Veröffentlicht: 05.03.13
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Plädoyer für die Neugierde

Ahmed Zewail hielt am Montag an der ETH Zürich eine sehr persönliche Richard-R.-Ernst-Vorlesung. Der Chemienobelpreisträger von 1999 sprach über sein Leben, seine Forschung und die Bedeutung der Neugierde für Wissenschaft und Gesellschaft.

Fabio Bergamin
ETH-Rektor Lino Guzzella überreicht Ahmed Zewail (links) die Richard-R.-Ernst-Medaille (Bild: Heidi Hostettler)
ETH-Rektor Lino Guzzella überreicht Ahmed Zewail (links) die Richard-R.-Ernst-Medaille (Bild: Heidi Hostettler) (Grossbild)

Wie schafft es ein kleiner ägyptischer Bub, der am Nildelta aufwächst, Professor am renommierten California Institute of Technology (Caltech) zu werden und seine wissenschaftliche Laufbahn mit einem Nobelpreis zu krönen? Ahmed Zewail, von dem hier die Rede ist, hielt gestern im vollbesetzten Audimax des ETH-Hauptgebäudes die Richard-R.-Ernst-Vorlesung 2013. An diesem Anlass wurde ihm die Richard-R.-Ernst-Medaille der ETH Zürich verliehen. Zewail gilt als Begründer der Femtochemie, des Teilgebiets der Chemie, das sich mit extrem schnell ablaufenden Bewegungen von Molekülen und chemischen Reaktionen befasst. Für seine Arbeit auf diesem Gebiet wurde er 1999 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Wie also bringt es ein kleiner Bub soweit? Zewail gab die Antwort auf diese Frage gleich selbst: vor allem dank Neugierde. Diese habe ihn stets angetrieben, sagte er in seiner Vorlesung über sein Leben und sein Lebenswerk mit dem Titel «Curiosity, Nobel Prizes and the Wealth of Nations». Schon als Bub habe er in seinem Zimmer chemische Experimente durchgeführt, um zu verstehen, dass bei der Verbrennung von Holzspänen unter anderem Gas und Holzteer entstehe, sagte Zewail.

Atombewegungen gefilmt

Und so sei die simple Neugierde auch am Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere gestanden. Er habe den Traum gehabt, die Bewegung von Atomen einzufangen. Dieser Traum ist letztlich in Erfüllung gegangen. Zewail führte ab Ende der 1980er Jahre mithilfe der Lasertechnik Experimente durch, mit denen entsprechende Messungen möglich sind. Niemals hätte er am Anfang seines Forscherlebens jedoch daran geglaubt, dass man damit einst «vierdimensionale» Elektronenmikroskope bauen könne, wie er es heute macht. Neben den drei Raumdimensionen berücksichtigen diese Geräte auch die vierte Dimension, die Zeit. Es sind damit also nicht nur statische Bilder mit höchster Auflösung möglich, sondern Elektronenmikroskopie-Filme, die schnellste Bewegungen in Zeitlupe aufnehmen können.

Neugierde sei jedoch nicht nur sein persönlicher Antrieb gewesen, sondern letztlich der Schlüssel zu allem, und sie trage auch zum Reichtum eines Landes bei, sagte Zewail. So zitierte er Robert Solow, den Wirtschaftsnobelpreisträger von 1987, wonach ökonomisches Wachstum einer Volkswirtschaft nur zu einem Fünftel von den verfügbaren Arbeitskräften abhängt und zu vier Fünfteln von der technologischen Entwicklung. Und am Beginn jeder technologischen Entwicklung stehe nichts anderes als die menschliche Neugierde, ergänzte Zewail. Die wissenschaftlichen Leistungen von Ländern wie der USA oder der Schweiz würde zudem nicht nur das Bruttosozialprodukt steigern, sondern auch das internationale Ansehen eines Landes – Stichwort «soft power».

Vorschläge für eine bessere Welt

Zewail bemängelte, dass die Neugierde zu selten im Fokus der öffentlichen Diskussion stehe. Regierungen und Forschungsförderer sprächen oft von Innovationen und von Forschung, die für die Gesellschaft relevant und brauchbar sei. Wissenschaftliche Durchbrüche seien jedoch vor allem die Folge der Erforschung grundlegender Fragen. «Würde unsere Gesellschaft heute einen Menschen fördern wie James Maxwell, der die berühmten Maxwell-Gleichungen, die heute in der Physik eminent sind, nur wegen deren Schönheit formulierte?» fragte Zewail rhetorisch. Er selbst sei sich da nicht so sicher.

Seine Vorlesung schloss Zewail mit drei «bescheidenen Vorschlägen» für eine bessere Welt, wie er sie nannte: Wir sollen jenen Menschen auf der Welt helfen, die «nicht wissen», «nicht haben» und «nicht frei» seien – durch die Förderung guter Ausbildung, der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Freiheit und Gerechtigkeit. Im Anschluss an die Vorlesung sprachen Ahmed Zewail, Richard Ernst, emeritierter Professor für physikalische Chemie an der ETH Zürich, sowie vier junge Wissenschaftler an einer Podiumsdiskussion über die Rolle der Wissenschaft für die Zukunft unserer Gesellschaft.

Zur Person

Ahmed Zewail (67) ist Professor für chemische Physik am California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena, USA, und Träger des Nobelpreises für Chemie 1999. Zewail stammt aus Ägypten und ist seit 1982 US-Bürger. Für die Regierung von Barack Obama amtete er von 2009 bis 2011 als Wissenschaftsgesandter für islamische Länder. Zudem engagiert er sich persönlich in seinem Heimatland Ägypten. Derzeit fördert er den Aufbau einer neuen Stadt vor den Toren Kairos, die der Wissenschaft und den Technologien gewidmet sein soll, der «Zewail City of Science and Technology». Nach der Revolution in Ägypten 2011/12 vermittelte er zwischen revolutionären Jugendgruppen und der Militärregierung, die nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak die Führung übernahm. «Was mich interessiert, sind einerseits die Transformation von Materie und andererseits die Transformation der Gesellschaft», sagte Zewail an der ETH Zürich. «Dabei habe ich gelernt, dass das zweite Problem das weitaus komplexere ist.»

Die Richard-R.-Ernst-Vorlesung wird jährlich zu Ehren des Chemie-Nobelpreisträgers von 1991 gehalten und vom Laboratorium für Physikalische Chemie der ETH Zürich organisiert. Die Vorlesung soll den Austausch zwischen Forschung und Öffentlichkeit fördern und das Bewusstsein für die wesentlichen Fragen der Zukunft schärfen. Die Richard-R.-Ernst-Medaille wird an herausragende Persönlichkeiten verliehen, die sich um Gesellschaft und Wissenschaft verdient gemacht haben.

 
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