Veröffentlicht: 12.01.12
Science

Unerwarteter Eisbildungs-Mechanismus

Extrem wasserabweisende Materialien bewirken, dass Wasser gut von den damit beschichteten Objekten abperlt. Bislang ging man deshalb davon aus, dass derart beschichtete Flugzeuge oder Windturbinen auch nicht so leicht vereisen. ETH-Forscher zeigen nun jedoch, dass die Oberflächenmaterialien unter bestimmten Bedingungen keinen Einfluss auf die Vereisung haben.

Simone Ulmer
Ein Flugzeugflügel wird enteist, um die Flugsicherheit nicht zu gefährden. (Bild: istockphoto)
Ein Flugzeugflügel wird enteist, um die Flugsicherheit nicht zu gefährden. (Bild: istockphoto) (Grossbild)

Seit dem Wintereinbruch in den Schweizer Alpen sehen wir eindrückliche Bilder: Vereiste Drahtseile von Seilbahnen, die in atemberaubenden Aktionen in schwindelerregender Höhe von Hand enteist werden müssen und eingeschneite Wetterstationen, deren Messapparaturen und Geländer von bizarren Eiskunstwerken überwachsen sind. Solche mächtigen Eiskristallisationen können sich auch auf Flugzeugen bilden und die Flugsicherheit beeinträchtigen. Oberflächen von Flugzeugen oder auch Windturbinen können deshalb mit speziellen, in der Regel rauen Beschichtungen versehen werden, die maximal wasserabstossend (superhydrophob) sind und deshalb auch der Eisbildung entgegenwirken sollen.

Prinzip Lotusblüte gegen Eisbildung?

Eine solche Beschichtung besteht oft aus winzigen Partikeln, die einerseits bereits selbst eine raue Oberfläche besitzen und anderseits auch im Verband eine raue Oberfläche bilden. In den winzigen Kulen der rauen Oberfläche bilden sich Luftpolster, so dass der Wassertropfen eine minimale Auflagefläche hat. Der sogenannte Kontaktwinkel des Wassertropfens zur Auflagefläche ist damit maximal gross und bewirkt, dass Wassertropfen einfach davon abperlen. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie beim Blatt der Lotusblüte.

Eiskristalle bilden sich nicht zwingend bei null Grad. Destilliertes Reinwasser etwa kann unter bestimmten Bedingungen bis zu ca. minus 40 Grad flüssig bleiben. Oberflächen können die Bildung von Kristallisationskeimen beeinflussen. Die Kristallisationskeime bilden sich dann unten an der Kontaktfläche und durchziehen in kurzer Zeit den ganzen Wassertropfen. Man ging deshalb bis anhin davon aus, dass die superhydrophobe Oberfläche, die einen Wassertropfen nur minimal berührt, die Eisbildung möglichst lange hinauszögert oder verhindert.

Spezialbeschichtung nicht immer hilfreich

Forscher der ETH Zürich wurden vor drei Jahren von der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) angefragt, ob sie diesen Sachverhalt genauer prüfen könnten. Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler unter Leitung von Dimos Poulikakos, Professor am Institut für Energietechnik der ETH Zürich, «supergekühlte» Wassertropfen auf vier verschiedenen Arten von Oberflächen mit unterschiedlich hydrophoben Eigenschaften. Die Versuchsanordnung setzten sie einer Umgebung mit einer Luftfeuchtigkeit von 30 bis 100 Prozent, bei konstant minus 15 Grad Celsius, aus. Ohne Luftstrom erfolgte das klassische «heterogene» Frieren der supergekühlten Flüssigkeit. Das heisst, der Kontaktpunkt fungierte als Eisbildungs-Keim, von dem aus sich in den ersten 30 Millisekunden ein poröses Eisskelett bildet, das noch Wassereinschlüsse enthält. Diese Wassereinschlüsse bleiben kurzfristig erhalten, da bei der Eisbildung auch Wärme freigesetzt wird. In einer zweiten Phase – die mit einer Dauer von 20 Sekunden fast 1000 Mal länger braucht als die «Skelettbildung» – gefriert der Wassertropfen schliesslich vollständig.

Als die Forscher jedoch bei anhaltend minus 15 Grad einen Luftstrom durch die Versuchsanordnung leiteten und dieser auf die Wassertröpfchen traf, verlief der Eisbildungsprozess völlig anders: Die erste Phase des Gefrierprozesses startet – trotz des Kontakts des Wassertropfens mit der Fläche – von der angeblasenen Oberfläche des Wassertropfens aus und ist bereits nach 18 Millisekunden abgeschlossen. Danach setzt die zweite Phase ein, in der das Skelett innert 13 Sekunden von unten nach oben vollständig gefriert. Fazit der Forscher ist, dass Umwelteinflüsse die Eisbildung auf superhydrophoben Materialien drastisch beeinflussen können.

Sobald Wind im Spiel ist, läuft die Eisbildung nicht heterogen vom Kontaktpunkt des Wassers mit der Oberfläche aus, sondern homogen von der Oberfläche des Wassertropfens. Spezielle wasserabweisende Beschichtungen spielen offensichtlich bei der Eisbildung keine entscheidende Rolle mehr. Poulikakos vergleicht den Vorgang mit dem des Schwitzens: Trotz der Tatsache, dass Tropfen, Luftstrom und Oberfläche bei konstanten Bedingungen von minus 15 Grad Celsius gehalten werden, bewirkt der Luftstrom, dass auf der Oberfläche eine Art Verdunstung stattfindet und damit lokal minimal tiefere Temperaturen auftreten. «Das hat zur Folge, dass die Energiebarriere für den homogenen Gefriervorgang ausnahmsweise tiefer liegt als beim heterogenen Kristallisationsprozess», erklärt Poulikakos.«Sobald wir einen Luftstrom mit Verdunstung haben, kommt es zur homogenen Keimbildung.»

Luftfeuchtigkeit entscheidend

Wird jedoch die Feuchtigkeit im Experiment bis zu dem Punkt erhöht, an dem fast keine Verdunstung mehr stattfinden kann, findet wieder die heterogene Keimbildung der Eiskristalle statt. Die Industrie muss sich dieser Ergebnisse, die direkt aus der Grundlagenforschung der Thermodynamik stammen und nun in «Nature Communications» publiziert wurden, bewusst sein, sagt Poulikakos. Hydrophobische Oberflächen bleiben aber nach wie vor wichtig, da sie Wasser abperlen lassen. Wenn möglich könnte man, laut Poulikakos, versuchen, weniger raue superhydrophobische Oberflächen zu konstruieren. Das ist jedoch schwierig, da es dann auch weniger Luftpolster gibt, die es wiederum für eine superhydrophobische Fläche braucht.

Literaturhinweis:

Jung S, Tiwari MK, Doan NV & Poulikakos D: Mechanism of supercooled droplet freezing on surfaces, Nature Communications (2012) 3, Article number 615 doi:10.1038/ncomms1630.

 
Leserkommentare: