Veröffentlicht: 08.03.13
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«Immer schon vom Zufall fasziniert»

Mit Wendelin Werner hat die ETH Zürich künftig einen Träger der Fields-Medaille, des «Nobelpreises der Mathematik», in ihren Reihen. Die ETH sei für ihn der ideale Ort, um seine Forschung weiter zu entwickeln, sagt der Wahrscheinlichkeitstheoretiker im Interview.

Norbert Staub
Wendelin Werner, Professor für Mathematik, wechselt von Paris an die ETH Zürich. 2006 erhielt er die Fields-Medaille, die international höchste Auszeichnung für Mathematiker. (Bild: 	Antoine Taveneaux)
Wendelin Werner, Professor für Mathematik, wechselt von Paris an die ETH Zürich. 2006 erhielt er die Fields-Medaille, die international höchste Auszeichnung für Mathematiker. (Bild: Antoine Taveneaux) (Grossbild)

Herr Werner, Sie haben deutsche Wurzeln, sind in Frankreich aufgewachsen und haben dort studiert und Ihre akademische Karriere gestartet. Inzwischen sind Sie als Mathematiker mit vielen Institutionen weltweit vertraut. Was hat Sie bewogen, als Professor an die ETH Zürich zu kommen?

Wendelin Werner: Ein Mix von persönlichen und professionellen Faktoren, wie meistens bei solchen Lebensentscheiden. Wissenschaftlich gesehen ist die ETH für mich als Mathematiker mit ihren ausgezeichneten Studierenden und Forschenden und ihren herausragenden Arbeitsbedingungen eine Topadresse, mit der nur sehr wenige Institutionen in der Welt konkurrieren können. Abgesehen davon fand ich es als geborener Deutscher, der als Kind den Kulturraum wechselte, reizvoll, an eine deutschsprachige Hochschule zu kommen, die nicht in Deutschland liegt. Natürlich spielte auch die hohe Lebensqualität der Schweiz eine Rolle. Auf jeden Fall war die ETH für mich erste Wahl, und ich freue mich sehr, im Sommer nach Zürich zu ziehen.

Ihr Spezialgebiet ist die Wahrscheinlichkeitstheorie. So studieren Sie etwa die Strukturen von Zufallsbewegungen, zum Beispiel bei der Brownschen Bewegung, also der Wärmebewegung von Teilchen in Flüssigkeiten und Gasen. Was fasziniert Sie am Zufall?

Mich interessiert, wie man diese Konzepte, die ja zum Teil aus der Physik stammen, mit mathematischen Modellen erfassen und verstehen kann. Ein makroskopisches Zufallsereignis, etwa die Form einer Wolke, setzt sich aus unendlich kleinen Zufallsereignissen zusammen, die auf mikroskopischer Ebene stattfinden. Bei der Überführung von der Mikro- in die Makrodimension ergeben sich äusserst interessante Strukturen, die man mathematisch zu beschreiben versucht.

Für mich ist es wichtig zu zeigen, dass die Forschung in der Mathematik überhaupt nicht weltfremd oder trocken ist. Sie ist immer mit der äusseren und der inneren, emotionalen Realität verbunden. Das versuche ich den Studierenden auch zu vermitteln. Der Zufall hat es mir schon immer angetan: Es ist vielleicht bezeichnend, dass ich als Kind bei Brettspielen vom Würfeln fasziniert war.

Sie haben 2006 mit 38 Jahren die Fields-Medaille erhalten und damit bereits früh den Olymp der Mathematik erreicht. Höchste Anerkennung in jungen Jahren kann für die spätere Entwicklung auch schwierig werden. Wie gehen Sie damit um?

Preise sind eine schlechte Motivation für die Wissenschaft. Eine Medaille verändert ja weder die Persönlichkeit noch das Denken. Der Erfolg und die Befriedigung für mich als Forscher und Dozent liegen in den Erkenntnissen und Zusammenhängen, die man alleine oder mit Mitarbeitenden entdecken kann. Oder in den Augenblicken, wo man mit den Kollegen, die auf demselben Gebiet arbeiten, vor einer Tafel oder per E-Mail diskutiert und spekuliert, wie es nun weitergehen kann. Doch ist mit der Fields-Medaille natürlich eine enorme Wertschätzung verbunden. Ich spüre heute etwas weniger Druck, mich ständig beweisen zu müssen und kann mich auf die wirklich zentralen und schwierigen Fragen konzentrieren, auch wenn es wissenschaftlich natürlich riskanter ist. Gleichzeitig empfinde ich eine grössere Verpflichtung, mich in diverse Fachgremien für die Interessen der weltweiten Mathematiker-Community einzusetzen.

Sie haben nicht nur als Wissenschaftler bedeutende Zeichen gesetzt, sondern waren als Jugendlicher auch Schauspieler. Und das nicht irgendwo: Sie arbeiteten mit der berühmten Romy Schneider in ihrer letzten grossen Filmproduktion zusammen. Wie kam es dazu?

Das war eigentlich reiner Zufall. Ich war Anfang der 80-er Jahre in Paris Violinist in einem Jugendorchester. Eines Tages hiess es, für einen Film würde ein Junge gesucht, der Geige spielt. Alle meine Mitspieler hatten Interesse, ich hingegen nicht. Anscheinend hat gerade das die Filmleute auf mich aufmerksam gemacht. Sie überzeugten mich zu Probeaufnahmen, und ich bekam die Rolle. Die Filmarbeiten waren für mich sehr interessant. Aber der enorme Medienrummel, der damals um Romy Schneider entstand, die gleichzeitig mit dem Verlust ihres Sohnes zu kämpfen hatte, hat mir auch die dunklen Seiten des Ruhms in unserer Medienwelt gezeigt. Es war mir damals sowieso klar, dass ich nicht Schauspieler werden, sondern wissenschaftliche Fächer studieren wollte.

Zu Ihrer Bühne ist später also der Hörsaal geworden: Gibt es Parallelen zwischen den beiden Sphären?

Durchaus. Auch als Professor muss man ja inszenieren und dramaturgisch gestalten um zu vermitteln. Gerade in der Mathematik ist es bei einer Vorlesung für den Lernerfolg entscheidend, sein Gegenüber quasi «mit Haut und Haar» einzubeziehen. Trotz präziser Vorbereitung braucht es dabei auch Spielraum für Improvisation: Meine Studierenden wissen, dass ich zur Beantwortung einer Frage zuweilen den vorgesehenen Pfad auch verlasse.

Die Fields-Medaille

Die Fields-Medaille, offiziell «International Medal for Outstanding Discoveries in Mathematics», ist die weltweit renommierteste Auszeichnung in der Mathematik. Sie wird nur alle vier Jahre von der Internationalen Mathematischen Union (IMU) an zwei bis vier Mathematiker verliehen. Der Begründer des Preises, John Charles Fields, betrachtete als Voraussetzung für die Auszeichnung die Lösung eines schwierigen Problems und die Formulierung einer neuen Theorie, welchedie Anwendungsbereiche der Mathematik erweitert. Ein weiteres Kriterium ist, dass die Empfänger der Medaille jünger als 40 Jahre alt sein müssen. Damit beabsichtigte der Stifter, die Preisempfänger zu weiteren bedeutenden Leistungen anzuspornen.

 
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