«Vernetzung birgt immer auch Risiken»
Am «ETH Risk Center» arbeiten Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam an integrativen Risikomodellen. Sie sollen unter anderem dazu beitragen, die Gefahr weiterer Finanzkrisen zu minimieren. Wie das geht, erklärt Hans Rudolf Heinimann im Interview.
Herr Heinimann, die Kernkompetenz des «ETH Risk
Center» ist das Integrative Risikomanagement. Was ist an diesem Ansatz neu?
Das traditionelle
Risikomanagement basiert auf einzelnen, spezifischen Risiken, also zum Beispiel
Hochwasser, Finanzrisiken oder Terrorismus. Das ist geschichtlich so gewachsen.
Beim Integrativen Risikomanagement gehen wir dagegen von einem bestimmten geographischen
Raum aus. Eine Region ist immer einer ganzen Palette von natürlichen, technischen,
sozialen, politischen, und ökonomischen Risiken ausgesetzt. Wir fragen uns
deshalb: Wie können wir einen Franken am effektivsten einsetzen, um für eine
bestimmte Region den grösstmöglichen Sicherheitsgewinn zu erzielen? Das ergibt
ein ganz anderes Massnahmen-Portfolio, als wenn einzelne unterschiedlich gut
dotierte Verwaltungsstellen unabhängig voneinander Massnahmen für Teilrisiken treffen.
Wie muss man sich die Forschung am Risk Center vorstellen
und mit welchen Werkzeugen arbeiten Sie?
Das Ziel
unserer Forschung sind robustere Systeme. Dafür kombinieren wir zwei klassische
Forschungsansätze: Die probabilistische Risikoabschätzung, wie sie von Risikoanalysten
schon länger praktiziert wird und die Komplexitätstheorie, ein Ansatz aus der statistischen
Physik. Die Probabilistik analysiert vergangene Ereignisse und deren
Eintritts-Wahrscheinlichkeiten. Mit der Komplexitätstheorie hingegen kann man Phänomene
simulieren, die bisher nicht voraussehbar waren und so noch nie eingetreten
sind. Letzteres wird immer wichtiger, da die Vernetzung von gesellschaftlichen
und technischen Systemen mit der Globalisierung stetig zunimmt. Das hat zwar durchaus
Vorteile, aber zuviel Vernetzung birgt immer auch neue Risiken.
Die aktuelle Finanz- und Schuldenkrise dürfte
dafür gutes Anschauungsmaterial liefern.
Genau damit
beschäftigen sich derzeit acht Doktorierende in einem ersten interdisziplinären
Forschungsprojekt des Zentrums.
Nun wissen wir mittlerweile, dass das
Risikomanagement in der Finanzwirtschaft versagt hat. Was machen Ihre Forscher
besser?
Ich gebe
Ihnen ein Beispiel für die Bankenregulierung: Wir wissen aus der Ökologie, dass
überall gleichmässig angewandte Regeln zu einer Homogenisierung führen und
dazu, dass das Gesamtsystem verletzbarer wird. Das heisst, die Regulierung muss
viel differenzierter sein als heute. Insbesondere müssen wir ein Augenmerk auf
die «Superspreaders» im System richten; Agenturen, die sehr grosse
Finanzvolumen umsetzen und überdurchschnittlich stark vernetzt sind. Sie können
überregionale Kaskadeneffekte auslösen. Für sie brauchen wir somit spezielle
Regeln. Weiter sind in der
Finanzwirtschaft auf systemischer Ebene Puffer nötig, analog den Speicherseen
im Elektrizitätsnetz.
An welchen Problemen arbeiten die Doktoranden
konkret?
Die Verbindungen
zwischen den Finanzinstituten sind heute nicht transparent. Eine Gruppe
versucht deshalb diese aus vorhandenen Daten indirekt abzuleiten, um darauf
basierend Vernetzungsrisiken zu modellieren. Eine weitere Gruppe baut eine Art
Echtzeit-Monitoring für die Finanzmärkte auf, basierend auf Daten zum
Investorenverhalten aus dem Internet. Damit könnten wir in Zukunft Spekulationsblasen
frühzeitig erkennen.
Am Risk Center sind mehrere Partner aus der
Wirtschaft beteiligt. Wie findet der Austausch mit der Praxis statt?
Wir tauschen
uns regelmässig mit unseren Partnern aus und präsentieren unsere Forschung auch
an Firmenseminaren. Darüber hinaus gibt es jährlich einen Workshop, an dem wir
gemeinsam an praktischen Fragen arbeiten. Die Wirtschaft ist dabei gut
vertreten, die Politik kommt derzeit noch etwas zu kurz. Eine weitere solche
Plattform sind die «Dialogue Events», wovon der erste diesen Freitag in Zürich
stattfindet. Ich wünsche mir, dass diese zukünftig einen festen Platz in der Agenda
von Partnern aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft einnehmen.
Was erhoffen Sie sich von diesem Dialog?
Ein Beispiel:
Nach dem Tsunami in Südostasien von 2004 wurde vielen Weltkonzernen schlagartig
bewusst, wie verletzlich sie durch die zunehmende globale Vernetzung geworden sind.
Für bestimmte elektronische Komponenten ist Panasonic heute weltweit der einzige
Produzent. Wenn deren Produktionsstätten überschwemmt werden, dann schwappen Risiken
und Probleme «flussabwärts» auf nachgelagerte Industrien über. Die globalen
Versorgungsketten sind also sicherlich ein Thema, mit dem wir uns auch am Risk
Center beschäftigen müssen.
Wie sehen die Zukunftspläne am Risk Center aus?
Wir planen
derzeit einen ETH-Ableger in Singapur, ähnlich wie es einen solchen bereits für
die Stadtentwicklung gibt. Dazu laufen derzeit Gespräche mit Singapurs
Nationalfonds und unseren Partnern der National University of Singapore und der
Nanyang Technical University. Wir gehen davon aus, dass der Grundsatzentscheid
diesen August gefällt wird.
Hans Rudolf Heinimann ist Professor für Forstliches Ingenieurwesen an der ETH Zürich und Vorsitzender des Lenkungsausschusses des «ETH Risk Center».
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