Veröffentlicht: 27.03.12
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Wege aus der Krise

An der ETH-Tagung des Center for Security Studies (CSS) beschäftigten sich die Experten mit der Frage «Wohin treibt Europa – und was heisst das für die Schweiz?». Die Teilnehmer diskutierten unter anderem, wie es nach der Euro-Krise weitergeht und für welche Werte die EU steht.

Thomas Langholz
Für Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SP) bedeutet eine gemeinsame Währung noch keine gemeinsame Politik. (alle Bilder Thomas Langholz/ETH Zürich)
Für Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SP) bedeutet eine gemeinsame Währung noch keine gemeinsame Politik. (alle Bilder Thomas Langholz/ETH Zürich) (Grossbild)

Die Europäische Union steckt in ihrer grössten Krise. Nach der Rettung von Griechenland stellt sich jetzt die Frage nach der Zukunft des Euro und der EU als Ganzes. Professor Michael Stürmer, Historiker und ehemaliger politischer Berater von Helmut Kohl, sieht in der «Flutung der Märkte mit 500 Milliarden Euro» keine Lösung. Dies habe eine erneute Krise nur um zwei Jahre aufgeschoben. Doch nicht nur das Vertrauen in den Euro sei erschüttert, sondern auch das Vertrauen in die Governance der europäischen Regierungen, die mit ihren halbherzigen Rettungsversuchen die Probleme nicht behoben hätten. Ein Hauptproblem der EU sieht er in der schwindenden Bevölkerung. Zwar werden die demographischen Probleme in Frankreich und Deutschland durch die Einwanderung zum Teil abgeschwächt, dies führe jedoch, wie der jüngste Anschlag in Toulouse zeige, zu neuen kulturell motivierten Konflikten. Mit seinem Fazit «Erst wollen die Leute keine Kinder und dann wollen sie nicht sterben», brachte er die Misere auf den Punkt. Er betonte, dass Deutschland nicht ewig «den reichen Onkel» für andere Staaten spielen könne, da es selbst Verteilungskämpfe innerhalb des eigenen Landes zwischen Ost und West zu bewältigen habe. Vor dem Hintergrund der Krise sieht er die europäische Bündnisfähigkeit akut gefährdet, da zwischen den Partnern Uneinigkeit bestehe. Durch die Währungskrise sei weltweit auch das politische Gewicht der EU angeschlagen.

Katastrophales Krisenmanagement

Dem widersprach Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SP). Für ihn ist die aktuelle Situation keine Schuldenkrise der EU, sondern die Krise einzelner EU-Staaten. Auch durch die Übernahme der Bankenrisiken seien Staaten, wie zum Beispiel Irland, erst in diese Lage geraten. Für ihn liegt dies an dem Konstrukt EU selbst, da schwache Partner nicht reglementiert werden könnten. «Eine gemeinsame Währung bedeutet noch nicht eine gemeinsame Politik», gab er zu bedenken. Das Hauptproblem der EU sieht er im wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen den Ländern. Noch mehr als auf eine gemeinsame Währung sollte sich die EU auf eine gemeinsame Sozialpolitik verständigen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. «Die EU muss für ihre Bevölkerung einen Mehrwert schaffen und sie an den Entscheidungen demokratisch beteiligen.» Erst dann würden sich die Völker mit diesem Staat auch identifizieren.

Das Krisenmanagement der EU bezeichnete er als katastrophal und er stellte die Frage an das Publikum, ob jemand glaube, dass sich Griechenland durch die auferlegten Massnahmen wirklich erhole. Statt den Ruf nach Führungsstaaten zu verstärken, sollte die Politik eher dafür sorgen, dass die EU-Staaten die Steuern bekommen, die sie benötigen. Doch im Moment seien diese durch das Bankgeheimnis geschützt.

Kulturraum mit gemeinsamen Wurzeln

NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann gab zu bedenken, dass die EU gerne mit den USA oder China verglichen werde. Während grosse Nationalstaaten seit Jahrhunderten gewachsen seien, sei die EU in ihrer jetzigen Form nur wenige Jahrzehnte alt. «Die EU ist eher ein kultureller Raum mit gemeinsamen Wurzeln.» Seiner Meinung nach sei die EU zu schnell gewachsen und integriert worden. In der Kürze der Zeit, könne sie die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Auf die Frage nach der Führungsrolle Deutschlands verwies er auf die jüngste Geschichte. Die Erblast von zwei Weltkriegen sei nach wie vor in den Köpfen vorhanden. Er rief in Erinnerung, dass Deutschland bis in die 80-er Jahre geteilt war und mit enormen finanziellen Aufwendungen einen Staat geschaffen habe. Deutschland solle zwar führen, sei sich aber seiner neuen Rolle nicht sicher, da es von den anderen Ländern aufgrund seiner Rolle im letzten Jahrhundert kritisch beäugt werde. Spillmann ist jedoch der Meinung, dass innerhalb der EU nur Deutschland diese Rolle übernehmen könne, denn «sonst macht es niemand».

Auseinanderdriften der EU

Einen Einblick in die Abläufe der EU in Brüssel konnte Botschafter Henri Gétaz geben. Der Vertrag von Lissabon habe die EU gestärkt. Das Europäische Parlament, das durch den Vertrag mehr Macht erhalten habe, entdecke dies erst. Seiner Meinung nach sei jedoch das Zusammengehörigkeitsgefühl in der EU verloren gegangen. Entscheidungen stützen sich zu sehr auf die Machtverhältnisse der Staaten. Die aktuelle Krise habe neue Trennlinien offenbart und führe eher zum Auseinanderdriften der EU. Die Kluft zwischen grossen und kleinen, armen und reichen sowie zwischen wettbewerbsfähigen und bürokratischen Staaten müsse die EU schliessen lösen, wenn sie nicht auseinander fallen wolle.

«Strategic Trends 2012»

Anlässlich der Tagung stellte das Center for Security Studies (CSS) ihre auf Englisch erschienene Publikation «Strategic Trends» vor. Darin werden jährlich aktuelle weltpolitische Entwicklungen präsentiert. In diesem Jahr stehen fünf Themen im Fokus:
· Chinas Aufstieg: Wie weit – und wie friedlich?
· Rückwirkungen der Schuldenkrise auf Europa
· Gewaltkonflikte als Hindernis für Afrikas Entwicklung
· Geopolitische Bedeutung unkonventioneller Öl- und Gasreserven
· Militarisierung und Cyber-Sicherheit
ETH Life verlost drei Exemplare der neuesten Ausgabe von «Strategic Trends». Interessenten schicken bis zum 30.3. ein Mail mit Absenderadresse sowie dem Betreff «Trends» an redaktion@ethlife.ethz.ch. Die Gewinner werden per Mail benachrichtigt. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Als PDF kann der Bericht online eingesehen werden.