH einen wertvollen Beitrag leisten, sagte ETH-Präsident Ralph Eichler. Obwohl die ETH keine medizinische Fakultät hat, verfügt sie mit der Nähe zur Universität und zum Universitätsspital über einen einzigartigen Standort. Medizintechnik und Gesundheit ist ein strategisches Thema der ETH, dass sie in den kommenden Jahren mit zehn neuen Lehrstühlen verstärken wird. Darüber hinaus plant die ETH Zürich zusammen mit anderen Universitäten und Spitälern eine nationale Forschungsinitiative, die bereits in der neuen BFI-Botschaft für die Jahre 2017 bis 2020 verankert sein soll. «An dieser Pionierforschung muss die Schweiz vorne mit dabei sein», ist der Präsident überzeugt.