Winzige Therapiehelfer
Heute beginnt an der ETH Zürich die dritte internationale Konferenz zum Thema Nanobiotechnologie. Initiator Marcus Textor, ETH-Professor im Labor für Oberflächentechnik, erklärt im Interview, welches Potential Nanostrukturen in der biologischen und medizinischen Anwendung haben und warum die Nanoforschung noch besser kommuniziert werden sollte.
Herr Textor, kaum haben wir verstanden, was Nanotechnologie ist, kommt
nun der Begriff «Nanobiotechnologie». Was versteht man darunter?
Unter Nanobiotechnologie versteht man die Anwendung von Nanomaterialien
auf biologische Fragestellungen. Sie stellt die Schnittstelle zwischen
synthetischen aber auch biologisch erzeugten Materialien und biologischen
Systemen, wie zum Beispiel Geweben, Zellen oder Proteinen, dar.
Wo wird die Nanobiotechnologie angewendet?
Wir setzen sie ein, um grundlegende biologische Zusammenhänge zu
verstehen. Die Miniaturisierung von biologischen Prozessen, zum Beispiel in der
medizinischen Diagnostik, hat enorme Vorteile. Sie ermöglicht empfindlichere
und schnellere Nachweisverfahren und benötigt dabei viel weniger Material als
herkömmliche Methoden. Praktisch angewandt wird sie unter anderem in der
Medizin, zum Beispiel um die Wechselwirkung zwischen Arzneistoffen und
Oberflächenmolekülen von Zellen zu untersuchen. Zum grössten Teil ist das noch
Grundlagenforschung, aber die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse
werden zukünftig zu neuen Konzepten in Diagnostik und Therapie führen. Einige
Technologien sind heute schon im Einsatz.
Welche sind das?
In der Medizin werden sogenannte superparamagnetische Eisenpartikel als
Kontrastmittel bei der Magnetresonanztomographie eingesetzt. Sie ermöglichen
es, besser zwischen gesundem und Krebsgewebe zu unterscheiden. Neben den
diagnostischen Möglichkeiten bergen Nanopartikel ein grosses Potential für die
Therapie von Krankheiten. Dieses Thema wird auf der Nanobio-Konferenz
unter dem Begriff «Drug Delivery and Nanomedicine» behandelt. Für die
Krebstherapie können Nano-Container eingesetzt werden, kleinste Partikel, die
ihre Fracht gezielt in einem Tumor abladen. Tumore sind besonders stark mit
Blutgefässen versorgt, welche aussergewöhnlich durchlässig sind. Mit einem
Anti-Krebsmittel beladene Nano-Container lassen sich in die Blutbahn schleusen,
sammeln sich vorzugsweise im Tumor an und setzen ihre Fracht dort frei. Der
Wirkstoff kann in hohen lokalen Dosen ans Ziel gelangen, ohne gesunde Zellen zu
schädigen.
Wie weit sind wir von solchen Therapiemöglichkeiten entfernt?
In verschiedenen Ländern, insbesondere in Japan, laufen zur Zeit mehrere
klinische Studien, die vielversprechend aussehen. Die Therapie mit
Nano-Containern wirkt effizient gegen Tumore und zeigt sehr wenig
Nebenwirkungen. Die eine oder andere dieser Entwicklungen wird sicher in den
nächsten Jahren klinisch genutzt werden. In meiner Gruppe untersuchen wir, wie wir solche Container, die zusätzlich magnetische
Partikel enthalten, durch einen magnetischen Impuls schlagartig öffnen können.
Mit Hilfe von Magnetresonanztomographie könnte gleichzeitig kontrolliert
werden, ob die Fracht am gewünschten Ort freigesetzt wird. Diese Kombination
von Therapie und Diagnostik, die «Theragnostics», hat ein grosses Potential für
zukünftige medizinische Anwendungen.
Gewisse Nanopartikel sind in die Schlagzeilen gekommen, weil sie Risiken
für die Gesundheit des Menschen und die Umwelt bergen. Wie sieht es bei der Nanobiotechnologie
aus?
Aufgrund ihrer Winzigkeit können freigesetzte Nanopartikel unter
Umständen leicht über die Haut oder die Lunge in den Körper eindringen und
sogar die Barriere zum Gehirn überwinden. Das hängt stark von ihrer Grösse und
Form ab, unabhängig davon, ob sie für die Nanotechnologie oder
Nanobiotechnologie verwendet werden. Was an einer Stelle eine potentielle
Gefahr darstellt, kann in anderem Zusammenhang jedoch von Vorteil sein. Jeffrey
Hubbell von der EPF Lausanne hat zum Beispiel gezeigt, dass Nanopartikel gerade
aufgrund ihrer Eigenschaften sehr viel schneller in Lymphknoten gelangen und
dort als potentielle Impfstoffe wirken können.
Müssen potentielle
Risiken besser erforscht werden?
Eindeutig ja. Ein Teil der Konferenz beschäftigt sich daher auch mit dem
Thema Nanotoxikologie. Wir müssen genauer wissen, wo freigesetzte Nanopartikel
hingehen, wie lange sie im Körper bleiben und wie sie sich auswirken. Zusätzlich
zur detaillierten Charakterisierung brauchen wir eine zuverlässige Datenbank für
Nanomaterialien, was eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist. Darin müssen Grösse,
Form und Eigenschaften von verschiedenen Nanopartikeln aufgeführt sein. Eine
Nadel verhält sich nicht gleich wie ein Krümel, auch wenn das Material das
gleiche ist.
Wie wird die Nanobiotechnologie von der Öffentlichkeit aufgenommen?
Die Reaktionen sind gemischt. Bei medizinischen Anwendungen ist die
Akzeptanz grundsätzlich höher als in anderen Bereichen. Wir müssen offen und
klar kommunizieren, was wir in der Forschung machen und wo wir Risiken
vermuten. Nanobiotechnologie wird oft mit Nanopartikeln und deren Risiken
gleichgesetzt. Man muss das Ganze aber differenziert betrachten. Zum Beispiel haben
die Oberflächen von Knochen-Implantaten häufig Strukturen im Mikro- oder
Nanometerbereich, was grossen Einfluss darauf hat, wie gut das Implantat im
Knochen einwächst. Das hat aber nichts mit dem Risiko von freigesetzten
Partikeln zu tun.
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