Veröffentlicht: 21.01.13
Science

Forschen Sie mit!

Hunderttausende von Laien helfen freiwillig, komplexe Muster zu analysieren und leisten so einen entscheidenden Beitrag zur Forschung. Kevin Schawinski, Professor für Astrophysik und Mitinitiant einer «Citizen Science»-Plattform, möchte diese Art der «Bürgerwissenschaft» bei Wissenschaftlern und Laien populärer machen und erläutert ihre Vorteile.

Franziska Schmid
«Hanny’s Voorwerp» ist das Lichtecho eines Quasars, das eine Teilnehmerin von «Galaxy Zoo» entdeckt hat. Bei dieser Aufnahmen des Hubble Weltraumteleskops erscheint «Hanny’s Voorwerp» als filigrane Struktur.(Bild: NASA, ESA, W. Keel (University of Alabama) und Galaxy Zoo Team)
«Hanny’s Voorwerp» ist das Lichtecho eines Quasars, das eine Teilnehmerin von «Galaxy Zoo» entdeckt hat. Bei dieser Aufnahmen des Hubble Weltraumteleskops erscheint «Hanny’s Voorwerp» als filigrane Struktur.(Bild: NASA, ESA, W. Keel (University of Alabama) und Galaxy Zoo Team) (Grossbild)

Hanny van Arkel entdeckte 2007 ein astronomisches Objekt, das bisher unbekannt war. Das Objekt - heute nach ihr «Hanny’s Voorwerp» genannt - ist das Lichtecho eines Quasars, einem rapide wachsenden schwarzen Loch in der Mitte einer Galaxie. Hanny van Arkel stand aber kein eigenes Teleskop zur Verfügung und sie ist auch keine Expertin, sondern vielmehr eine niederländische Lehrerin, die sich wie 100'000 andere Laien im Projekt Galaxy Zoo engagieren. Kevin Schawinski, seit kurzem Professor für Astrophysik an der ETH Zürich, hat «Galaxy Zoo» mitinitiiert und dabei die Forschungsarbeit von Laien – oder «Citizen Scientists», wie er sie lieber nennt – kennen und schätzen gelernt.

Schawinskis Forschungsgebiet ist die Koevolution von Galaxien und schwarzen Löchern. Soweit bekannt, haben alle Galaxien schwarze Löcher im Zentrum. Schwarze Löcher sind die effizientesten Energiequellen im Universum und Forscher vermuten, dass sie wie eine Art Thermostat funktionieren, wenn es darum geht, das Wachstum von Galaxien zu regulieren. Wie das allerdings geschieht, ist noch weitgehend unklar. Schawinski möchte herausfinden, wann und wie sich die schwarzen Löcher «an- und ausschalten». Wie man weiss, charakterisiert die Form der Galaxien – ob sie elliptisch oder spiralförmig ist – auch ihre zentralen Eigenschaften. Die Galaxienmorphologie und die Verteilung der verschiedenen Arten von Galaxien im Universum geben wichtige Hinweise auf deren Evolution. Der ETH-Astrophysiker möchte deshalb möglichst viele der Galaxien kategorisieren. An diesem Punkt kommen die zahlreichen Helfer ins Spiel.

70 Freiwillige irren sich kaum

Wer sich auf «Galaxy Zoo» anmeldet, bekommt zufällig einen Bildausschnitt mit Galaxien zugeteilt. Es gilt einfache Fragen zur Form zu beantworten, danach erscheint das nächste Bild. Das Ganze kann eine ungeheure Sogwirkung entwickeln: Wie Gamer, die sich noch kurz das nächste Level anschauen möchten, können eingefleischte «Galaxy Zoo»-Helfer das nächste Bild mit einer spannenden Galaxie kaum erwarten.

Die Daten der Laien sind von sehr guter Qualität, denn die Methode profitiert vom «Wisdom of Crowds»-Effekt. Das heisst, der Durchschnitt einer Gruppe von Laien beantwortet eine Frage mindestens so gut, wie wenn man einzelne Experten befragt. Bei «Galaxy Zoo» klassifizieren jeweils 70 Personen unabhängig voneinander eine einzelne Galaxie – das Durchschnittsresultat trifft mit grosser Wahrscheinlichkeit zu.

Menschliches Hirn dem Computer überlegen

Automatisieren liesse sich die Kategorisierung der Galaxien übrigens nicht. In der Mustererkennung ist das menschliche Gehirn dem Computer nämlich weit überlegen. «Was man den Computern seit Jahren mühsam beizubringen versucht – zum Beispiel das Erkennen von Gesichtern ­–, kann jedes Kind. Muster erkennen zu können, ist sogar eher eine niedrige Gehirnfunktion», so Schawinski. Beim Projekt «Galaxy Zoo» habe sich gezeigt, dass die meisten Laien in kürzester Zeit fähig seien, Galaxien genauso gut zu kategorisieren wie Astrophysiker. Und wohlgemerkt, ohne dass sie speziell geschult worden wären. «Es ist so einfach, dass es keinerlei Vorkenntnisse braucht. Ganz im Gegenteil, wir möchten sogar, dass die Menschen sich die Galaxien möglichst unbefangen ansehen», erklärt Schawinski.

Der Mensch hat gegenüber dem Computer noch einen weiteren Vorteil: Er erkennt, wenn etwas aussergewöhnlich ist. So war es auch bei Hanny van Arkel – ihr fiel auf, dass eine Galaxie nicht in die üblichen Schemata passt. Die Citizen Scientists organisieren sich zudem selber, sie teilen Beobachtungen und diskutieren bestimmte Phänomene. Unterdessen haben die Mitglieder von «Galaxy Zoo» mehrere Dutzend ähnlicher Objekte gefunden wie das Quasarlichtecho «Hanny’s Voorwerp».

Ungeahnter Erfolg und neue Masseinheit

Die Idee in der Forschung auf Freiwillige zurückzugreifen, ist nicht neu. Zum Beispiel werden seit 1900 im Projekt Christmas Bird Count, Vögel in Nordamerika von Laien gezählt. Aber mit dem Internet steht ein Medium zur Verfügung, das „Bürgerwissenschaft“ in ganz neuen Dimensionen ermöglicht. Vom Erfolg des Galaxy-Zoo-Projekts waren die Begründer vollkommen überrascht. «Wir dachten uns, dass vielleicht ein paar Tausend mitmachen. Wir verwendeten einen normalen Server, aber dann berichteten die Medien über uns, und plötzlich meldeten sich so viele Menschen an, dass ein Kabel des Servers geschmolzen ist», erzählt Schawinski lachend. Die vielen Teilnehmer kategorisierten 50'000 Galaxien in einer Stunde. Diese Zahl schaffte Kevin Schawinski in einem – eher mühevollen – Selbstversuch in einer Woche. Seither gibt es innerhalb der Community eine neue Masseinheit: die Kevin-Week. Sie gibt an, in welcher Zeit die Citizen Scientists die Wochenarbeit eines einzelnen Forschers leisten. An «Galaxy Zoo» beteiligten sich rund 100'000 Citizen Scientists über ein Jahr lang.

Das originale Projekt «Galaxy Zoo» ist wie das Folgeprojekt «Galaxy Zoo 2» unterdessen abgeschlossen, aktuell läuft das Projekt «Galaxy Hubble». Dass «Citizen Science» keine Spielerei ist, sondern dass es sich um einen ernstzunehmenden Faktor für die Wissenschaft handelt, zeigt die lange Publikationsliste: Rund 30 wissenschaftliche Artikel sind bereits aus den Daten von «Galaxy Zoo» entstanden und Schawinski rechnet mit weiteren Publikationen.

Wertschätzung für 100'000 Co-Autoren

Kevin Schawinski hat in den letzten Jahren viele der Helfer getroffen und persönlich kennengelernt. «Diese Menschen wollen nicht passive Konsumenten von Wissenschaftsnews sein, sondern selber etwas machen, was die Forschung weiterbringt. Sie wollen etwas Nützliches tun und investieren dafür einen Teil ihrer Freizeit.» Schawinski hat deshalb den grössten Respekt vor «seinen» Citizen Scientists. Dazu gehört, dass er nicht unnötig ihre Zeit verschwendet. So laufen die einzelnen Projekte nur so lange, wie tatsächlich Daten gebraucht werden. Die Teilnehmer werden nicht nur via Blogs und Social Media über die Fortschritte der Forschung auf dem Laufenden gehalten, sondern gelten im Verständnis von Schawinski als Mitarbeiter. «Beim ersten Paper, dass wir mit den Daten von Galaxy Zoo publiziert haben, haben wir beim Journal nachgefragt, ob wir 100'000 Co-Autoren angeben könnten. Das war nicht möglich, aber bei uns hat jeder Artikel einen Link, der zu einer Liste aller Beteiligten führt.»

Mehr Swiss Citizen Scientists erwünscht

Astronomische Phänomene eigenen sich zwar besonders gut für diese Art von Kooperation, aber schnell stellten die Initianten fest, dass nicht nur Astrophysiker ein Interesse an den engagierten Laien haben. So entstand das Zooniverse, eine Plattform, die geöffnet ist für alle wissenschaftlichen Projekte, die für «Citizen Science» in Frage kommen. Über 750'000 Personen analysieren auf Zooniverse Walgesänge, katalogisieren die Tiere der Serengeti oder helfen Klimamodelle zu verbessern, indem sie die Daten der Royal Navy auswerten. Sogar die Geisteswissenschaften sind mit einem Projekt der Universität Oxford vertreten, das mit Hilfe von Laien antike Papyrusschriften zu entziffern versucht.

«Mein grösster Wunsch wäre, die Citizen Science in der Schweiz sowohl im deutsch- wie im französischsprachigen Raum noch besser zu etablieren», sagt Schawinski. Einerseits möchte er seine Forscherkollegen und -kolleginnen an der ETH und anderen Hochschulen auf dieses hierzulande weitgehend brachliegende Potenzial aufmerksam machen. Die Methode eignet sich für alle Forschungsrichtungen, bei denen es komplexe Muster zu erkennen und grosse Datenmengen zu analysieren gibt. Vielleicht entdecke ja der eine oder andere, dass sich eine Fragestellung aus der eigenen Forschung für diesen Ansatz anbieten würde. Andererseits sollen möglichst viele Bürgerinnen und Bürger ermuntert werden, sich selber auch als «Citizen Scientist» zu versuchen. «Galaxy Zoo» existiert bereits teilweise in Deutsch, aber auch andere Projekte, die heute ausschliesslich in Englisch vorliegen, sollen möglichst bald übersetzt werden.

 
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