Veröffentlicht: 02.09.13
Science

Mechanische Reize stimulieren Knochenaufbau

Forschern der ETH Zürich gelang es erstmals zu zeigen, wie das Knochengewebe auf lokale mechanische Reize reagiert, welche den Knochenaufbau steuern. Die Studie zeigt auf, wie wichtig es ist, die Knochen durch Bewegung zu stimulieren.

Simone Ulmer
Die dreidimensionale Simulation stellt die auf der Basis von CT-Aufnahmen berechneten Belastungen im Knochengewebe dar. Rote Bereiche stehen für hohe mechanische Beanspruchung und Knochenbildung, blaue für niedrige Beanspruchung und Knochenresorption. (Bild: Schulte et al. 2013)
Die dreidimensionale Simulation stellt die auf der Basis von CT-Aufnahmen berechneten Belastungen im Knochengewebe dar. Rote Bereiche stehen für hohe mechanische Beanspruchung und Knochenbildung, blaue für niedrige Beanspruchung und Knochenresorption. (Bild: Schulte et al. 2013) (Grossbild)

Es ist allgemein bekannt, dass die mechanische Belastung der Knochen, etwa durch Joggen oder Walken, die Knochenbildung fördert. Wie die knochenbildenden Zellen – aber auch die knochenabbauenden bei Nicht-Beanspruchung – im Knochenmark auf die mechanischen Reize genau reagieren, war bis anhin nicht geklärt. Forscher der ETH Zürich haben nun erstmals anhand der Kombination von Laborexperimenten und Simulationen auf dem CSCS-Supercomputer «Monte Rosa» aufgezeigt, wie die mechanische Beanspruchung und die Knochenbildung respektive die Knochenresorption (Knochenabbau) auf Gewebeebene zusammenhängen. Demnach wird beides zu 80 Prozent durch mechanische Reize gesteuert.

Beanspruchung bewirkt ausgewogene Knochenausbildung

Die Simulationen zeigen, wie die im Labor ausgeübte mechanische Beanspruchung eines Wirbelkörpers in einem Mäuseschwanz lokal zum Aufbau der Knochensubstanz und an anderer Stelle zu derer Resorption führt. Laut den Forschern bestätigen die Ergebnisse zudem die Annahme, dass Knochensubstanz dort gebildet wird, wo sie benötigt wird und resorbiert, wo sie nicht gebraucht wird. Ein ausgewogenes Zusammenspiel von Osteoblasten, die für die Knochenbildung verantwortlich sind, und Osteoklasten, die Knochen resorbieren und abbauen, ist in einem gesunden Organismus wichtig. Sowohl eine Über- wie auch Unterproduktion dieser beiden Zellsorten führt zu krankhaften Veränderungen des Knochenaufbaus. «Unsere Studie ist deshalb für ein besseres Verständnis von Knochenerkrankungen und für die Medikamentenentwicklung essentiell», ist Studienleiter Ralph Müller, Professor für Biomechanik an der ETH Zürich, überzeugt.

Für ihre Versuche standen den Wissenschaftlern verschiedene Gruppen von Mäusen zur Verfügung. Während ein bestimmtes Schwanzwirbel-Segment bei der einen Gruppe drei Mal wöchentlich über vier Wochen mechanisch beansprucht wurde, fiel dieser Teil des Experiments bei der Kontrollgruppe weg. Ausserdem gab es eine weitere Versuchsgruppe, bei der den Versuchstieren die Eierstöcke entfernt wurden. Der durch die Entfernung der Eierstöcke einsetzende Östrogenmangel wirkt sich nach bisheriger Erkenntnis auf die Knochenbildung aus. Vermutlich ist er eine der Ursachen, weshalb rund 30 Prozent der Frauen nach der Menopause an Osteoporose erkranken.

Experiment und Simulation zeigen Zusammenhang

Während der Experimente fertigten die Forscher von den Schwanzwirbeln der Versuchstiere regelmässig hochaufgelöste Computertomographien an. Die Bilder, hintereinandergelegt und mit bildgebenden Verfahren zu dreidimensionalen Darstellungen verarbeitet, ergaben räumliche Modelle, in denen die Bereiche der Knochenbildung, Knochenresorption sowie die Bereiche, in denen sich nichts veränderte, sichtbar sind. Diese Modelle setzten sie im Supercomputer virtuell unterschiedlichen Krafteinwirkungen aus und berechneten für jeden Bereich, was dann geschieht. Durch diese Simulationen konnten die Forscher die Verbindung zwischen zunehmender mechanischer Beanspruchung und deren Auswirkung im Knochen untersuchen.

«Die Ergebnisse zeigen ganz klar, dass sowohl die Aktivität der Osteoblasten wie auch der Osteoklasten durch mechanische Beanspruchung gesteuert wird», sagt Ralph Müller, «hohe lokale Belastung führt zu Knochenbildung, schwache hingegen zu Abbau.» Laut den Analysen der Forscher nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass Knochensubstanz unter steigender mechanischer Belastung resorbiert wird, exponentiell ab. Die Knochenbildung nimmt hingegen exponentiell zu. Der Knochenabbau scheint darüber hinaus deutlich stärker mechanisch kontrolliert zu sein als die Knochenbildung, insbesondere bei Mäusen ohne Eierstöcke. Fehlt bei ihnen die mechanische Belastung, steigt die nicht gezielte Knochenresorption markant an. Das heisst, es wird auch an den Stellen Knochensubstanz abgebaut, wo sie eigentlich benötigt wird.

Für die Wissenschaftler passen die Ergebnisse zu den sich mehrenden Hinweisen, dass Östrogen-Rezeptoren in die Knochenzellen-Antwort auf mechanische Reize involviert sind. Demnach beeinträchtigen fehlende Östrogen-Rezeptoren eine gezielte Knochenresorption.

Literaturhinweis:

Schulte FA, Ruffoni D, Lambers FM, Christen D, Webster DJ, Kuhn G, Müller R: Local Local Mechanical Stimuli Regulate Formation and Resorption in Mice at the Tissue Level, PLOS One, 2013, 8(4): e62172. doi: 10.1371/journal.pone.0062172

 
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