Veröffentlicht: 04.10.13
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Herausforderung Welternährung

Am jüngsten Lokaltermin des ETH-Präsidenten diskutierten Vertreter von Wissenschaft und Industrie, wie sie bestmöglich zusammenarbeiten können, um Fragen der Welternährungssicherheit anzugehen.

Fabio Bergamin
ETH-Professor Achim Walter gab am Lokaltermin einen Überblick über die Forschungsprojekte des World Food System Center. (Bild: Sophie Stieger / ETH Zürich)
ETH-Professor Achim Walter gab am Lokaltermin einen Überblick über die Forschungsprojekte des World Food System Center. (Bild: Sophie Stieger / ETH Zürich) (Grossbild)

Der ETH-Präsident und die ETH Foundation luden am Mittwoch zu einem Lokaltermin zum Thema Welternährung. Im Fokus stand das vor eineinhalb Jahren an der ETH gegründete World Food System Center, das 32 Professuren aus sechs Departementen vereint. Über hundert Gäste aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft fanden den Weg in den Lichthof des CHN-Gebäudes, wo sie einen Einblick in die Forschungstätigkeit des neuen Kompetenzzentrums erhielten. An einer Podiumsdiskussion im zweiten Teil der Veranstaltung diskutierten Wissenschaftler mit Vertretern der Agro- und Nahrungsmittelindustrie über die Aufgabe, die Welternährung zu sichern und insbesondere darüber, wie Hochschulen und der private Sektor dabei zusammenarbeiten können.

Die Herausforderung genügend Nahrungsmittel bereitzustellen, sei gross, sagte ETH-Präsident Ralph Eichler in seiner Einleitung. Denn die Weltbevölkerung nehme immer noch stark zu. Jedes Jahr müsse die Ernährung von zusätzlichen 80 Millionen Menschen gesichert werden. Die Bevölkerung wachse vor allem in den Entwicklungsländern und dort vorwiegend in den Städten, ergänzte Peter Jaggy, Vizepräsident für Corporate Engineering bei Nestlé. Die Ernährungssicherung sei auch deshalb schwierig, weil sowohl die Ackerfläche als auch das Wasser auf der Erde begrenzte Ressourcen seien, ergänzte Agrarökonom Martijn Sonnevelt, Postdoc am Institut für Umweltentscheidungen. Die weltweit für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehende Fläche wird in den kommenden Jahrzehnten sogar abnehmen, einerseits wegen des Klimawandels und andererseits wegen des Bedarfs an Ackerland für die Produktion von Energie aus Biomasse.

Mit weniger Ressourcen mehr produzieren

Um die Ernährung einer wachsenden Zahl von Menschen dennoch zu sichern, sahen die Fachleute vor allem zwei Stossrichtungen: Es müssten auf den Äckern mehr Nahrungsmittel produziert werden, und es müssten mehr von den produzierten Nahrungsmitteln auf den Tellern der Konsumenten ankommen. Verluste bei Transport, Verarbeitung und bei den Konsumenten selbst gelte es zu weiter zu verringern.

«Es muss uns gelingen, auf einer geringeren Landfläche auf nachhaltige Weise die Produktivität zu steigern», sagte Sonnevelt. «Doch wir dürfen nicht gedankenlos einfach den Düngereintrag steigern.»

Vielmehr gehe es darum, mit möglichst wenig Input möglichst viel Output zu produzieren, so führte Martin Keller, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Fenaco-Landi-Gruppe, der Einkaufs- und Vertriebsorganisation der Schweizer Landwirtschaft, weiter aus. Die Schweiz habe den Düngerverbrauch in den letzten 20 Jahren um mehr als die Hälfte reduzieren können, ohne dass der Ertrag wesentlich gesunken sei, sagte Keller. «Es gelingt uns hierzulande erstaunlich gut, unter Schonung von Ressourcen viel zu produzieren – und das qualitativ hochstehend.»

Hebelwirkung schont Wald

Sonnvelts Hauptforschungsgebiet sind Analysen der globalen Wertschöpfungskette für Getreide. «Unsere Modellrechnungen für den Agrarsektor in Brasilien zeigen, dass mit einer jährlichen Ertragssteigerung von einem halben Prozent eine um 10 bis 15 Prozent geringere Sonja-Anbaufläche benötigt wird», sagt er. Dank dieser Hebelwirkung müsste weniger Wald abgeholzt werden. Ausserdem ermögliche dies der brasilianischen Landwirtschaft, die stark auf den Sojaanbau ausgelegt sei, sich stärker zu differenzieren. Um den Ertrag zu steigern, steht für Sonnevelt die Erforschung ertragsreicher und widerstandsfähiger Sorten im Vordergrund.

Wilhelm Gruissem, Vorsteher des Instituts für Agrarwissenschaften der ETH Zürich, ist auf diesem Gebiet tätig. Er brach an der Podiumsdiskussion eine Lanze für die Gentechnik, ohne sie beim Namen zu nennen. «Wir haben Methoden zur Verfügung, die wir einsetzen können und müssen, um unsere Kulturpflanzen für die nachhaltige Produktion zu verbessern», sagte er. Die genetische Vielfalt unserer Kulturpflanzen habe in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden abgenommen, die Pflanzen hätten Gene verloren. «Wir haben Methoden, mit denen wir diese Gene wieder zurückbringen können, denn sie sind potenziell bedeutend für eine nachhaltigere Produktion.»

«Die Hälfte der Verluste wäre vermeidbar»

Achim Walter, Professor am Institut für Agrarwissenschaften, kam in seinem Kurzvortrag auf die zweite Stossrichtung der Ernährungssicherung zu sprechen: die Effizienzsteigerung in der Versorgungskette. So erwähnte er eine ETH-Studie, laut derer in der Schweiz die Hälfte der Energie, die auf dem Acker entsteht, auf dem Weg zum Konsumenten verloren geht. Die Hälfte dieser Verluste wären vermeidbar, denn etwa wiederum die Hälfte davon sind Lebensmittel, die in Haushalten weggeworfen werden. «In der Schweiz sind diese Haushaltsverluste das Hauptproblem», sagte Walter. Weltweit hingegen gehören logistische Schwierigkeiten zu den grössten Problemen, etwa wenn Nahrungsmittel auf dem Transport nicht ausreichend gekühlt werden und daher verderben.

Eines der Hauptthemen an der Podiumsdiskussion war die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Institutionen wie der ETH Zürich und dem privaten Sektor. «Wenn wir den privaten Sektor nicht hätten, könnten wir die Menschheit nicht ernähren», sagte Gruissem, und er unterstrich, wie wichtig die Zusammenarbeit der ETH Zürich mit der Industrie sei. Die auf dem Podium anwesenden Industrievertreter betonten auch, wie wichtig die Rolle der Hochschulen sei, gute Studierende auszubilden, denn sie seien die Experten von morgen, die die Industrie brauche. Keller wünschte sich hingegen einen noch stärkeren Praxisbezug von Lehre und Forschung. «Wissenschaftler sollten auch den Mut haben, ab und zu die Gummistiefel anzuziehen und auf einen Landwirtschaftsbetrieb zu gehen», sagte er. Ausserdem betonte er, wie wichtig interdisziplinäres Denken sei. Er lobte die ETH für die Schaffung des interdisziplinären Kompetenzzentrums im Bereich Welternährung.

 
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