Veröffentlicht: 21.05.13
Science

Zelle bietet ungebetenem Fahrgast Taxidienst

Das Respiratorische-Synzytial-Virus verursacht ungewöhnlich schwere Infektionen der unteren Atemwege. Wie es die Zellen seiner Opfer befällt, war bislang nicht bekannt. Nun beleuchtet ein Team von ETH-Forschenden um Ari Helenius den Eintrittsmechanismus des Virus. Ihre Arbeit zeigt einen Weg, wie der Erreger bekämpft werden kann.

Peter Rüegg
Stäbchen statt Sphäre: Das RS-Virus kann ungewöhnliche Formen annehmen. (Bild: L. Liljeroos und S.J. Butcher / University of Helsinki)
Stäbchen statt Sphäre: Das RS-Virus kann ungewöhnliche Formen annehmen. (Bild: L. Liljeroos und S.J. Butcher / University of Helsinki) (Grossbild)

Das Respiratorische-Synzytial-Virus (RSV) ist auf dem Weg, eine neue Geissel der Menschheit zu werden. Der Erreger ist weltweit auf dem Vormarsch, im vergangenen Winter nahmen auch in der Schweiz Infektionen mit diesem Virus massiv zu. Davon betroffen sind vor allem Kleinkinder und ältere Leute sowie Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Gesunde Erwachsene erleben die Erkrankung vor allem als heftige Erkältung.

Die WHO registrierte im vergangenen Jahr weltweit rund 38 Mio. Fälle von erkrankten Kleinkindern, die überwiegende Mehrheit davon in Entwicklungsländern. Die WHO warnt denn auch vor dem RSV – das durch diesen Erreger verursachte Respiratorische Atemwegssyndrom hat das Ausmass einer Epidemie erreicht. Weil es sich sehr leicht verbreitet und schnell mutieren kann, befürchten Experten eine Pandemie.

Schwierige Bedingungen für Forschung

Das Virus verursacht eine Infektion der unteren Atemwege, weswegen ihm nur schwer beizukommen ist. Betroffen sind auch die Teile der Lunge, die am tiefsten liegen. Das macht es auch sehr schwierig, Gewebeproben davon zu erhalten. Gegen das RSV gibt es bis anhin weder eine Impfung noch eine bezahlbare Therapie. Diese besteht aus in Mäusen gezüchteten Antikörpern von infizierten Personen, die mindestens fünfmal verabreicht werden müssten – jede Injektion kostet über 1200 Franken. Eine Impfung zu entwickeln ist schwierig, da das RSV rasch mutiert und oft verschiedene Stämme gleichzeitig auftreten.

Im Labor ist das Virus kaum zu züchten und gute Tiermodelle existieren nicht. Dies erschwert es, die Immunantwort des Körpers gegen den RS-Virus zu untersuchen. Ari Helenius, Professor für Biochemie der ETH Zürich, und Magdalena Krzyzaniak, Postdoc in seiner Gruppe, waren deshalb stark daran interessiert herauszufinden, wie das RSV in Zellen gelangt. Denn das Eindringen des Virus in eine Zelle bietet möglicherweise Ansatzpunkte für die Entwicklung antiviraler Wirkstoffe.

Virus ruft unzählige «Taxis»

Wie das Virus in die Zelle eindringt und welche Moleküle es dazu benötigt, erforschten die Forschenden in Kulturen von sogenannten HeLa-Zellen. Zur Überraschung der Forschenden tritt das Virus über einen Weg in die Zelle ein, der für diese Klasse von Viren untypisch ist. Zunächst dockt es mit einem seiner Oberflächenproteine an einen ganz bestimmten Rezeptor auf der Zelloberfläche an. Dort beginnt das Virus, ein Signal auszusenden, das der Zelle Order erteilt, es sofort aufzunehmen.

Die Zelle reagiert mit einem «angeborenen» Reflex. Sie verändert ihre Form rasch und in dramatischer Weise: Die Zelle wird rund und nimmt Flüssigkeit auf. Das Zellskelett wird umgebaut. Da sie nicht genau weiss, wo genau auf ihrer Oberfläche die Viren sitzen, bildet die Zelle zahlreiche kleine Bläschen, sogenannte Blebs. Sie dienen als Taxi, die die Partikel aufnehmen und eine «Mitfahrgelegenheit» bieten. «Das Virus hat nichts Neues erfunden oder die Zelle umprogrammiert, es profitiert nur von ihren Reflexen», sagt Krzyzaniak. Diese Blebs stülpen sich über die Partikel und schnüren sich schliesslich samt Inhalt ins Innere der Zelle ab.

Zwei wichtige Schnitte

Damit das Virus seine Erbsubstanz, ein Stück Ribonukleinsäure (RNA) aus elf Genen, befreien und ins Zellplasma absetzen kann, braucht es einen passenden «Schlüssel». Um diesen zu erstellen, schneiden molekulare Scheren, sogenannte Proteasen, an einem bestimmten Oberflächenprotein der Virushülle zwei Stücke ab. Die Protease ist im Bläschen bereits enthalten. Erst nach dem zweiten Schnitt verschmilzt die Virenhülle mit der Membran des Bläschens, das Virus-Genom gelangt in das Zellplasma. Dort liest die Zellmaschinerie den genetischen Code des Erregers ab, vervielfältigt und übersetzt ihn in Proteine, die Bauteile neuer Viruspartikel. Die Zelle stellt so unfreiwillig zahlreiche Kopien des Virus her, die die Infektion fortsetzen.

Die Forscher haben die verschiedenen Schritte beim Eindringen des RS-Virus in die Zelle mit Hilfe von sogenannten Inhibitoren überprüft. Inhibitoren sind chemische Verbindungen, die spezifisch bestimmte Proteine oder Enzyme wie Proteasen blockieren und so an der Infektion beteiligte Moleküle lahm legen. 

Blockade von Schere und Infektion

Besonders wirksam war es, die molekulare Schere, welche die entscheidenden Schnitte am erwähnten Virusoberflächenprotein vollzieht, zu blockieren. Der Inhibitor, der die Enzymschere ausser Gefecht setzte, konnte die Infektion wirksam verhindern. Dies zeigten die Forscher auch in Kulturen von Epithelzellen der menschlichen Lunge, auf die das RSV spezialisiert ist. Ob der Inhibitor auch im lebenden Organismus so wirkt wie in den Zellkulturen, ist noch offen. Auch wissen die Forscher nicht, um welche Enzymschere es sich genau handelt, denn sie gehört in eine Familie von neun Proteasen, die noch nicht im Detail erforscht sind.

Für ihre Tests verwendeten die Forscher auch einen zweiten Inhibitor: die Substanz Iressa. Diese konnte die Infektion ebenfalls verhindern. Der Wirkstoff wird bereits in Krebsbehandlungen eingesetzt, hat aber zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen. Ob er sich für eine antivirale Therapie eignet, ist noch nicht klar. Aber anders als bei Krebsbehandlungen müssten antivirale Medikamente nur über kurze Zeiträume verabreicht werden, um die Infektion zu verhindern. Denn sobald das Immunsystem eingeschaltet ist und die Eindringlinge bekämpft, braucht es die antiviralen Medikamente nicht mehr.

Literatur

Krzyzaniak MA, Zumstein MT, Gerez JA, Picotti P, Helenius A (2013) Host Cell Entry of Respiratory Syncytial Virus Involves Macropinocytosis Followed by Proteolytic Activation of the F Protein. PLoS Pathog 9(4): e1003309. doi:10.1371/journal.ppat.1003309

 
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